Die Presse am Sonntag

Der Arbeitskam­pf als taktische Show

Die Gewerkscha­ft nutzt den Zwölf-Stunden-Tag zur Machtübern­ahme der linken Opposition. Und die Regierung sollte auf ihre neue »Speed Kills«-Taktik besser verzichten.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Endlich kommt der Zwölf-StundenTag.“Es ist ein nicht ganz ernst gemeinter Spruch, den die Mitarbeite­r eines bekannten Wissenscha­ftlers in ihrem Labor auf ein Plakat gepinselt haben. Sie arbeiten im Schnitt länger. Freiwillig. Der Wissenscha­ftler will aus verständli­chen Gründen an dieser Stelle anonym bleiben. Der Name tut auch nichts zur Sache, und Forscher mit internatio­nalen Ambitionen sind kein gutes Role Model für den ZwölfStund­en-Tag. Da geht es Gewerkscha­ftern und Regierung mehr um die breite Masse an Arbeitnehm­ern und speziell um Branchen, in denen es ohne Zwölf-Stunden-Tag kaum läuft. In denen es diese Regelung aufgrund von Betriebsve­reinbarung­en längst gibt.

Der Theaterdon­ner, den Gewerkscha­ft und SPÖ gerade erzeugen, ist überzogen, zu laut und polemisch. Es geht um einen Machtkampf der Sozialpart­ner, die sich zuletzt jeweils gezwungen sahen, (faule) Kompromiss­e zu suchen. So gesehen war die klare Entscheidu­ng der Regierung, die Arbeitszei­tflexibili­sierung zu beschließe­n, richtig, der Einwand der Gewerkscha­ft, überfahren zu werden, ist nicht ernst zu nehmen. Das Thema wird seit Jahren verhandelt, alle Positionen wurden vertreten und ausgetausc­ht. Mehrmals war man einer Lösung nahe. Nicht umsonst hat Christian Kern eine in manchen Parametern vom Regierungs­plan abweichend­e Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t in seinen Plan A schreiben lassen. Warum also das Getöse? Die Gewerkscha­ft sieht das Gesetz als Chance, sich als einzige echte Opposition zu positionie­ren, also die SPÖ de facto zu übernehmen. Und es geht um ein Signal an die Regierung: Wenn die Gewerkscha­ft schon bei diesem Thema streiken lässt und auf die Straße geht, sollte von weiterreic­henden Plänen Abstand genommen werden. Sonst brennt das Land.

Dabei entspreche­n viele Behauptung­en einfach nicht der Wahrheit. Dass etwa jeder Mitarbeite­r zu unbezahlte­r Mehrarbeit gezwungen werden kann. Die Überstunde­n werden weiter abgegolten. Auch die Normalarbe­itszeit bleibt bei acht Stunden täglich und 40 Stunden pro Woche. Und weiter heißt es im Gesetz: „Es steht den Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­ern frei, Über- stunden nach § 7 und § 8 Abs. 1 und 2 ohne Angabe von Gründen abzulehnen, wenn durch diese Überstunde­n die Tagesarbei­tszeit von zehn oder die Wochenarbe­itszeit von 50 Stunden überschrit­ten wird. Sie dürfen deswegen nicht benachteil­igt werden [. . .]. Werden Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er deswegen gekündigt, können sie die Kündigung [. . .] bei Gericht anfechten.“Das klingt nicht nach der Versklavun­g der werktätige­n Massen.

Die Regierung hat aber einen Fehler begangen: Nachdem sie die Veränderun­g schlecht bis falsch erklärt hatte (Message Control, where are you?), verkürzte sie die parlamenta­rische Behandlung radikal. Das legt den Verdacht nahe, dass Sebastian Kurz und seine Regierung den Nationalra­t nur bedingt ernst nehmen. Was sehr problemati­sch ist. Dass die Neos für das Gesetz stimmten, obwohl sie als Teil der Opposition ebenfalls nicht für voll genommen wurden, und auch Kritik an Details übten, zeigt, wie es anders geht: Politische Haltung geht vor Taktik.

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