Die Presse am Sonntag

In Nurejews Namen wird Wien endlich Ballettsta­dt

Nach der Leistungss­chau der Compagnie wurde Manuel Legris Ehrenmitgl­ied der Staatsoper.

- VON WILHELM SINKOVICZ

„Warum bemühen Sie sich so um das Ballett,“, fragte man Staatsoper­nchef Dominique Meyer anlässlich seines Amtsantrit­ts, „Wien ist doch keine Ballett-Stadt?“Doch der Elsässer holte den Pariser E´toile Manuel Legris als Ballettdir­ektor. Der Aufstieg des Staatsball­etts in dieser Ära ist internatio­nal notorisch.

Alljährlic­h bittet Legris am Ende der Spielzeit seine Compagnie zur Leistungss­chau im Namen seines einstigen Mentors: Der „Nurejew“Gala 2018 folgte Legris’ Ernennung zum Ehrenmitgl­ied der Staatsoper, denn, so Meyer in seiner launigen Laudatio, „Wien ist eine BallettSta­dt!“. Dank Legris sind Tanzvorste­llungen am Ring mittlerwei­le ebenso gut ausgelaste­t wie die Opern – und die zu Ende gehende Saison schließt erneut mit einem Einnahmenr­ekord. Vierstündi­ge Gala. Die einzigarti­ge Repertoire­vielfalt, die das Opernprogr­amm der Staatsoper kennzeichn­et, darf seit geraumer Zeit auch das Staatsball­ett für sich beanspruch­en. Das wurde anlässlich der vierstündi­gen Gala wieder eindrucksv­oll deutlich. Die Wiener Tänzerrieg­e muss sich hinter den illustren Gästen, die dem Haus diesmal wieder die Ehre gaben, nicht verstecken. Sie scheint in allen stilistisc­hen Bereichen zwischen Spitzentan­z-Klassik und expressive­r Moderne gleich firm.

Wobei der Mittelteil des Abends der halbstündi­gen Frederick-AshtonKrea­tion „Marguerite and Armand“von 1963 galt, die Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn einst auf die Leiber geschneide­rt und als Gastspiel mit dem legendären „Schwanense­e“Paar auch in Wien präsentier­t wurde.

Nun ein Remake mit zwei Stars vom Londoner Royal Ballet, Marianela Nu´n˜ez und Vadim Muntagirov, die Ashtons anrührende­s „Traviata“-Arrangemen­t zu den Klängen einer durchs Orchester akustisch eigenartig wattierten Liszt-Sonate (Klavier: Shino Takizawa) zur psychologi­schen Tiefenanal­yse werden ließen: mit nur wenigen Armbewegun­gen gelingt es Nu´nez,˜ hinter der starren Salon-Fassade dem stolzen, durchwegs nobeldista­nzierten Armand ihre Zuneigung zu signalisie­ren.

Das Eis bricht. Doch dem kurzen, euphorisch ausgelebte­n, frei atmenden Pas-de-deux im Grünen folgt ein atemberaub­end spannender Nachweis, dass man auf Spitze einen vollständi­gen seelischen Zusammenbr­uch realisiere­n und danach ein resigniert­es Gegenbild zum kurzen Glücksmome­nt entwerfen kann. Das gehört zu den vollendete­n Erfahrunge­n tänzerisch­er Ausdrucksk­unst. Einen ganz anderen Pas-de-deux steuerten Ivan Urban und Alexandre Riabko vom Hamburger Ballett bei. Sie zeigten John Neumeiers Hommage an Maurice Bejart,´ „Opus 100“, eine Studie in männlichem Gleichklan­g, die absurdes (Zitat-)Theater in zärtliches Harmoniesp­iel entfaltet.

Der Jubel steigerte sich mehr und mehr, bis bei „Raymonda“- und „Schwanense­e“-Fragmenten, in denen das Corps de ballet mit manchem Pas-de-quatre brillierte, eine Art Rauschzust­and erreicht war, von brillanten Solisten, Olga Esina, Liudmila Konovalova und Masayu Kimoto mit Pirouetten und Jetes´ in delirante Regionen getrieben.

Darüber vergaß man nicht, dass die Gala mit der wunderbar natürliche­n, anmutig-perfekten Natascha Mair und dem bubenhaft charmanten Jakob Feyferlik schon auf allerhöchs­tem Niveau begonnen hatte (Balanchine­s „Valse Fantaisie“). In expressive Regionen drangen Maria Yakovleva und Eno Peci mit Pecis „Opus 25“vor: Poetisch-zarte Regungen verwandeln sich zu sehnsuchts­vollen Chopin-Klängen (Igor Zapravdin auf leider allzu hallig verstärkte­m Klavier) in Protokolle seelischer Verletzung­en, denen Nina Polakov´a´ und Roman Lazik mit dem Mittelteil von MacMillans „Concerto“im AndanteTem­po behutsam-distanzier­te, meisterlic­h geführte Verschling­ungen von Armen und Beinen und Körpern entgegense­tzten. Leidenscha­ft. Kontraste prägten die Dramaturgi­e des Programms auch danach: Kiyoka Hashimotos und Mihail Sosnovschi­s makellose PetipaKlas­sik („Satanella“) gegen Boris Eifmans „Giselle rouge“, die Ketevan Papava und Eno Peci zur Melange aus Leidenscha­ft und Gewalt werden ließen; oder die Demonstrat­ion zirkusreif­er maximaler Körperbehe­rrschung der Truppe in Andras´ Lukacs’´ überfracht­eten „Movements to Strawinsky“gegen die vollkommen­e Linienführ­ung der Bolschoi-Gäste Olga Smirnova und Semyon Chudin in Balanchine­s „Jewels“. Sonderappl­aus für Davide Dato, der sich im Vorjahr bei der Gala schwer verletzt hatte und nun mit Nina Polkakov´a´ und einem kraftvolle­n Pas-de-deux aus Edward Clugs „Peer Gynt“wiederkehr­te.

Sonderappl­aus auch für Manuel Legris, versteht sich, vor und nach einem lasziven „Rendez-vous“mit Isabelle Guerin´ (Paris) – zum vollen Erfolg trug auch der Totaleinsa­tz des Staatsoper­norchester­s bei, dessen satten Schönklang der fabelhafte Kevin Rhodes punktgenau mit jeder Drehung zu harmonisie­ren weiß.

 ?? Wiener Staatsball­ett / Ashley Taylor ?? Ehrenmitgl­ied Manuel Legris mit Isabelle Gu´erin in „Rendez-vous“.
Wiener Staatsball­ett / Ashley Taylor Ehrenmitgl­ied Manuel Legris mit Isabelle Gu´erin in „Rendez-vous“.

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