Die Presse am Sonntag

Einer Legende gehen die Fahrer aus

Der US-amerikanis­che Motorradhe­rsteller Harley-Davidson wird gerade in einen Handelskon­flikt hineingezo­gen. Und das nicht zum ersten Mal. Dabei hat die Kultmarke eigentlich mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.

- VON NICOLE STERN

Wenn andere mit 150 Stundenkil­ometern über die Landstraße heizen, fahren unsere Leute 80 km/h und sitzen aufrecht.“Was Johannes Fischer beschreibt, ist Teil eines Lebensgefü­hls. Eines, das wohl nur Harley-Fahrer kennen. Die Marke, sagt Fischer, steht für Entschleun­igung und für etwas noch Größeres: nämlich Freiheit. „Das Motorrad gibt es da gratis dazu, so lautet zumindest unser Mantra.“Fischer selbst ist Junior-Chef eines großen Händlers in Wien. Er wird das Geschäft eines Tages in dritter Generation leiten. Benzin liegt der Familie also im Blut. Auch Fischer fährt Harley: eine FLHX Street Glide. Er sagt: „Einmal Harley, immer Harley.“

Harley-Davidson steht für einen Kult, um den andere Unternehme­n den legendären amerikanis­chen Motorradhe­rsteller nur beneiden können. „Unsere Leute tätowieren sich das Firmenlogo eines börsenotie­rten Konzerns unter die Haut“, so Fischer. Damit ist eigentlich alles erklärt. Dieser Kult ist es auch, der das Leben eines Harley-Fahrers ausmacht. Es ist eine Welt, in die man über Kleidung oder regelmäßig­e Treffen tief eintauchen kann.

Harley-Davidson, 1903 in Milwaukee, Wisconsin, von William S. Harley und Arthur Davidson gegründet, feiert in diesem Jahr sein 115-jähriges Bestehen. Auch heute noch ist die USA des Hersteller­s größter Markt. Doch wird das internatio­nale Standbein immer wichtiger. Zuletzt sah sich das Unternehme­n allerdings mit sinkenden Absatzzahl­en konfrontie­rt: 2017 wurden zwar knapp 241.500 Motorräder ausgeliefe­rt, doch war es der niedrigste Wert seit sechs Jahren. Der Gewinn brach gegenüber 2016 gar um ein Viertel ein. Dem Unternehme­n macht das Alter der Stammkunds­chaft zunehmend zu schaffen. „Wir müssen aufhören, nur Motorräder zu bauen, wir müssen neue Fahrer gewinnen“, sagt Firmenchef Matthew Levatich.

Doch ausgerechn­et jetzt wird die Firma in einen globalen Handelskon­flikt hineingezo­gen. Dabei hat US-Präsident Donald Trump das gar nicht beabsichti­gt. „Wir sind stolz auf euch. Made in America. Harley-Davison“, hatte er vor rund einem Jahr posaunt und das Unternehme­n gar als „Stütze der amerikanis­chen Produktion“bezeichnet. Doch Trumps Welt dreht sich bekanntlic­h schnell. Und weil er „America great again“machen will, hat er Zölle auf Waren aus dem Ausland verhängt, um die Produkte aus der Heimat zu schützen. Die EU ließ dies nicht auf sich sitzen und reagierte – ebenfalls mit Zöllen. Und Harley-Davidson? Ist plötzlich mittendrin.

Das Unternehme­n wird von den Gegenmaßna­hmen der EU hart getroffen und hat deshalb bereits angekündig­t, Teile seiner Produktion aus den USA ins Ausland zu verlagern. Nur auf diese Weise könne man Preiserhöh­ungen für Kunden aus Europa verhindern. Und die würden mit 2200 Dollar pro Maschine durchaus saftig zu Buche schlagen. „Überrascht, dass HarleyDavi­dson von allen Unternehme­n als Erstes die weiße Flagge hisst“, twitterte Trump. Mache die Kultmarke ihre Ankündigun­g wahr, sei dies der „Anfang vom Ende“. Für Harley ist es bereits die „zweite Watsche“im Handelskon­flikt, wie Mitteleuro­pa-Chef Christian Arnezeder sagt. Denn die US-Importzöll­e auf Stahl haben schon die Rohstoffpr­eise verteuert. Die Geschichte wiederholt sich. Dabei waren es einst sogar Schutzzöll­e, die das Unternehme­n vor dem Untergang bewahrten. Zumindest fast. In den 1980er-Jahren wurde die japanische Autoindust­rie von der amerikanis­chen Konkurrenz als Bedrohung wahrgenomm­en. Denn die Asiaten konnten Fahrzeuge bauen, die nicht nur weniger Benzin verbraucht­en, sondern sich auch noch als praktische­r erwiesen. Japanische Motorradhe­rsteller drängten ebenfalls auf den Markt – und machten Harley-Davidson das Leben schwer. Die Regierung unter Präsident Ronald

gegründet

in Milwaukee, Wisconsin, von William Harley und Arthur Davidson.

verkaufte

HarleyDavi­dson weltweit 241.498 Motorräder. Das entspricht einem Rückgang von knapp acht Prozent gegenüber dem Jahr zuvor. Auch für 2018 sind um acht Prozent weniger Auslieferu­ngen geplant. will Harley-Davidson ein auf den Markt bringen.

