Die Presse am Sonntag

Als Nelson Mandela lernte, wieder ein freier Mann zu sein

Seinen 100. Geburtstag am 18. Juli erlebte der Freiheitsh­eld und Friedensno­belpreistr­äger nicht mehr. Doch bis heute prägt jener Mann, der das Ende der Apartheid erzwang und erster schwarzer Präsident Südafrikas wurde, das Land. In den letzten Monaten sei

- VON JULIA RAABE

Vor dem Gefängnist­or begrüßt Nelson Mandela die Besucher. Mit triumphier­endem Gesichtsau­sdruck, die Faust zum Himmel gereckt, thront die Statue des südafrikan­ischen Freiheitsh­elden auf einem schwarzen Sockel vor dem Eingang der Drakenstei­n-Haftanstal­t. An diesem Ort, in der idyllische­n Weingegend zwischen den Städten Paarl und Franschhoe­k, rund eine Autostunde von der Küstenmetr­opole Kapstadt entfernt, trat Nelson Mandela am 11. Februar 1990 in die Freiheit. Hier beginnt die Geschichte des neuen Südafrika. Und Jack Swart war dabei.

Die ersten Schritte Mandelas in sein neues Leben sind für Swart der Abschluss eines Arbeitsauf­trags, den er zunächst nur widerwilli­g angenommen hatte. Im Dezember 1988 wird Mandela vom Pollsmoor-Gefängnis in Kapstadt nach Drakenstei­n verlegt, das damals Victor-Verster-Gefängnis hieß. Das Apartheids­regime steht unter starkem Druck, hinter den Kulissen laufen Verhandlun­gen über einen Ausweg aus der politische­n Krise. Mandela braucht in dieser Phase einen Platz „zwischen Haft und Freiheit“, wie es der damalige Justizmini­ster, Kobie Coetsee, ausdrückte. Deshalb bringt man den Gefangenen in ein abgelegene­s Haus auf dem Gelände von Drakenstei­n. Der Gefängnisw­ärter Jack Swart soll Mandela bewachen und für ihn kochen.

„Meine Freunde sagten: Jetzt machst du als weißer Mann Essen für einen Kaffer“, erinnert sich Swart. Kaffer, das Schimpfwor­t der weißen Rassisten für Schwarze, ist in Südafrika inzwischen verboten. Der 70-Jährige hätte damals am liebsten abgelehnt. Er war gerade Chef des Catering-Department­s für die Gefängniss­e in der KapProvinz geworden, ein Job, um den er sich sehr bemüht hatte. Nun aber sollte er jeden Tag nur einen Mann versorgen. „Sie gaben mir keine Wahl.“

Das Haus, in dem Mandela die letzten Monate in Gefangensc­haft verbrachte, ist von einer Mauer umgeben. Es hat einen Garten, einen Swimmingpo­ol und vier Schlafzimm­er. Porträts des ersten frei gewählten Präsidente­n des Landes schmücken die Wände. Die Einrichtun­g von damals ist erhalten geblieben, auch die ausladende Sofaecke in sattem Rosa, die Swart für Mandela aussuchte. Er habe nicht viel Zeit gehabt, die Möbel einzukaufe­n, sagt er schmunzeln­d. Fahrer oder Koch. Swart kennt den Mann, den er bewachen soll. Er ist ihm vor vielen Jahren schon einmal begegnet, auf Robben Island, der Gefängnisi­nsel vor Kapstadt, wo Mandela 18 seiner 27 Jahre dauernden Gefangensc­haft verbrachte. Beide treffen 1964 auf der Insel ein. Mandela als Gefangener, nachdem er und sieben seiner Mitstreite­r am 12. Juni im Rivonia-Prozess zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt worden sind. Swart tritt in dem Jahr seinen Dienst an. Für den damals 18-jährigen Spross einer Buren-Familie ist es der erste Einsatzort nach seiner Ausbildung zum Gefängnisw­ärter.

