Bitcoin verständlich gemacht und zu Ende gedacht
Wir leben diesbezüglich in finsteren Zeiten. Es gibt eine Pendelrückschlagbewegung, die zu Trump und anderen Anführern oder Missionaren führt. Wir waren alle in den 1990er-Jahren wesentlich liberaler. Wir sind in den Nullerjahren auch aufgrund des Terrors illiberaler geworden und erleben heute eine Wiederkehr des Totalitären. Das zeigt auch, wie untrainiert wir mit Veränderungen sind. Es findet eine Zuspitzung ins Negative statt, der aber dennoch eine deutliche Individualisierung folgen wird. Bedeutet das ein weiteres Auseinanderdriften der Gesellschaft? Nicht unbedingt. Der klassische junge Rechte und der klassische junge Linke unterscheiden sich doch kaum. Beide sind für Regulierung, für härtere Maßnahmen, für einen stärkeren Staat, sie sind aber gleichzeitig für alle Vorteile, die die Marktwirtschaft und der Kapitalismus bieten. Sie sind gegen das Gesamtsystem. Sie sind – um es offen zu sagen – ungebildet. Diese Ungebildeten trifft man aber in allen Bildungsschichten. Ja, auch bei den sogenannten Eliten, die unfähig sind, sich wirtschaftlich zu bilden. Aber noch nie gab es so viele Menschen mit guter Schulausbildung, mit Universitätsabschluss. Natürlich erhalten sie immer mehr Informationen, immer mehr Routinebildung. Aber es werden ihnen zunehmend die Instrumente der alten humanistischen Bildung vorenthalten, mit der man sich die Welt erschließen konnte. Das Selberdenken wird vernachlässigt. Im Gegenzug werden die Leute mit sinnlosem Schrottwissen zugestopft. Kein Wunder, dass die alle desorientiert sind, nach einem Führer rufen oder nach einer Revolution. Den Menschen fehlt der Kompass und der Sextant, und das ist humanistische Bildung. Zuhören, verstehen wollen, neugierig sein und zweifeln. Heute wollen die Leute nur „was anderes“haben. Aber das ist noch kein Zweifeln. Zweifeln heißt: Wie kann ich die Dinge besser machen? Da beginnt Innovation. Wer auch im Urlaub an Geld denkt, kann sich gleich mit der Zukunft beschäftigen, die Bitcoin bieten könnte. Was ist Bitcoin? Die meisten Antworten auf diese Frage klingen rasch wie eine Einführungsvorlesung in Informatik. Nicht so bei Saifedean Ammous. Für den gebürtigen Palästinenser ist die Kryptowährung schlicht und einfach das beste Geld, das die Welt je gesehen hat. Um diese Perspektive zu untermauern, widmet der Ökonom die erste Hälfte seines Buches „The Bitcoin Standard“gar nicht der elektronischen Währung und ihren Kurskapriolen, sondern dem anderen, dem normalen Geld, wie wir es kennen. Dem Dollar und dem Euro und ihren Entstehungsgeschichten.
Ammous versucht dabei erst gar nicht, die etablierten Ökonomen zu überzeugen. Sein Buch ist ein Frontangriff: „Der fundamentale Betrug ist die Idee, dass die Regierung die Geldmenge managen muss“, schreibt er. In Bitcoin sieht Ammous die Reinkarnation des Goldstandards aus dem 19. Jahrhundert – aber mit einer entscheidenden Weiterentwicklung.
„Der Goldstandard hatte den tragischen Mangel, dass das Gold in den Tresoren der Banken zentralisiert wurde. Das hat es den Banken und Regierungen ermöglicht, die Geldmenge über das verfügbare Gold hinaus zu erweitern.“Es stimmt: Jeder Anlauf des Goldstandards ist ultimativ daran gescheitert, dass die Zentralbanken mehr Geld gedruckt haben als sie Gold hatten und so Inflation erzeugt haben. Aber die konventionelle Ökonomie sagt hier: Gut so! Denn sie betrachtet den Goldstandard und das Korsett, das er der Geldpolitik angelegt hat, frei nach Keynes als „barbarisches Relikt“.
Ammous stellt diese Argumentation auf den Kopf. Solides Geld, schreibt er, sei immer besseres Geld. Und der Weg weg von solidem zu „wei-
Saifedean Ammous:
„The Bitcoin Standard“.
Verlag:
Wiley John + Sons, 304 Seiten. bisher nur in Englisch erschienen. 23,20 Euro, auch als Audiobook erhältlich.
Sprache: Preis:
chem“Geld, den wir im 20. Jahrhundert gegangen sind, hätte zu einer Verschwendung von Vermögen und zu Überschuldung geführt.
„Wenn Geld immer nur an Wert verliert, kann man es gleich ausgeben. Aber eine Währung, die im Wert steigt, regt zum Sparen an.“Genau hier setzt Bitcoin an, schreibt Ammous. Und im Vorwort schreibt Nassim Taleb: „Bitcoins Existenz erinnert die Regierungen daran, dass Währung nicht mehr ihr Monopol ist und gibt uns, den Menschen, eine Versicherung gegen eine Orwellsche Zukunft.“
„The Bitcoin Standard“ist eines der besten Bücher zum Thema. Weil es nicht mit technischen Details verwirrt und den Fokus auf der Entwicklung des Geldes an sich liegt. Aber auch, weil das Thema Bitcoin konsequent zu Ende gedacht wird. Wer braucht schon ein Buch, das sich zurückhält?