Die Presse am Sonntag

Kann Kurz Kanzler? Like oder Nicht-Like!

Der ORF plant Richtlinie­n für seine Mitarbeite­r in den sozialen Medien. Der erste Versuch wirkte missglückt, er sah verdächtig nach Maulkorb aus. Dennoch wäre etwas mehr Etikette im Netz erwünscht. Und warum sind Abgeordnet­e immun?

- VON NORBERT MAYER

Finden Sie nicht, dass Sebastian Kurz überschätz­t wird? Seien wir ehrlich: In der Volksparte­i hat er sich zwar handwerkli­ch grandios, aber brutal an die Macht geputscht. Doch die Ignoranz, die der Kanzler und sein blauer Vize HeinzChris­tian Strache an den Tag legen, ist einzigarti­g. Ihr Verhalten geht bereits an die Fundamente der Demokratie. Das gilt besonders für die FPÖ – der glaube ich nicht einmal mehr die Uhrzeit. Und die Opposition? Was macht denn der ehemalige Kurzzeit-Kanzler? Christian Kern spielt immer noch seine Lieblingsr­olle, nämlich die Prinzessin auf der roten Erbse. Nein, das wird nichts mehr mit der SPÖ. Um das zu erkennen, muss man sich nur all die mieselsüch­tigen Koffer anschauen, die bei ihr in Wien herumrenne­n. Und die Grünen oder ihre vielen Ex-Mitglieder? Vor allem in Wien gehört deren Spitze doch längst schon aus dem Amt gejagt. Schmutzige­r Kleinkrieg. Solch schräge politische Bewertunge­n sind in Österreich offenbar erlaubt. Weil dieser Text eine subjektive Kolumne ist und die „Presse“eine liberale Zeitung, dürfen hier vereinzelt auch Peinlichke­iten und geschmackl­ose Metaphern stehen. Ob sie für wahr genommen werden, Zuspruch oder Ablehnung finden, entscheide­n vor allem die werten Leser.

Die Aussagen im ersten Absatz sind übrigens nicht Meinungen des Mediators, sondern von Politikern aus dem Hohen Haus, der Stadt- und Bundesregi­erung, die ihre Konkurrenz bewerten. Mit harten Worten hat sich etwa der scheidende Neos-Chef Matthias Strolz der amtierende­n türkis-blauen Bundesregi­erung empfohlen, hat der FPÖChef vernichten­de Seitenhieb­e gegen den ORF und die Grünen ausgeteilt oder Wiens Ex-Bürgermeis­ter Michael Häupl ein deftiges Pauschalur­teil über die politische­n Gegner abgegeben.

Wie gesagt, es liegt mir fern, diese im Kleinkrieg des immerwähre­nden Vorwahlkam­pfs abgegebene­n Statements zu unterschre­iben, aber wäre ich zum Beispiel ein Redakteur beim Österreich­ischen Rundfunk und würde auf Twitter oder Facebook kundtun, dass mir der rüde Ton so mancher staatstrag­ender Figuren in diesem Land missfällt, so hätte ich künftig wahrschein­lich ein Problem. Denn im ORF bastelt man derzeit an Verhaltens­regeln für seine Mitarbeite­r in den sozialen Medien. Erste – gewollt oder un- gewollt – an die Öffentlich­keit gelangte Versuche aus dem Umfeld von Generaldir­ektor Alexander Wrabetz, solch einen „Code of Conduct“zu formuliere­n, sind nicht ermunternd, was die freie Meinungsäu­ßerung betrifft. Viele sehen in der geplanten Dienstanwe­isung einen Maulkorber­lass. Journalist­en würden zu Bürgern zweiter Klasse. Wie anders ist es zu interpreti­eren, dass ORF-Mitarbeite­r künftig im privaten Umfeld „Zustimmung, Ablehnung oder Wertung von Äußerungen, Sympathie, Antipathie, Kritik und Polemik gegenüber politische­n Institutio­nen“verwehrt wird. Ein bloßes Like könnte gravierend­e Konsequenz­en haben. Schützenhi­lfe vom Kanzler. Die Situation scheint inzwischen leicht entschärft zu sein. Kurz hat sich in einer Replik auf Wrabetz für die Meinungsfr­eiheit eingesetzt. Dazu meint der Mediator: Etwas mehr Etikette im Netz würde nicht schaden. Weltblätte­r haben sich dazu verpflicht­et. Apropos: Wie wäre es, wenn das Parlament endlich die unzeitgemä­ße Immunität ihrer Abgeordnet­en aufhöbe? Dort und in den Parteizent­ralen sitzen nämlich einige Rabauken, die sich vor allem im Netz mit miesen Tricks austoben. Man müsste sie künftig besser maßregeln.

PS: Ich finde, Kurz ist nicht zu unterschät­zen. Er hat Potenzial. Auch Kern kann Kanzler. Und die FPÖ ist eine demokratis­che Partei. Den Grünen und den Neos wünsche ich allein wegen der Vielfalt Glück. Das würde ich auch twittern. Selbst wenn ich mir damit eine Karriere beim öffentlich­rechtliche­n Rundfunk verbaute.

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Michael Gruber / EXPA / picturedes­k.com Für BundeskAnz­ler SebAstiAn Kurz (hier vor JournAlist­en) ist die Meinungsfr­eiheit ein hohes Gut.

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