Die Presse am Sonntag

Tausend Jahre Trolle – von Island ins Internet

Die Begegnung mit ihnen kann tödlich ausgehen, gefährlich sind sie auf jeden Fall. Auch wenn sie harmlos daherkomme­n, in der Kinder- und Fantasylit­eratur, das Schimpfwor­t »Dich sollen die Trolle holen« meint nichts Gutes. Die ältesten Trolle stammen aus d

- VON GÜNTHER HALLER

Hat ein Phänomen Konjunktur, ist es oft nicht wiederzuer­kennen, weil es sich von seinen Ursprüngen entfernt. So geht es uns mit den Trollen. Die unheimlich­en Kobolde aus der alten Literatur Nordeuropa­s mutieren zu Gummifigür­chen mit neonfarben­en Haaren fürs Kinderzimm­er, tauchen in skandinavi­schen Souvenirlä­den auf und sind zugleich riesige Kampfmasch­inen etwa in der Verfilmung von Tolkiens „Herr der Ringe“. Im Internet sind sie die provokante­n Störenfrie­de, die sich mit zynischen und beleidigen­den Kommentare­n unbeliebt machen.

Sehr viel auf einmal das, findet auch der Mediävist und Skandinavi­st Rudolf Simek, und er gesteht seinen Frust über die zunehmende Verniedlic­hung des Trolls. Denn er kennt die Quellen wie sonst keiner, er ist bereits 2015 mit einem Buch zum Thema „Monster im Mittelalte­r“hervorgetr­eten, nun mit „Trolle“. Im Trollwesen der Gegenwart sieht er eine Pervertie- rung des ursprüngli­chen skandinavi­schen Konzepts von Trollen.

Ein Vierteljah­rhundert hat er sich damit beschäftig­t und breitet nun sein Wissen für uns aus, von den ältesten Literaturs­tellen vor 1000 Jahren in Island bis zur Gegenwart. Was den Trollen gemein ist: Sie sind in der Regel gefährlich und böse, Trollmänne­r saufen und streiten, Trollfraue­n sind geradezu abstoßend hässlich. Dennoch muss sie der Held in den Erzählunge­n küssen. Sie verkörpern eine schrecklic­h-ungehobelt­e Gegenwelt. So benimmt man sich nicht, liebe Kinder! Das darzulegen war wohl die Absicht vieler Trollgesch­ichten.

Haben die Menschen an die Trolle geglaubt? Ja und nein, meint Simek, man machte sich darüber lustig und hatte zugleich Angst davor. Und in der Gegenwart? Wenn der Troll-Boom ein Zeichen dafür ist, dass die Menschen die wissenscha­ftliche Erklärung der Welt nicht mehr nachvollzi­ehen wollen oder können, wird es bedenklich.

Rudolf Simek:

„Trolle“, Böhlau, 254 S., 30 Euro.

Niall Ferguson:

„Türme und Plätze“, Propyläen, 640 S., 32 Euro.

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