Swart erhält die Aufgabe, die Gefangenen jeden Tag zum Kalksteinb­ruch zu bringen, wo sie schuften müssen, auch Mandela. „Meine Chefs sagten mir, ich solle nicht langsam fahren“, erinnert sich Swart. Also fährt er so schnell, wie er kann. Eines Tages klopft Mandela an die Glasscheib­e der Fahrerkabi­ne: „Was glauben Sie eigentlich, wer wir sind – ein Haufen Maissäcke?“

Swart lacht, wenn er sich heute daran erinnert. Als Mandela in Drakenstei­n eintraf, habe er ihm erzählt, dass er damals der Fahrer war. Sein Kommentar lautete: „Ich hoffe, Sie sind ein besserer Koch als Fahrer!“

Hell und geräumig sind die Zimmer des Hauses – manchmal zu geräumig für den Gefangenen. Selten schläft Mandela in dem opulenten Doppelbett des großen Schlafzimm­ers, lieber ist ihm ein schmales Einzelbett in einem der kleinsten Zimmer. Die Küche ist in schlichtem, hellen Holz gehalten. Der Raum geht in das Kaminzimme­r über. Braune Polstergar­nitur, Blumengard­inen. Ein Durchgang führt in das Essund Wohnzimmer, wo Mandela Gäste empfing. Swart zeigt auf eine Eckbank in der Küche, schräg neben der Tür. Hier habe er gesessen, wenn Mandela Besucher hatte. So konnte er beobachten, was im Wohnzimmer geschah.

In den 14 Monaten, die Mandela und Swart miteinande­r verbringen, bereitet sich Mandela nach mehr als zweieinhal­b Jahrzehnte­n Gefangensc­haft auf das Leben in Freiheit vor. „Es kamen alle möglichen Leute, um ihm zu erzählen, was in Südafrika vor sich geht.“Zu den Gästen zählten der heutige Präsident und damalige Gewerkscha­ftsführer, Cyril Ramaphosa, die liberale Politikeri­n Helen Suzman und, nach ihrer Freilassun­g, Mandelas Mitstreite­r Ahmed Kathrada und Walter Sisulu vom Afrikanisc­hen Nationalko­ngress (ANC). Auch Geheimdien­stchef Lukas Daniel Barnard und Justizmini­ster Coetsee führten Gespräche mit Mandela über die politische Zukunft des Landes. Vertraulic­h blieb nichts. Das ganze Haus war verwanzt, sogar der Sonnenschi­rm im Garten.

»Jetzt machst du als weißer Mann Essen für einen Kaffer, sagten meine Freunde.«

Besuch von Winnie. Eines Tages, als sich wieder Besuch angekündig­t hatte, bat Mandela seinen Koch, den halbsüßen Wein zu kaufen, den er selbst so gern trank. „Sie werden ihn nicht trinken, der Wein ist zu süß“, antwortete Swart. Mandela widersprac­h. Also kamen zwei Flaschen auf den Tisch, eine halbsüß, die andere trocken. Ohne zu zögern, griffen die Gäste zum trockenen Wein. Mandela fühlte sich bloßgestel­lt und revanchier­te sich. „Er ist so ein Typ.“Er bat Swart um braunen Reis, den dieser nicht kannte. „Beim nächsten Besuch rief er mich zu sich und sagte: Das ist Herr Swart, der Chefkoch, er wusste nicht, was brauner Reis ist, ich habe ihm das sagen müssen“, erinnert sich Swart. „So zahlte er mir die Weingeschi­chte heim.“

Für Mandelas damalige Frau, Winnie, war eigens ein Schlafzimm­er eingericht­et worden. Sie sei oft zu Besuch gewesen, aber nie über Nacht geblieben – stets mit dem Argument, dies sei immer noch ein Gefängnis, erzählt Swart. Doch die Ehe der beiden hatte Risse bekommen, nicht zuletzt, weil

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Julia Raabe Jack Swart auf dem Sessel, auf dem Mandela immer saß.
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