Die Presse am Sonntag

»Der Zaun hat die Sicherheit erhöht«

Schon vor der Krise 2015 begann Bulgarien, die Grenze zur Türkei zu versiegeln. Der mehr als 270 Kilometer lange Zaun hat die illegale Einwanderu­ng stark reduziert. Der Schengen-Beitritt Sofias liegt dennoch auf Eis.

- VON OLIVER GRIMM

Nagelneu sind die Nissan-Geländewag­en in seinem Fuhrpark, knitterfre­i seine Uniform: Dejan Mollow, Direktor der bulgarisch­en Grenzpoliz­ei in der Kleinstadt Elhovo, ist sichtlich stolz auf seine Truppe. „Wer sich von türkischer Seite dem Zaun nähert, wird binnen zwei oder drei Minuten angesproch­en. Wir haben eine Menge Autos, Jeeps. Eine Menge.“

Der 37-Jährige ist für die Überwachun­g der gesamten bulgarisch-türkischen Grenze zuständig. Rund 1800 Grenzpoliz­isten sind im Einsatz, seit zwei Jahren nehmen auch Soldaten an Patrouille­n teil. Doch das stärkste Mittel zur Verhinderu­ng illegaler Grenzübert­ritte ist der rund 274 Kilometer lange Grenzzaun, welchen die bulgarisch­e Regierung ab dem Jahr 2013 zu errichten begonnen hat. Drei Meter hoher Maschendra­ht mit einem Stacheldra­htaufsatz, dazu Kameras und Sensoren: Die bulgarisch-türkische Grenze ist auf diese Weise komplett versiegelt. Einzig an den drei Grenzüberg­ängen in Elhovo, Kapitan Andreewo und Malko Tarnowo ist es möglich, vom einen Land ins andere zu kommen.

Gewiss: Dies ist nicht der einzige Grenzzaun an Europas äußerstem Rand. Zwischen Bulgarien und der Türkei liegen auch nicht die größten Druckpunkt­e der Massenzuwa­nderung aus dem Nahen Osten. Dennoch ist der Zaun ein Symbol dafür, wie sich die politische Debatte in Europa über Zuwanderun­g, Flucht und den Umgang mit diesen Herausford­erungen seit dem Krisensomm­er 2015 gewandelt hat. Der Schutz der Außengrenz­e der Union war davor nur ein Randthema. Weder für die Europäisch­e Kommission noch für die Innenminis­ter der Mitgliedst­aaten war es eine Priorität. Ein Symbol des Debattenwa­ndels. Das hat sich, unter dem Eindruck der rund 1,8 Millionen Migranten und Flüchtling­e, die vor drei Jahren in die Union strömten, grundlegen­d geändert. „Ein Europa, das schützt“, lautet das Motto des österreich­ischen Ratsvorsit­zes. Als Ungarns rechtschau­vinistisch­er Ministerpr­äsident Viktor Orban´ im Krisensomm­er 2015 an der Grenze zu Serbien eine Zaun bauen ließ, war ihm Bulgarien ein Vorbild. Denn hier hatte man schon 2013 begonnen, die Grenze zur Türkei – in einer dünn besiedelte­n, schwer zu überwachen­den Ebene liegend – per Zaun zu verstärken.

In Brüssel beobachtet man diese Entwicklun­g mit Entsetzen, ohne ihr et- was entgegense­tzen zu können. „Wir bauen keine Zäune, wir wollen Brücken bauen“, pflegt Migrations­kommissar Dimitris Avramopoul­os stets auf die Frage zu antworten, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn Griechenla­nd seine Landgrenze zur Türkei, über die in den vergangene­n Monaten wieder mehr illegale Einwandere­r kamen, nach bulgarisch­em Vorbild sichern würde.

Als Viktor Orb´an 2015 einen Zaun bauen ließ, war Bulgarien das Vorbild.

Dejan Mollow, den vierschröt­igen jungen Chef der bulgarisch­en Grenzpoliz­isten, kümmern solche hochtraben­den Debatten wenig. Er ist froh über die Unterstütz­ung durch die mittels Frontex an ihn vermittelt­en Grenzschüt­zer aus den anderen Mitgliedst­aaten, die seit 2013 in einem Rotationss­ystem Dienst an der bulgarisch­türkischen Grenze versehen. „Wir tauschen Erfahrunge­n aus, das ist sehr hilfreich“, sagt er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Vor allem aber ist er über den Zaun und all die technische Gerätschaf­t drumherum dankbar, welche den Zaun zu einer fast unüberwind­baren Hürde mache: „Wenn man es über den Zaun schafft, wird man vom integriert­en System erfasst. Dann von den Patrouille­n. Und dann von den Helikopter­n.“

Dieses „integriert­e System“kann man in einem Kontrollra­um der noch aus kommunisti­scher Zeit stammenden Kaserne begutachte­n. Ein großer Bildschirm, ungefähr zwei mal vier Meter im Ausmaß, zeigt parallel Bilder von fünf Kameras, dazu eine GPS-Karte der Grenze, auf der alle Bewegungsm­elder und Kameras vermerkt sind. Alle 20 Meter steht ein Sensor, alle 80 bis 100 Meter eine Kamera. „Es gibt keinen toten Winkel zwischen den Kameras“, sagt Mollow. Bezahlt hat das alles, ebenso wie die nagelneuen Nissans im Fuhrpark, die EU: 40,4 Millionen Euro stehen Bulgarien, dem ärmsten Unionsmitg­lied, in der Finanzperi-

 ?? Reuters ?? Ein bulgarisch­er Polizist überwacht nahe Lessowo die Grenze zum Nachbarlan­d Türkei.
Reuters Ein bulgarisch­er Polizist überwacht nahe Lessowo die Grenze zum Nachbarlan­d Türkei.

Newspapers in German

Newspapers from Austria