Ein neues Mahnmal des Gigantismus
Das mit über sieben Jahren Verspätung eröffnete St.-Petersburg-Stadion ist das Prestigeprojekt dieser Fußball-WM – und eines der teuersten Stadien der Welt.
Die Fußballwelt kennt viele Tempel. Rio de Janeiro hat sein Maracana,˜ MexikoStadt das Aztekenstadion. In London versprüht das Wembley-Stadion Geschichte, das Camp Nou lockt Fanmassen nach Barcelona. Einzelne Vereine, ja ganze Sportnationen definieren sich mitunter über ihre Arenen, sie umgeben Mythen und erzählen Geschichten. Seit dem Vorjahr hat auch Sankt Petersburg ein neues Prunkstück. Ob es irgendwann einmal in die Riege der Pilgerstätten für Fußballfans aufsteigt, darf bezweifelt werden.
Rechtzeitig, nur wenige Wochen vor Beginn der Weltmeisterschaft, hat die 300 Meter entfernte Metrostation Novokrestovskaya ihre Drehkreuze geöffnet. Die Benutzung der Metro ist praktisch alternativlos, denn wer mit dem Auto zum Sankt-Petersburg-Stadion anreist, das auch Krestowski-Stadion heißt, wird nicht glücklich. Parkplätze gibt es hier nur für die VIPs. Der erste Blick auf das Oval ist imposant. Das Design soll an ein Raumschiff erinnern, mit etwas Fantasie tut es das auch. 56 Meter ragt es in die Höhe, und natürlich wird es allen Anforderungen der Gegenwart gerecht. Das Dach ist schließbar, der Rasen ausfahrbar und die Innentemperatur des Stadions kann selbst während des bitterkalten russischen Winters bei konstanten 15 Grad gehalten werden.
Gebaut wurde das Prestigeprojekt nach den Plänen des im Jahr 2007 verstorbenen japanischen Stararchitekten Kisho¯ Kurokawa. Der Mann ist in der Szene freilich kein Unbekannter, er hat unter anderem beim Umbau des Van Gogh Museums in Amsterdam mitgewirkt. Startschuss für den Bau des Stadions war im Frühjahr 2007, die ursprüngliche Fertigstellung für August 2009 angedacht. Mit fast acht Jahren Verspätung im April 2017 eröffnet liegt der Verdacht nahe, dass dieses Projekt Unmengen an Geld verschlungen hat – der Flughafen Berlin Brandenburg lässt grüßen. Genaue Zahlen gibt es keine, die Angaben reichen von 670 Millionen bis zu über einer Milliarde Euro, womit das Stadion zu den weltweit teuersten zählt. Kalkuliert wurde ursprünglich mit 200 Millionen Euro.
Die Rede ist von bis zu einer Milliarde Euro Baukosten. Eine vollkommen absurde Summe.
Grenzenlos. Angeführt wird diese Rangliste des Gigantismus vom MetLife Stadium in New York (1,4 Mrd. Euro), das die Footballmannschaften der Jets und Giants beherbergt. Schon 2019, wenn das City of Champions Stadium als Heimstätte der Los Angeles Rams eröffnet wird, drängt sich eine neue Nummer eins in den Vordergrund. 1,84 Milliarden Euro verschlingt der bis zu 100.000 Besucher fassende Komplex.
Natürlich erzählen die explodierenden Kosten nicht die ganze Geschichte des Sankt-Petersburg-Stadions. Immer wieder wurden im Vorfeld der FußballWeltmeisterschaft Berichte publik, wonach auf der Baustelle pures Chaos herrschte. Der weltgrößte Gaskonzern Gazprom hatte sich aus dem Projekt zurückgezogen, wohl auch, weil das veranschlagte Budget längst nicht mehr eingehalten werden konnte. Auftragnehmer wechselten, Geld versickerte. Auf der Großbaustelle war vieles nicht mehr transparent. Planungsarbeiten liefen parallel zu Bauarbeiten und Pläne änderten sich, weshalb das Stadion mehrmals umgebaut wurde. Statt Stahl wurde auf einmal billiger Beton verbaut – für denselben Preis. „Das Stadion zeigt, wie ineffizient der Staat solche Vorhaben handhabt, wie teuer und sinnlos er baut“, sagte Dimitri Sucharew von Transparency International im Juli 2017 dem „Spiegel.“Sucharew, selbst zehn Jahre in der Baubranche tätig, nannte das Vorzeigeprojekt des WMGastgebers unverblümt „ein Desaster“.
1500 Bauarbeiter sollen hier täglich geschuftet haben, viele kamen aus Zentralasien und der Ukraine. Die meisten – Transparency International schätzt 90 Prozent – arbeiteten ohne Verträge. Und selbst wenn Verträge vorlagen, sie waren zumeist nichts wert, weil sie nicht mit dem Hauptbaukonzern, sondern mit Subfirmen abgeschlossen wurden. Viele Arbeiter sollen bis heute auf ihre Löhne warten, Klagen verliefen im Sand. Die russische Staatsanwaltschaft will „keine Grundlage für ein Verfah- ren“erkennen. Geschäftsführer beteiligter Firmen sind kurzerhand untergetaucht.
Auf den Großbaustellen dieser Sportwelt herrscht nichts anderes als moderne Sklaverei, auch die FußballWeltmeisterschaft 2022 in Katar wirft dahingehend seit vielen Jahren einen dunklen, großen Schatten voraus. Die Arbeiter von Sankt Petersburg berichteten von teilweise menschenunwürdigen Rahmenbedingungen. Es gab keine Toiletten und nicht ausreichend warme Kleidung. Nordkoreas Roboter. Etwa 100 Nordkoreaner hatten auf Geheiß ihres Heimatregimes am Bau mitgewirkt, es heißt, sie sollen besonders schlecht behandelt worden sein. Sogar von einem Toten war die Rede. Ein russischer Ingenieur schilderte die Szenerie: „Sie sind wie Roboter. Alles, was sie tun, ist arbeiten, arbeiten, arbeiten. Von sieben Uhr Morgens bis Mitternacht, jeden Tag. Sie haben kein Leben.“
Das Statement des WM-Organisationskomitees, mit den Missständen konfrontiert, fiel knapp aus: „Der Schutz der Menschenrechte aller am Stadienbau beteiligten Arbeiter ist uns sehr wichtig, unabhängig von deren Staatsbürgerschaft.“
Russland und der Weltfußballverband Fifa haben ihren Job erfüllt. Alle Stadien wurden rechtzeitig zur WM fertiggestellt. Der Ball rollt, die Spiele laufen. Und am Ende ist für sie doch alles nur ein Geschäft.
Ob in Katar oder Russland: Auf den Großbaustellen wird moderne Sklaverei betrieben.