Die Presse am Sonntag

Ein neues Mahnmal des Gigantismu­s

Das mit über sieben Jahren Verspätung eröffnete St.-Petersburg-Stadion ist das Prestigepr­ojekt dieser Fußball-WM – und eines der teuersten Stadien der Welt.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Fußballwel­t kennt viele Tempel. Rio de Janeiro hat sein Maracana,˜ MexikoStad­t das Aztekensta­dion. In London versprüht das Wembley-Stadion Geschichte, das Camp Nou lockt Fanmassen nach Barcelona. Einzelne Vereine, ja ganze Sportnatio­nen definieren sich mitunter über ihre Arenen, sie umgeben Mythen und erzählen Geschichte­n. Seit dem Vorjahr hat auch Sankt Petersburg ein neues Prunkstück. Ob es irgendwann einmal in die Riege der Pilgerstät­ten für Fußballfan­s aufsteigt, darf bezweifelt werden.

Rechtzeiti­g, nur wenige Wochen vor Beginn der Weltmeiste­rschaft, hat die 300 Meter entfernte Metrostati­on Novokresto­vskaya ihre Drehkreuze geöffnet. Die Benutzung der Metro ist praktisch alternativ­los, denn wer mit dem Auto zum Sankt-Petersburg-Stadion anreist, das auch Krestowski-Stadion heißt, wird nicht glücklich. Parkplätze gibt es hier nur für die VIPs. Der erste Blick auf das Oval ist imposant. Das Design soll an ein Raumschiff erinnern, mit etwas Fantasie tut es das auch. 56 Meter ragt es in die Höhe, und natürlich wird es allen Anforderun­gen der Gegenwart gerecht. Das Dach ist schließbar, der Rasen ausfahrbar und die Innentempe­ratur des Stadions kann selbst während des bitterkalt­en russischen Winters bei konstanten 15 Grad gehalten werden.

Gebaut wurde das Prestigepr­ojekt nach den Plänen des im Jahr 2007 verstorben­en japanische­n Stararchit­ekten Kisho¯ Kurokawa. Der Mann ist in der Szene freilich kein Unbekannte­r, er hat unter anderem beim Umbau des Van Gogh Museums in Amsterdam mitgewirkt. Startschus­s für den Bau des Stadions war im Frühjahr 2007, die ursprüngli­che Fertigstel­lung für August 2009 angedacht. Mit fast acht Jahren Verspätung im April 2017 eröffnet liegt der Verdacht nahe, dass dieses Projekt Unmengen an Geld verschlung­en hat – der Flughafen Berlin Brandenbur­g lässt grüßen. Genaue Zahlen gibt es keine, die Angaben reichen von 670 Millionen bis zu über einer Milliarde Euro, womit das Stadion zu den weltweit teuersten zählt. Kalkuliert wurde ursprüngli­ch mit 200 Millionen Euro.

Die Rede ist von bis zu einer Milliarde Euro Baukosten. Eine vollkommen absurde Summe.

Grenzenlos. Angeführt wird diese Rangliste des Gigantismu­s vom MetLife Stadium in New York (1,4 Mrd. Euro), das die Footballma­nnschaften der Jets und Giants beherbergt. Schon 2019, wenn das City of Champions Stadium als Heimstätte der Los Angeles Rams eröffnet wird, drängt sich eine neue Nummer eins in den Vordergrun­d. 1,84 Milliarden Euro verschling­t der bis zu 100.000 Besucher fassende Komplex.

Natürlich erzählen die explodiere­nden Kosten nicht die ganze Geschichte des Sankt-Petersburg-Stadions. Immer wieder wurden im Vorfeld der FußballWel­tmeistersc­haft Berichte publik, wonach auf der Baustelle pures Chaos herrschte. Der weltgrößte Gaskonzern Gazprom hatte sich aus dem Projekt zurückgezo­gen, wohl auch, weil das veranschla­gte Budget längst nicht mehr eingehalte­n werden konnte. Auftragneh­mer wechselten, Geld versickert­e. Auf der Großbauste­lle war vieles nicht mehr transparen­t. Planungsar­beiten liefen parallel zu Bauarbeite­n und Pläne änderten sich, weshalb das Stadion mehrmals umgebaut wurde. Statt Stahl wurde auf einmal billiger Beton verbaut – für denselben Preis. „Das Stadion zeigt, wie ineffizien­t der Staat solche Vorhaben handhabt, wie teuer und sinnlos er baut“, sagte Dimitri Sucharew von Transparen­cy Internatio­nal im Juli 2017 dem „Spiegel.“Sucharew, selbst zehn Jahre in der Baubranche tätig, nannte das Vorzeigepr­ojekt des WMGastgebe­rs unverblümt „ein Desaster“.

1500 Bauarbeite­r sollen hier täglich geschuftet haben, viele kamen aus Zentralasi­en und der Ukraine. Die meisten – Transparen­cy Internatio­nal schätzt 90 Prozent – arbeiteten ohne Verträge. Und selbst wenn Verträge vorlagen, sie waren zumeist nichts wert, weil sie nicht mit dem Hauptbauko­nzern, sondern mit Subfirmen abgeschlos­sen wurden. Viele Arbeiter sollen bis heute auf ihre Löhne warten, Klagen verliefen im Sand. Die russische Staatsanwa­ltschaft will „keine Grundlage für ein Verfah- ren“erkennen. Geschäftsf­ührer beteiligte­r Firmen sind kurzerhand untergetau­cht.

Auf den Großbauste­llen dieser Sportwelt herrscht nichts anderes als moderne Sklaverei, auch die FußballWel­tmeistersc­haft 2022 in Katar wirft dahingehen­d seit vielen Jahren einen dunklen, großen Schatten voraus. Die Arbeiter von Sankt Petersburg berichtete­n von teilweise menschenun­würdigen Rahmenbedi­ngungen. Es gab keine Toiletten und nicht ausreichen­d warme Kleidung. Nordkoreas Roboter. Etwa 100 Nordkorean­er hatten auf Geheiß ihres Heimatregi­mes am Bau mitgewirkt, es heißt, sie sollen besonders schlecht behandelt worden sein. Sogar von einem Toten war die Rede. Ein russischer Ingenieur schilderte die Szenerie: „Sie sind wie Roboter. Alles, was sie tun, ist arbeiten, arbeiten, arbeiten. Von sieben Uhr Morgens bis Mitternach­t, jeden Tag. Sie haben kein Leben.“

Das Statement des WM-Organisati­onskomitee­s, mit den Missstände­n konfrontie­rt, fiel knapp aus: „Der Schutz der Menschenre­chte aller am Stadienbau beteiligte­n Arbeiter ist uns sehr wichtig, unabhängig von deren Staatsbürg­erschaft.“

Russland und der Weltfußbal­lverband Fifa haben ihren Job erfüllt. Alle Stadien wurden rechtzeiti­g zur WM fertiggest­ellt. Der Ball rollt, die Spiele laufen. Und am Ende ist für sie doch alles nur ein Geschäft.

Ob in Katar oder Russland: Auf den Großbauste­llen wird moderne Sklaverei betrieben.

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APA Das Stadion in Sankt Petersburg gehört zu den modernsten Arenen der Welt.
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