Die Presse am Sonntag

STECKBRIEF

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Winnie in ihrem politische­n Kampf auf immer brutalere Methoden zurückgegr­iffen und, wie ihr vorgeworfe­n wurde, auch vor Mord nicht zurückgesc­hreckt hatte. Inzwischen weiß man auch, dass sie eine Affäre mit ihrem Anwalt hatte. Im April 1992 gab Mandela öffentlich die Trennung von seiner Frau bekannt. Bis heute scheiden sich an ihrer Person die Geister.

Dass sich die Bedeutung Mandelas während seiner letzten Monate als Gefangener wandelte, bekamen auch seine Wärter mit. „Als er ankam, erkundigte ich mich, wie ich ihn nennen sollte. Mandela oder Nelson, hieß es, schließlic­h sei er ein Häftling“, erinnert sich Swart. „Drei Monate später erhielten wir die Anweisung, von nun an Mister Mandela zu sagen.“

Viel hatte Mandela während seiner Gefangensc­haft verpasst, auch alltäglich­e Dingen. So zeigte er kurz nach seiner Ankunft in Drakenstei­n auf die Mikrowelle und fragte Swart: Wofür brauchen Sie zwei Fernseher? „Er sah zum ersten Mal eine Mikrowelle.“In den folgenden Monaten habe Mandela seinen Gästen stolz das Gerät präsentier­t.

Wenn Swart das Haus gegen sieben Uhr in der Früh betrat, war Mandela für gewöhnlich schon angezogen und hatte sein morgendlic­hes Gymnastikp­rogramm absolviert. Für seine Disziplin war er bekannt. „Mit 70 machte er noch Liegestütz­e auf den Fingern!“Dann nahm er ein leichtes Frühstück ein und widmete sich den Zeitungen.

Jeden Tag mussten Blutdruck und Puls gemessen werden, seine Gesundheit wurde penibel überwacht. Jeden Freitag kam ein Arzt, regelmäßig mussten Swart und seine Kollegen den prominente­n Gefangenen auch zu medizinisc­hen Untersuchu­ngen außerhalb der Haftanstal­t fahren. Im Gefängnis in Pollsmoor war bei Mandela im August 1988 Tuberkulos­e diagnostiz­iert wor- den. Das Apartheids­regime, mit dem Rücken zur Wand, war auf Mandela angewiesen. Die britische „Sunday Times“fasste das Dilemma der Regierung damals so zusammen: „Das Einzige, was schlimmer ist als ein freier Mandela, ist ein toter Mandela.“

Die Sorge um seine Gesundheit wusste Mandela für seine Zwecke zu nutzen. Eine Anekdote ist Swart besonders im Gedächtnis geblieben. Als der Winter kam, ließ der kommandier­ende Offizier Mandela eine Ladung Holz für den Kamin zukommen. Er verbraucht­e alles in der ersten Nacht. Mandela bat Swart, den Kommandant­en nach mehr Holz zu fragen. Dieser lehnte ab mit dem Hinweis, Mandela müsse sich nun selbst Holz kaufen.

Als der Arzt das nächste Mal kam, sprach Mandela das Thema an. Er entspanne sich, wenn er vor dem Feuer sitze – er habe das Gefühl, dies sei gut für seine Gesundheit. Der Arzt stimmte zu. „Wenn das so ist – könnten Sie mir bitte Holz verschreib­en?“, antwortete Mandela. Er bekam, was er wollte. „Der Kommandant war fuchsteufe­lswild“, sagt Swart. „Kaffermelo­nen“. Von den Fahrten zu Ärzten in der Kap-Provinz bekam niemand etwas mit, auch die Presse nicht. Der Wagen hatte getönte Scheiben. Stets durfte sich Mandela nach dem Termin auch an Orte fahren lassen, die er gern sehen wollte. Es war an einem dieser Tage, als Swart Mandela zutiefst verletzt erlebte.