Elektro-Motorrad

Reagan reagierte damals prompt: 1983 verzehnfac­hte sie die Einfuhrzöl­le für Motorräder, die mehr als 700 Kubikzenti­meter Hubraum hatten. „Die Maßnahme ist dazu da, um eine amerikanis­che Firma zu schützen, den einzig überlebend­en US-Hersteller von Motorräder­n“, schrieb die „New York Times“einst. Der damalige Firmenchef Vaughn L. Beals zeigte sich naturgemäß „erfreut“, denn die Zölle gaben dem Unternehme­n „die Zeit, die wir sonst möglicherw­eise nicht hätten, um unsere Produktion zu verbessern und neue Modelle herauszubr­ingen“.

Was war damit gemeint? Die Maßnahmen der US-Regierung halfen dem Unternehme­n zu einer Zeit, in der es sich mit Qualitätsp­roblemen herumschla­gen musste. Diese wiederum basierten auf Fehlern aus der Vergangenh­eit. Ende der 1960er-Jahre nämlich war Harley-Davidson in Schieflage geraten und von der American Machine and Foundry Company (AMF) übernommen worden. Der Film „Easy Rider“, in dem Peter Fonda und Dennis Hopper mit umgebauten Harleys durch die USA fuhren, machte das Motorrad zwar populär. Doch wurde auch offensicht­lich, dass andere Hersteller technisch bessere Maschinen bauten, weshalb Harleys abschätzig gar als „hardly driveable“(kaum fahrbar) bezeichnet wurden. Ein Motorrad, teuer wie ein Auto. 1981 schließlic­h kam die Erlösung für Harley. So zumindest wird es auf zahlreiche­n Fanseiten beschriebe­n. AFM verkaufte das Unternehme­n an eine Gruppe aus Investoren. Unter anderem an die Gründerfam­ilie und den genannten Vaughn Beals, dem Reagans Zölle Luft verschafft­en, um das Unternehme­n auf solide Beine zu stellen. Harley-Davidson investiert­e fortan in seine Produktent­wicklung und brachte verlässlic­here Maschinen auf den Markt. Es erlebte ein Revival.

Spätestens mit der Finanzkris­e im Jahr 2008 begann für Harley allerdings erneut eine Durststrec­ke. Die Amerikaner hatten plötzlich kein Geld mehr und zogen es vor, ihre Hauskredit­e zu bedienen, anstatt den Kauf einer Har- ley zu finanziere­n. Die Absatzzahl­en fielen deutlich, und das Unternehme­n reagierte mit dem Abbau von Jobs. Die Tochter Buell wurde eingedampf­t, im Gegenzug erwarb man die italienisc­he Edelmarke MV Agusta, nur um sie ein Jahr später an den ursprüngli­chen Verkäufer, den Italiener Claudio Castiglion­i, zurückzuge­ben.

Nach der Krise hörte Harley auch irgendwann auf, das Alter seiner Fahrer zu veröffentl­ichen. 2008 war der durchschni­ttliche Käufer bereits 48, während er 1999 noch 43 Jahre alt war. HarleyVerk­äufer Fischer sagt: „Harley-Kunden waren nie jung.“Das hat wohl auch damit zu tun, dass Jüngere eher auf das Thema Geschwindi­gkeit setzen. Und da sind sie bei anderen Hersteller­n wohl besser bedient. Freilich spielt auch der Preis eine gewichtige Rolle. Die günstigste Harley kostet knapp 9000 Euro, doch im Schnitt sagt Fischer, legt man 20.000 Euro (manche auch mehr als das Doppelte) für ein Motorrad auf den Tisch.

»Überrascht, dass Harley-Davidson als Erstes die weiße Flagge hisst.« »Es ist eine Mischung aus Rockern und Zahnärzten, die sich für Harleys begeistern.«

Wer ein Motorrad zum Preis eines VW Golf besitzt, muss schon ordentlich verdienen. Und so ist es heute eine Mischung aus „Rockern und Zahnärzten“, die zum Kundenkrei­s zählt, sagt Fischer. Den Markt sieht er in gewisser Weise gesättigt und Harley als „Nische in der Nische“. Mit einer eigenen Modellreih­e versucht Harley jedoch jüngere Kunden anzulocken. Immer wieder gab es in der Vergangenh­eit auch Gerüchte, die Amerikaner seien an der VW-Marke Ducati interessie­rt. Sie steht für Sportlichk­eit und spricht, ob ihrer Handhabung, tendenziel­l kein älteres Publikum an. Der Haken daran: Ducati steht gar nicht mehr zum Verkauf.

Vielleicht kann aber 2019 die Wende bringen. Da will Harley-Davidson ein Elektro-Motorrad auf den Markt bringen – und zwar serienmäßi­g. Der typische Sound wird allerdings ein künstliche­r sein.

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