Geduldete Gewalt von rechts
Rechtsextreme Gruppen in der Ukraine treten immer lauter auf. Es mehren sich Angriffe auf Roma-Camps. Die Laxheit der Behörden gefährdet Menschenleben.
In das Hauptquartier wird nur vorgelassen, wer eine Chipkarte hat. Roman Tschernyschew sperrt das Metalltor mit einem leisen Klick auf. Das Areal der Kiewer Baggerfabrik Atek liegt am Siegesprospekt im Westen der Stadt. Schutthaufen, verfallene Lagerhallen, Gestrüpp. „Eine typische Geschichte des Kommunismus“, sagt Tschernyschew. „Ein früherer Vorzeigebetrieb, privatisiert und dichtgemacht.“Nur der zweistöckige Blockbau, auf den Tschernyschew zusteuert, wurde renoviert, von den Aktivisten selbst. Umgeben ist das Gebäude von einem Zaun, auf dem obenauf eine Stacheldrahtrolle ausgelegt ist.
Das Innendesign ist im Industriestil gestaltet, klar und kühl, Beton, Holz und Stahl. Man könnte sich in einem Coworking Space urbaner Kreativer wähnen, hier die Cafebar,´ dort die Ecke zum Rumlümmeln, wäre da nicht eine Tür mit der Aufschrift „Ideologische Abteilung“und die Symbole, die von einer Geisteshaltung künden, die nicht mit dem liberalen Hipstertum vereinbar ist. Allgegenwärtig sind Wolfsangel und Schwarze Sonne, auf Tischplatten, an den Wänden und als Ziffernblatt einer Uhr. Es sind Symbole mit nationalsozialistisch-esoterischem Hintergrund, die zum Erkennungsmerkmal der extremen Rechten in der Ukraine geworden ist, die sich unter dem Dach von Asow sammelt.
Tschernyschew ist ein früherer Journalist, der eines Tages entschied, dass seine Branchenkenntnis bei Asow sinnvoller eingesetzt sei. Heute ist er Sprecher des „Nationalen Korps“. Die 2016 gegründete Partei ist der politische Arm von Asow. Ihr Chef ist Andrij Biletzkij, 38, geboren im ostukrainischen Charkiw, ein Mann mit Neonazivergangenheit, der mittlerweile im ukrainischen Parlament sitzt. Bei der Wahl im Herbst 2019 hofft er im Zusammenschluss mit zwei anderen RechtsaußenParteien – der in der Westukraine verwurzelten Swoboda und dem Rechten Sektor – auf eine Fraktion in der Rada. Kein einfaches Unterfangen, schließlich setzen derzeit viele Kräfte auf Patriotismus und Nationalismus. Rechtsextremismusforscher Andreas Umland schätzt, dass die Nationalen zwischen fünf und 15 Prozent der Stimmen sammeln könnten. Er charakterisiert Asow als „kryptofaschistisch“. „Man könnte sie als ukrainische Identitäre bezeichnen. Nur eben antirussisch.“ Populär seit dem Krieg. Im ersten Stock der Asow-Zentrale spricht Stabschef Rodion Kudrjaschow von der Notwendigkeit radikaler Veränderung und dem Kampf gegen Korruption, von einer „gesunden, disziplinierten Gesellschaft“und bestimmten Maßnahmen, zu denen Asow eben „gezwungen sei“, weil die Staatsorgane wegsähen.
Die Popularität von Asow ist ein junges Phänomen. „Ein Resultat des Krieges“, sagt Forscher Umland, der auf die allgemeine verstärkte Militarisierung der Gesellschaft verweist. Vor ein paar Jahren war Biletzkij noch Anführer einer marginalen Gruppe namens „Patrioten der Ukraine“. Mit dem Krieg im Donbass im Jahr 2014 begann sein Aufstieg. Freiwillige aus Biletzkijs Umfeld zogen als „Regiment Asow“gen Osten, um das Land gegen die von Russland unterstützten Separatisten zu verteidigen. Weil sie an der Front Erfolge erzielten – etwa bei der Rückerobe- rung Mariupols oder der vor Donezk gelegenen Kleinstadt Marinka, erlangten sie Ruhm als verwegene Kämpfer.
Doch es ist nicht die nunmehr in die Nationalgarde eingegliederte Formation, die in letzter Zeit Schlagzeilen macht, nicht die Partei und auch nicht Asows umstrittenes patriotisches Jugendlager. Im Gerede ist die „Nationale Bürgerwehr“Asows, die laut Tschernyschew landesweit 3000 Mitglieder hat, 500 allein in Kiew. Bei ihrer feierlichen Gründung im Jänner 2018 marschierten junge Männer in Tarnuniformen und mit Fackeln durch das Zentrum Kiews. Die Bürgerwehr wolle für Ruhe und Ordnung sorgen, hieß es. Unbewaffnet, als Unterstützung der Polizei. Doch die Realität ist nicht so harmlos.
Tatsächlich bleibt es nicht bei Nachbarschaftshilfe. In der Ukraine mehren sich Angriffe auf RomaCamps, mindestens fünf zählte man seit April. Mit dabei: die „Nationale Bürgerwehr“, die eine Aktion Anfang Juni in Kiew – offenbar überzeugt von der Rechtmäßigkeit des Vorgehens – filmte und ins Netz stellte. Im Video ist zu sehen, wie mit Äxten ausgestattete selbst ernannte Ordnungshüter ans Werk gehen. Zuvor hatten sie den Roma ein Ultimatum ausgesprochen. Spricht man Kudrjaschow auf die Sachbeschädigung an, verteidigt er die Tat. Einmal schlugen die rechten Wutbürger einen illegalen Spielsalon mit Knüppeln kurz und klein. „Wenn die Polizei nicht einschreitet, dann tun wir es.“Niemand sei verletzt worden.
Internationale Vertreter in der Ukraine sind besorgt. Man sehe die Bürgerwehr „sehr kritisch“, sagt Udo Möller von EUAM, der EU-Polizeiberatermission in Kiew. „Es besteht die Gefahr, dass das Gewaltmonopol des Staates von anderen Interessen benutzt wird.“Doch ganz offensichtlich haben ukrainische Sicherheitsbehörden selbst ein ambivalentes zu der Bürgerwehr. Auf dem Video des Kiewer Angriffs sind Polizisten zu sehen. Sie beobachten die Szene, schreiten aber nicht ein. „Den rechten Aktivisten wird ein Freiraum gelassen“, konstatiert Forscher Umland. „Den testen sie aus.“Die Bereitschaft der politischen Elite, Kritik an gewaltbereiten Rechten zu üben, ist offenbar nicht sehr groß. Ermittlungen verlaufen sich, der Innenminister schweigt zu den Vorfällen.
Dass das beharrliche Ignorieren der Übergriffe marginalisierte Gruppen in Gefahr bringt, illustriert ein neuer Fall. Bei einem Angriff einer Neonazi- Gruppe auf Roma nahe Lwiw wurde in der Vorwoche ein Mann getötet und vier Menschen verletzt. Die Täter waren mit Messern und Hämmern auf die Menschen losgegangen. Diesmal schritt die Polizei ein. Ermittelt wird gegen 14 jugendliche Tatverdächtige.
Die rechten Aktivisten stellten den Roma ein Ultimatum. Wenig später kamen sie.