Die Lehre des Gartens
In Japan ist die Natur jener Ort, an dem der Mensch in den innigsten Kontakt mit seinem eigenen Selbst treten kann. Dieses und viel mehr ist in einem besonderen Gartenbuch nachzulesen.
Der Dschungel neuer Gartenbücher und Gartenratgeber wird alljährlich dichter und undurchdringlicher. Mitunter darf schüchtern die Frage aufgeworfen werden, wie viele Rosenbücher, Biofibeln und schön bebilderte Anleitungen für bequeme Gartenpflege noch aus dem Humus des Verlagswesens sprießen wollen. Nur gelegentlich ist das Neue auch das Bessere, und nach vielen Jahren des Gartenbücherstudierens werden die Interessanten unter den Neuerscheinungen immer seltener. Möglicherweise ist das aber auch als Alterserscheinung zu werten.
Wie auch immer – trotzdem tauchen zwischen der Saisonware bisweilen besondere Blumen auf, die es wert sind, gepflückt und studiert zu werden. Eine von ihnen hat bis dato noch nicht die Würdigung erfahren, die ihr gebührt, auch wenn, oder vielleicht gerade weil, ihr Inhalt weniger aus farbenfrohen Hochglanz-Fotografien besteht, sondern eher aus besonders klugen, kultivierten, wenn auch nicht immer leicht verdaulichen Texten.
„Die Lehre des Gartens“, so der Buchtitel, befasst sich in elf Gesprächen mit der Gartenkultur Japans, wobei diese Lesart eine grobe Vereinfachung darstellt. Die Kunst- und Kulturforscherin Carolina Platzek nähert sich dem Thema der japanischen Gartenkunst vielmehr so behutsam und kunstvoll wie einst der Regisseur Akira Kurosawa der Moritat im „Lustwäldchen“seines Spielfilms „Rashomon“(1950).
In diesem Meisterwerk der Filmgeschichte erzählt jeder Zeuge seine eigene Variante der Geschichte, jeder scheint eine andere Version dessen erlebt zu haben, was man platt die „Wahrheit“nennen möchte, und so entsteht aus den subjektiv gefilterten jeweiligen Wahrnehmungen jedes Einzelnen ein rätselhaftes, flirrendes Bild.
Carolina Platzek nimmt uns desgleichen mit auf eine Reise, in der ein vermeintlich simples Thema das Ziel zu sein scheint, doch jeder Pfad, auf dem sie sich diesem annähert, zeigt eine andere Perspektive auf. Ihre Gesprächspartner sind Gärtner, Landschaftsarchitekten und Garten- und Architekturhistoriker, buddhistische sowie ShintoOberpriester, Landschaftsdesigner, Musikwissenschaftler.
Kaji Kenji etwa, in dessen Garten ein über 700 Jahre von vielen Generationen von Shinto-Priestern gewürdigter Wacholder wächst, beschreibt die Verbeugung vor der beseelten Natur anhand eines Beispiels: „Ein Baum hat ein anderes, besonderes Vermögen als ein Mensch, weil er Hunderte Jahre lang leben kann. So betrachtet ist es nur verständlich, dass wir so engagiert wie möglich Sorge für den Schutz der Bäume tragen – wir nehmen vielen von ihnen das Leben für unsere Alltagsnotwendigkeiten. Der japanische Garten will uns mit seiner Beschaffenheit, mit seiner Durchdringung dieser Wechselwirkungen auch dazu anregen, allein das Sein der Natur mit Wertschätzung und Respekt zu würdigen.“ Erweckung. Natürliche Landschaften zu interpretieren, das Spannungsfeld zwischen Natürlichem und Künstlichem auszuloten ist eines der Hauptthemen traditioneller japanischer Gartenkunst. „Wenn man die Natur beobachtet“, so Amasaki Hiromasa, Gartenhistoriker und Gärtner in Kyoto, „bringt sie einem bei, wie man sie am besten wiedergibt. Es ist diese Erweckung, die im Garten ausgedrückt werden soll.“
Wie das erfolgen kann, lässt sich im wahrscheinlich ältesten Gartenbuch der Welt nachlesen, dem Sakuteiki. Ein unbekannter Autor hat es im 11. Jahrhundert auf zwei Schriftrollen niedergeschrieben und darin expliziert, wie der ideale Garten gestaltet werden sollte. Er unterschied etwa 17 verschiedene Arten von Wasserflächen und acht Arten von Wasserfällen, wobei Wasser, Bäume und Steine stets die Hauptelemente der Gestaltung bildeten. Vielerorts tun sie das auch heute doch bedeutet das keineswegs, dass die Zeit in den Gärten Japans stehengeblieben ist, wie der Tokioter Gartendesigner Nishiyama Masatoshi erklärt: „Wir bewahren das Alte in der Weise, dass wir sein Wesen durch die Jahrhunderte mitnehmen. Wir wenden dieses bewahrte Wissen im zeitgenössischen Kontext weiter an.“
Der Landschaftsforscher Akasaka Makoto stützt diese These. Die Natur werde in Japan als jener „Ort betrachtet, an dem ein Mensch – egal ob Maler, Gärtner oder Dichter – in unmittelbaren und innigsten Kontakt mit seinem eigenen Selbst treten kann. Dem entsprechend wird sie auch als ein Medium verstanden, das die Erinnerungen verschiedener Generationen miteinander verbinden kann.“Platzek versteht ihre Gespräche in Japan als „Einladung in japanisches Denken“. Dieser nachzukommen zahlt sich unbedingt aus: „Die Lehre des Gartens“(24,- €) ist bei Schlebrügge.Editor erschienen. wir sie kaum mitverfolgen können in unserer Hastigkeit, und doch sind wir alle unmittelbar von ihnen abhängig. Wir ernähren uns von ihnen, atmen ihren Atem und kennen oft nicht einmal ihre Namen und Verwandtschaften.
Emanuele Coccias Abhandlung ist nicht zuletzt eine lang überfällige Abrechnung mit der aristotelischen Weltbetrachtung, mit dessen unwidersprochen hingenommener Hierarchie der Lebewesen, in der die Pflanzen grundlegende Missachtung erfahren. Coccia ist nicht nur Philosoph, er besuchte eine Landwirtschaftsschule und verbrachte seine Jugend „versunken in Büchern über Botanik, Agrarchemie, Gemüseanbau und Insektenkunde“. Was für eine herrliche Kombination. Die Wurzeln der Welt Emanuele Coccia, Hanser, € 20,60