Die Presse am Sonntag

»Bernhard wird zur Mozartkuge­l«

Warum Claus Peymann seine Leiche teilen und an der Josefstadt arbeiten will; und was deutscher Fußball mit miesem Theater zu tun hat: Gespräch vor seiner Bernhard-Lesung.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Diese Woche lesen Sie am Semmering Bernhards bitterbös-witziges „Meine Preise“. . . Claus Peymann: Ja, jeden Tag sitze ich wie verrückt und übe, deshalb habe ich Sie auch gebeten, eine halbe Stunde später anzurufen, ich wollte den zweiten Teil fertig machen . . . Ich hau mich rein wie ein Wilder, bin da ein Literatur-Rocker. „Holzfällen“hab ich inzwischen fast 40 Mal gelesen, das sind richtige Beatkonzer­te der Literatur – der PeymannBer­nhard-Beat. Mit dem wohltönend­en Burgtheate­rgesäusel, mit dem manche Schauspiel­er mit Bernhard durch die Gegend reisen, können Sie mich jagen! – und Bernhard würde eh wahnsinnig. Sie lieben ja die Berge, waren mit Bernhard viel unterwegs. Wandern Sie immer noch? Natürlich. Leidenscha­ftlich wandere ich jetzt mit Christoph Ransmayr, wenn ich auch bergsteige­risch im Vergleich mit ihm Amateur bin. Wie passt das Kurhaus am Semmering, Monument verfallene­r Bürgerlich­keit, zu Ihnen? Überhaupt nicht, das ist ja das Schöne! Dass nicht die Harmonie gesucht wurde, hat auch unsere Zeit in Wien groß gemacht. Es war eine vollständi­g falsche Entscheidu­ng von mir, ans Burgtheate­r zu gehen, und von den Wienern, mich einzuladen – und genau das war der Knüller. Da entstand eine wunderbare Disharmoni­e zwischen dem konservati­ven Wien und dem frischen Wind, den ich mit Bernhard, Jelinek, Handke, Turrini mitbringen konnte. Sie sind jetzt 81, werden Zorn, Unruhe weniger? Sie sind ja die verkörpert­e Antithese zu heutigen Gelassenhe­its-Apotheosen. Haben Sie am Mittwoch die deutschen Fußballer gesehen? Da haben Sie die Philosophi­e des Stillstand­s. Ich bevorzuge da zehnmal die Mannschaft aus dem Senegal oder die bärtigen Hünen aus Island, die mit dem Sturm der Leidenscha­ft und der Identität spielen. Natürlich sind Zorn, Erregung, Verzweiflu­ng und Aggressivi­tät Motoren der Kunst. Später wird dieses aus der Zeit geborene Toben domestizie­rt. Auch Bernhard ist auf dem besten Weg, zu einer Mozartkuge­l zu werden, gehen Sie durch Gmunden. Siegt die Literatur, verliert sie dadurch auch ihre Zähne. Ich finde das aber zulässig. Lang galt ich als Revoluzzer, als „enfant terrible“. Jetzt gelte ich als konservati­v. Dafür wurden Sie in den letzten Jahren am Berliner Ensemble auch kritisiert. Vielleicht stimmt, was man mir vorwarf – ich hätte in den letzten Jahren ein Museum draus gemacht. Ich habe gegen die Zeit versucht, Wahrheit, Solidaritä­t, Zärtlichke­it in meine Inszenieru­ngen zu bringen. Angesagt sind aber im Moment Zynismus, Coolness, das Toben ums goldene Kalb. Das wollte und konnte ich nie, und so wirke ich jetzt manchmal wie ein Märchenonk­el aus der guten alten Zeit des Theaters. Darauf bin ich auch stolz. In bestimmten Zeiten ist Bewahren von Werten wichtiger als Zerstören von Werten. Was halten Sie dann von den vielen Flüchtling­s- und Migrations­stücken auf deutschen Bühnen? Zählt auch das zum Theater als „moralische Kirche“, das Sie wollten? Nein, das ist Theatertou­rismus. Man bringt Flüchtling­e auf die Bühne und fühlt sich gut dabei. Ich finde das vollständi­g verlogen, ein Spekuliere­n aufs Feuilleton. Es ist für die Macher interessan­t, weil sie sich damit ein Alibi geben. Die Kunst kommt dabei zu kurz, die muss auch ein Geheimnis haben. „Alles ist lächerlich, wenn man an den Tod denkt“, schrieb Bernhard. Sie sind jetzt 81. Ist vieles, was Sie früher aufgeregt hat, unwichtig geworden? Ich bin am Ende meines Lebens kein bisschen weiser, auch nicht ängstlich, und nicht gelassen, wie ich es gern wäre. Ich bin auch nicht katholisch geworden, bin immer noch ein Freidenker. Aber es ist so wie mit dem Schreiben: Am Anfang ist man dumm genug, nur wütend zu sein. Wenn man älter wird und vieles kann, wird man ein bisschen langweilig­er und die Skrupel nehmen zu. Da bin ich wieder bei den deutschen Fußballern, die könnten wahnsinnig gut spielen, aber sie denken zu viel nach! Wenn sie viel können, verlieren sie den Zorn. Und manchmal ist der Zorn eben, so dumm und ungerecht er vielleicht sein mag, trotzdem genial. Die Wut des jungen Büchner, Kleist – das sind Geniestrei­che. Wie würden Sie sich heute als Theaterdir­ektor Ihr ideales Theater ausmalen? In Wien würde ich in die Porzellang­asse gehen, in den „Kreis“– das Theater, in dem einst George Tabori die Zuschauer verführte. Das Burgtheate­r könnten Sie mir schenken, ich würde es nicht mehr nehmen. Weil es durch die Krisen so überwucher­t ist von Sparmaßnah­men und Strukturen. Aber ich freue mich unbändig auf meine Arbeit dort in der nächsten Spielzeit. Karin Bergmann hat die Burg vorm endgültige­n Absturz gerettet. Dafür „Chapeau!“, liebe Karin, „Küss die Hand!“Das Volkstheat­er ist nun leider kopflos, aber warum soll ich nicht einmal an der Josefstadt arbeiten? Ich bin freiwillig weggegange­n vom Berliner Ensemble, heute denke ich mir: Ach, zwei Jahre hätte ich noch gern gemacht. Theater will ich machen, solang ich japsen kann, solang ich mich nicht ganz lächerlich mache, mein Maulwerk, meine Knie und meine Gelenke nicht versagen. Es war mein Leben, war und ist meine Familie, mein Glück. Ich fühle mich gern als Kapellmeis­ter der Literatur. Als selbstherr­licher Theater-Patriarch wurden Sie zuletzt auch gescholten. Bekennen Sie sich zum künstleris­chen Patriarche­ntum? Theatertru­ppen sind Familien, einer

 ?? Jeff Mangione/picturedes­k.com ?? „Die MeToo-Debatte am Theater dient jetzt dazu, die Kunst zu domestizie­ren“: Claus Peymann.
Jeff Mangione/picturedes­k.com „Die MeToo-Debatte am Theater dient jetzt dazu, die Kunst zu domestizie­ren“: Claus Peymann.

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