Todesurteil Down-Syndrom
Der 26-jährige Pal Singh ist ein talentierter Tänzer – und hat Down-Syndrom. In seiner Heimat Indien wurde er deswegen misshandelt. Nun soll er aus Österreich abgeschoben werden.
Wenn Pal tanzt, ist die Welt in Ordnung. Seine Beine bewegen sich mühelos zu den pulsierenden Rhythmen, seine Arme schwingen mit. Mit dem Kopf wippt er hin und her. Wenn Pal tanzt, kann er nicht aufhören zu lächeln. Er strahlt. Tanzen macht ihn glücklich, tanzen ist seine Welt.
Es war ein weiter Weg für Harsimran Sha Singh, den alle Pal nennen, bis er in dieser Welt ankam. Geboren wurde Pal mit Down-Syndrom im indischen Bundesstaat Punjab. Dort war er ein Ausgestoßener, der wegen seiner Behinderung verfolgt, geschlagen und bedroht wurde. Mit seiner Familie floh der heute 26-Jährige nach Wien, wo er im Verein „Ich bin O. K.“eine neue Heimat fand. Dort erlebten Pal und seine Eltern erstmals Normalität und Wertschätzung. Beim Verein, der Menschen mit Down-Syndrom mit Tanzperformances ins kulturelle Leben einbindet, wurde Pals Talent als Tänzer entdeckt und gefördert. Pal ist in der aktuellen Produktion die Hauptfigur: „Pal, mein Bruder“erzählt die Geschichte des jungen Inders und seiner Schwester Jasmeet, die ebenfalls im Stück mitspielt. Doch dem Star des Tanzvereins droht nun die Abschiebung aus Österreich: Die Familie hat aufgrund seiner geistigen Behinderung um Asyl angesucht, ein würdevolles Leben für einen Menschen mit DownSyndrom ist in Indien kaum möglich. Diese Woche hat die Familie erfahren, dass sie nicht bleiben darf. Pal und seine Eltern könnten jederzeit ausgewiesen werden, eine aufschiebende Wirkung wurde ihnen aberkannt. Der Familie wird so die Chance auf ein ordnungsgemäßes Verfahren genommen.
Mit einer geistigen Behinderung geboren zu werden, kommt in Indien für viele einem Todesurteil gleich. Familien mit einem behinderten Kind sind meist auf sich allein gestellt und mit sozialer Ächtung konfrontiert. Betreuungseinrichtungen sind kaum vorhanden. Laut einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) verfügt Indien über 43 staatliche Behinderteneinrichtungen. Und diesen wenigen Einrichtungen werden verheerende Noten gegeben: chronisch unterfinanziert, zu wenig Personal, völlig überbelegt. Die Folge: katastrophale hygienische Zustände, Misshandlungen und Gewalt gegen jene, die Schutz bräuchten.
In der Asha-Kiran-Klinik für psychische Gesundheit in Delhi etwa sind 900 Menschen untergebracht, obwohl für nur 350 Platz ist. 215 Pfleger stehen zur Verfügung. Pro Jahr sterben rund 60 vernachlässigte Patienten. Sechs bis sieben Prozent der indischen Bevölkerung leiden an einer geistigen Behinderung (inkl. Down-Syndrom), davon geht das indische Gesundheitsministerium aus. Bei einer Gesamtbevölkerungszahl von rund 1,3 Milliarden sind das also bis zu neun Millionen. Doch nur etwa 0,06 Prozent des gesamten Budgets Indiens wird für psychische Gesundheit aufgewendet. In Indien werden jährlich schätzungsweise zwischen 23.000 und 29.000 Kinder mit Down-Syndrom geboren. Aufklärung darüber, was sie brauchen, gibt es kaum. Immer wieder werden Kinder ausgesetzt und auf der Straße sich selbst überlassen.
Ärzte boten an, den Sohn zu töten. Pals Eltern entschieden sich aber für sein Leben.
Zunge abgeschnitten. „In Indien war das Leben nicht gut zu uns“, sagt Gobinder Singh, Pals Vater. Er und Pals Mutter, Harbhajan Kaur, haben in den Proberäumen des Tanzvereins Platz genommen. Gobinder trägt einen Turban, sein Bart ist akkurat gestutzt. Seine Frau streicht ihre bestickte Tunika glatt. Die Familie gehört der Religionsgruppe der Sikhs an, die im nordindischen Punjab den Großteil der Bevölkerung ausmachen, in ganz Indien aber eine Minderheit von nicht einmal zwei Prozent sind. „Als wir Pal bekommen haben, hat uns unsere Verwandtschaft gratuliert“, erzählt Gobinder, der bis zu seiner Pensionierung in einer Bank arbeitete. Immerhin habe die Geburt eines Sohnes in seiner Kultur einen großen Stellenwert. „Als sie aber hörten, dass er Down-Syndrom hat, haben uns auf einmal alle gemieden.“
Sätze, die die Eltern immer wieder zu hören bekamen, hallen noch heute nach: „Er ist eine Belastung“, „er macht euer Leben kaputt“, „er ist zu nichts gut“. Ärzte boten den Eltern sogar an, das Leben des Kindes mit einer Injektion zu beenden. Gobinder und seine Frau entschieden sich für ihren Sohn.
Pals Eltern wollen ihn so gut es geht fördern: Er erhält einen Platz in einer teuren Einrichtung speziell für Kinder mit dieser Art von genetischer Fehlentwicklung. Nach nur einem Tag nehmen sie den Buben aber wieder aus der Betreuungsstätte, denn dort werden die Kinder geschlagen, verdor-