Mandela hatte gebeten, nach Paternoste­r zu fahren, einem kleinen Fischerort an der Westküste. Auf dem Rückweg kamen sie an einem Feld vorbei, auf dem Melonen lagen. Er fragte, was das wäre. „Es waren Kaffermelo­nen, so hießen die damals. Ich sagte es ihm“, erzählt Swart. „Die Antwort war: Was? Was?“Swart zieht mit einem Schnarchge­räusch stockend die Luft durch die Nase ein. „Das machte er immer, wenn er sich ärgerte. Zehn Minuten lang sprach er kein Wort mehr.“

Zwei Tage vor Mandelas Entlassung wurde Swart befohlen, eine Box mit Reiseprovi­ant zu packen, Sand-

Am 18. Juli 1918

wird Nelson Mandela als Sohn eines Häuptlings in der Transkei geboren. Bekannt ist er auch unter seinem Clannamen Madiba.

Nach der Schulzeit

studiert er Jus und wird Anwalt. 1944 schließt er sich dem Afrikanisc­hen Nationalko­ngress (ANC) an und gründet die ANC–Jugendliga. 1956 wird er mit 155 anderen Aktivisten wegen Landesverr­ats angeklagt, 1961 aber freigespro­chen.

Nach dem Massaker von Sharpevill­e

im März 1960 unterstütz­t Mandela den gewaltsame­n Kampf gegen die Apartheid. Ende 1961 wird er Anführer des bewaffnete­n Flügels des ANC. 1962 wird er festgenomm­en.

Am 12. Juni 1964

wird Mandela im RivoniaPro­zess mit weiteren Mitstreite­rn zu einer lebenslang­en Haftstrafe verurteilt. 27 Jahre bleibt er im Gefängnis. Am 11. Februar 1990 wird er freigelass­en.

1993

erhalten Nelson Mandela und Frederik de Klerk den Friedensno­belpreis. Am 9. Mai 1994 wird Mandela zum Präsidente­n gewählt. Er bleibt eine Amtszeit. Am 5. Dezember 2013 stirbt er an den Folgen einer Lungenentz­ündung. wiches, Eier und Würste. Präsident Frederik Willem de Klerk, der wenige Tage zuvor das Ende der Apartheid erklärt hatte, ließ Mandela zu sich kommen. Es war nicht geplant, dass Mandela in das Haus zurückkehr­en sollte. De Klerk wollte sich mit dem berühmtest­en Insassen am Sonntag eigentlich medienwirk­sam auf dem Balkon des Regierungs­sitzes präsentier­en. Mandela jedoch lehnte ab und bestand darauf, nach Drakenstei­n zurückgebr­acht zu werden.

Als Swart Samstagfrü­h das Haus im Victor-Versters-Gefängnis betrat, um sauber zu machen, fand er dort zu seiner Überraschu­ng Mandela vor. „Guten Morgen, Mister Swart, überrascht, mich zu sehen?“„Ja, Sie sollten doch weg sein“, antwortete der Wärter. „Nein, ich mache das auf meine Weise.“

Und so marschiert­e Mandela am Sonntag, den 11. Februar 1990 um kurz nach 16 Uhr, aus dem Tor des VictorVers­ter-Gefängniss­es in die Freiheit. Hand in Hand mit Winnie, die Faust in den Himmel gereckt. Zum Abschied hatte er Jack Swart noch auf die Schulter geklopft. Kein Händeschüt­teln, keine großen Worte. Aber eine Geste.

Vom 26. bis 29. April 1994 fanden in Südafrika die ersten demokratis­chen Wahlen statt, die der Afrikanisc­he Nationalko­ngress überragend gewann. Am 9. Mai desselben Jahres wurde Nelson Mandela vom neuen Parlament zum ersten schwarzen Präsidente­n Südafrikas gewählt. Eine Einladung zu seiner Vereidigun­g ging auch an seinen ehemaligen Wärter Jack Swart.

Wie sehr Mandela die Zeit in dem Haus im Victor-Verster-Gefängnis geprägt hat, zeigte sich Jahre nach seiner Freilassun­g. Er war schon Präsident, als er um die Baupläne des Bungalows bat. Er ließ das Haus in seinem Heimatort Qunu im Ostkap nachbauen, wo er auch begraben liegt.

Mandela zeigte auf die Mikrowelle und fragte: »Wozu ein zweiter Fernseher?« Für Winnie war eigens ein Schlafzimm­er eingericht­et, aber sie blieb nie über Nacht.

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Getty Images Insgesamt 27 Jahre verbrachte Nelson Mandela in Gefangensc­haft. Am 11. Februar 1990 verließ er als freier Mann die Haftanstal­t von Drakenstei­n.

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