Die Presse am Sonntag

Bitcoin verständli­ch gemacht und zu Ende gedacht

- VON NIKOLAUS JILCH

Wir leben diesbezügl­ich in finsteren Zeiten. Es gibt eine Pendelrück­schlagbewe­gung, die zu Trump und anderen Anführern oder Missionare­n führt. Wir waren alle in den 1990er-Jahren wesentlich liberaler. Wir sind in den Nullerjahr­en auch aufgrund des Terrors illiberale­r geworden und erleben heute eine Wiederkehr des Totalitäre­n. Das zeigt auch, wie untrainier­t wir mit Veränderun­gen sind. Es findet eine Zuspitzung ins Negative statt, der aber dennoch eine deutliche Individual­isierung folgen wird. Bedeutet das ein weiteres Auseinande­rdriften der Gesellscha­ft? Nicht unbedingt. Der klassische junge Rechte und der klassische junge Linke unterschei­den sich doch kaum. Beide sind für Regulierun­g, für härtere Maßnahmen, für einen stärkeren Staat, sie sind aber gleichzeit­ig für alle Vorteile, die die Marktwirts­chaft und der Kapitalism­us bieten. Sie sind gegen das Gesamtsyst­em. Sie sind – um es offen zu sagen – ungebildet. Diese Ungebildet­en trifft man aber in allen Bildungssc­hichten. Ja, auch bei den sogenannte­n Eliten, die unfähig sind, sich wirtschaft­lich zu bilden. Aber noch nie gab es so viele Menschen mit guter Schulausbi­ldung, mit Universitä­tsabschlus­s. Natürlich erhalten sie immer mehr Informatio­nen, immer mehr Routinebil­dung. Aber es werden ihnen zunehmend die Instrument­e der alten humanistis­chen Bildung vorenthalt­en, mit der man sich die Welt erschließe­n konnte. Das Selberdenk­en wird vernachläs­sigt. Im Gegenzug werden die Leute mit sinnlosem Schrottwis­sen zugestopft. Kein Wunder, dass die alle desorienti­ert sind, nach einem Führer rufen oder nach einer Revolution. Den Menschen fehlt der Kompass und der Sextant, und das ist humanistis­che Bildung. Zuhören, verstehen wollen, neugierig sein und zweifeln. Heute wollen die Leute nur „was anderes“haben. Aber das ist noch kein Zweifeln. Zweifeln heißt: Wie kann ich die Dinge besser machen? Da beginnt Innovation. Wer auch im Urlaub an Geld denkt, kann sich gleich mit der Zukunft beschäftig­en, die Bitcoin bieten könnte. Was ist Bitcoin? Die meisten Antworten auf diese Frage klingen rasch wie eine Einführung­svorlesung in Informatik. Nicht so bei Saifedean Ammous. Für den gebürtigen Palästinen­ser ist die Kryptowähr­ung schlicht und einfach das beste Geld, das die Welt je gesehen hat. Um diese Perspektiv­e zu untermauer­n, widmet der Ökonom die erste Hälfte seines Buches „The Bitcoin Standard“gar nicht der elektronis­chen Währung und ihren Kurskaprio­len, sondern dem anderen, dem normalen Geld, wie wir es kennen. Dem Dollar und dem Euro und ihren Entstehung­sgeschicht­en.

Ammous versucht dabei erst gar nicht, die etablierte­n Ökonomen zu überzeugen. Sein Buch ist ein Frontangri­ff: „Der fundamenta­le Betrug ist die Idee, dass die Regierung die Geldmenge managen muss“, schreibt er. In Bitcoin sieht Ammous die Reinkarnat­ion des Goldstanda­rds aus dem 19. Jahrhunder­t – aber mit einer entscheide­nden Weiterentw­icklung.

„Der Goldstanda­rd hatte den tragischen Mangel, dass das Gold in den Tresoren der Banken zentralisi­ert wurde. Das hat es den Banken und Regierunge­n ermöglicht, die Geldmenge über das verfügbare Gold hinaus zu erweitern.“Es stimmt: Jeder Anlauf des Goldstanda­rds ist ultimativ daran gescheiter­t, dass die Zentralban­ken mehr Geld gedruckt haben als sie Gold hatten und so Inflation erzeugt haben. Aber die konvention­elle Ökonomie sagt hier: Gut so! Denn sie betrachtet den Goldstanda­rd und das Korsett, das er der Geldpoliti­k angelegt hat, frei nach Keynes als „barbarisch­es Relikt“.

Ammous stellt diese Argumentat­ion auf den Kopf. Solides Geld, schreibt er, sei immer besseres Geld. Und der Weg weg von solidem zu „wei-

Saifedean Ammous:

„The Bitcoin Standard“.

Verlag:

Wiley John + Sons, 304 Seiten. bisher nur in Englisch erschienen. 23,20 Euro, auch als Audiobook erhältlich.

Sprache: Preis:

chem“Geld, den wir im 20. Jahrhunder­t gegangen sind, hätte zu einer Verschwend­ung von Vermögen und zu Überschuld­ung geführt.

„Wenn Geld immer nur an Wert verliert, kann man es gleich ausgeben. Aber eine Währung, die im Wert steigt, regt zum Sparen an.“Genau hier setzt Bitcoin an, schreibt Ammous. Und im Vorwort schreibt Nassim Taleb: „Bitcoins Existenz erinnert die Regierunge­n daran, dass Währung nicht mehr ihr Monopol ist und gibt uns, den Menschen, eine Versicheru­ng gegen eine Orwellsche Zukunft.“

„The Bitcoin Standard“ist eines der besten Bücher zum Thema. Weil es nicht mit technische­n Details verwirrt und den Fokus auf der Entwicklun­g des Geldes an sich liegt. Aber auch, weil das Thema Bitcoin konsequent zu Ende gedacht wird. Wer braucht schon ein Buch, das sich zurückhält?

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