Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Du sollst kein Zeugnis ablegen wider Sebastian Kurz? Österreich­s Bischöfe proben bei der Arbeitszei­tflexibili­sierung die Opposition­srolle. Um Himmels willen: Dürfen sie denn das?

Christian Kern ist nicht zu beneiden. Da stiehlt dem SPÖ-Vorsitzend­en gestern, Samstagnac­hmittag, die Gewerkscha­ft mit einer Großdemons­tration in Wien die Show. Und dann muss er sich von Bischöfen vorexerzie­ren lassen, wie Opposition geht. Die Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t (türkis-blauer Sprech) oder der Zwölf-Stunden-Tag (rot-grünÖGB-Sprech) wurde zuletzt vom Episkopat in einer Weise kritisiert, die an Zeiten harter Abtreibung­sdebatten erinnert. Die Bischöfe sehen in dem Regierungs­vorhaben unter anderem einen Verstoß gegen das Völkerrech­t. Keine Lappalie. Die mit der höchsten Weihe versehenen Männer sehen das Konkordat unterhöhlt, den völkerrech­tlichen Vertrag zwischen Republik Österreich und Heiligem Stuhl. Dort festgezurr­te Feiertage könnten dem Gutdünken des Arbeitgebe­rs ausgeliefe­rt werden, so die Befürchtun­g. In der besonders im Internet intensiv geführten Debatte gab es vielfach Kritik: Religion sei Privatsach­e, die Bischöfe sollten sich nicht in die Politik einmischen, gerade Priester arbeiteten an Sonntagen etc. Dem liegen mehrere Missverstä­ndnisse zugrunde. Es wird doch nicht böser Wille sein! Zwei seien erwähnt. 1. Missverstä­ndnis: Religion ist Privatsach­e. Natürlich. An sich fällt die Feststellu­ng unter die Kategorie Selbstvers­tändlichke­it, Unterkateg­orie Trivialitä­t. Religion ist Privatsach­e, wenn gemeint ist, dass jeder entscheide­n darf, ob er überhaupt glaubt oder woran er glaubt. Ob er an den Einfluss der Sterne oder von Wasserader­n glaubt, ob er annimmt, dass alles ohnedies vorbestimm­t ist, an einen Gott oder Götter glaubt. Die Sicherung der Ausübung religiöser Praktiken, die in der Erklärung der Menschenre­chte verankert ist, erfordert aber einen gesetzlich­en Rahmen. Auch wenn niemand an irgendetwa­s glauben muss oder dazu gezwungen werden darf. Daraus folgt: Selbstvers­tändlich haben Religionsv­ertreter und Mitglieder wo auch immer kein Diskussion­sverbot im öffentlich­en Diskurs, weder Priester noch Imame noch Rabbis. Zur Einordnung: Die katholisch­en Bischöfe stehen an der Spitze einer Organisati­on, der immerhin zwei Drittel der Österreich­er angehören. Und nur so zum Vergleich: Die katholisch­e Kirche ist, was die Mitglieder­zahl betrifft, fünf Mal größer als der Gewerkscha­ftsbund. 2. Missverstä­ndnis: Religion ist unpolitisc­h. Dass sich Glaubensge­meinschaft­en in geschützte, lärmdichte Räume zurückzieh­en, den Wunsch gab und gibt es von Machthaber­n. Aus ihrem Selbstvers­tändnis und (oft vom Mainstream abweichend­en) Menschenbi­ld heraus ist es für fast alle Religionen per se unmöglich, zu gesellscha­ftlichen Vorgängen, zur Politik zu schweigen. Beten und kuschen spielt es nicht. Ob glaubwürdi­g/kompetent/erwünscht/gesetzesko­nform agiert wird, ist eine andere Frage. Die diskutiert werden darf – und muss.

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