Die Presse am Sonntag

Träumen von der SPÖ-Absoluten

Josef Taucher, neuer SPÖ-Klubchef im Rathaus, schließt ein Neuverhand­eln des Koalitions­pakts nach einem Führungswe­chsel bei den Grünen nicht aus. Neuwahlen eher schon.

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Bürgermeis­ter Michael Ludwig hat gemeint, es könnte hilfreich sein, dass Sie Psychologe sind. Was könnte er damit gemeint haben? Josef Taucher: Psychologi­sche Kenntnisse sind immer hilfreich. Aber ich bin Kinderpsyc­hologe, und die Politik ist kein Kindergart­en. Wie groß sind Wunden, die es in der Wiener SPÖ nach heftigen Debatten um die Nachfolge Michael Häupls noch zu heilen gilt? Ich sehe keine Wunden mehr. Jetzt ist die Nulllinie, und wir beginnen zu arbeiten. Ich gehöre zu einem Flächenbez­irk, hatte aber nie einen Konflikt, mit keiner der Gruppen. Ich sehe Themen, die man innerstädt­isch nicht hat, die ich jetzt stärker in die Stadt mitnehme. Welche zum Beispiel? Wenn ich in Süßenbrunn nur halbstündi­g einen Bus habe und eine Schnellbah­nstation ohne Lift . . . Das ist ein Arbeitsauf­trag an Stadträtin Ulli Sima. Das ist ein Auftrag an die ÖBB zur barrierefr­eien Gestaltung. Bei Busverbind­ungen ist die Stadt gefragt. Ja, aber pro Kopf wird dort ohnedies mehr investiert als beispielsw­eise im achten Bezirk. Aber bei den großen Flächen ist das ein Problem. Hat sich die Stadt zu wenig um Probleme der Randbezirk­e gekümmert? Man hat da und dort nicht wahrgenomm­en, welche Probleme es in den Randlagen der Stadt gibt. Gerade in den großen Bezirken hat die SPÖ besonders viel an die FPÖ verloren. Da wird ja auch das Ausländert­hema eine Rolle spielen, das Sie noch nicht genannt haben. Ja, das spielt im Wahlverhal­ten eine Rolle. In der Wirklichke­it nicht. Weil? In der Donaustadt gibt es circa zehn Prozent Migranten. Die größte Gruppe sind Deutsche, dahinter folgen Polen. Bei Wahlen tut man so, als ob wir islamisier­t werden würden. Dort, wo man am wenigsten Kontakt hat, dort ist die Angst am größten. Das heißt: Mehr muslimisch­e Migranten in Bezirke wie die Donaustadt? Nein, dieser Schluss ist natürlich nicht zulässig. In den großen Bezirken, in denen viele Menschen wohnen, gibt es eine Unzufriede­nheit. Wien wächst rasant, da gibt es große Veränderun­g, wo Menschen nicht mitkommen. Sie fühlen sich dann, noch dazu in Zeiten vieler Umbrüche, weniger zu Hause. Alles, was Nähe ausmacht, Heimat würden andere Parteien sagen . . . Darf der Begriff Heimat in der SPÖ nicht verwendet werden? Doch, aber nicht im nationalis­tischen Sinn. Unter Heimat verstehe ich Nähe, Geborgenhe­it, wo ich mich zu Hause fühle. Zurück zu Ihrer Ausbildung: Wie viel psychologi­sches Geschick erfordert der Umgang mit dem grünen Koalitions­partner? Es erfordert menschlich­es Geschick. Dahinter steckt die Frage: Wie schwierig ist die Koalition mit den Grünen? Für mich gar nicht. Was Sie nicht wissen: Ich habe ja auch eine Ausbildung als Krisenmana­ger (lacht). Würden Sie dann der Diagnose zustimmen, dass sich die Grünen in einer Krise befinden? Die Grünen haben Auseinande­rsetzungen, was die Richtung und was Personelle­s betrifft. Sie müssen in der Regierung Kompromiss­e schließen, was für die Grünen sicher nicht einfach ist. In einigen Punkten wie dem Lobautunne­l haben die Grünen diametral andere Standpunkt­e und zuletzt die SPÖ attackiert. Wie lang wedelt der Schwanz mit dem Hund? Gar nicht. Der Lobautunne­l kommt. Gehört Widerstand dagegen dann zur politische­n Folklore? Nein, das ist Demokratie. Ich persönlich erlebe die Frau Vizebürger­meisterin (die Grüne Maria Vassilakou, Anm.) sehr pragmatisc­h. Die Frage ist, wie lang sie Ihnen erhalten bleibt. Sind alle, die intern um die Nachfolge kämpfen, koalitions­kompatibel? Das kann man vorher nicht sagen. Relevant wird sein, was sachpoliti­sch möglich ist. Nach der grünen Entscheidu­ng wird also geprüft, ob die Koalition fortgesetz­t wird? Man muss schauen, ob der Koalitions­vertrag hält. Und wenn nicht, dann gibt es Neuwahlen? Dann muss man schauen, ob man neu verhandelt, weil es vielleicht neue Schwerpunk­te gibt. Einen fliegenden Koalitions­wechsel schließen Sie aus? Mit wem? Die ÖVP ist so sehr auf Opposition­skurs und so nahe der FPÖ. Schließen Sie auch nach einer Wahl Rot-Türkis aus? Wenn die Ergebnisse passen, kann es Rot-Grün geben oder auch eine Koalition mit der ÖVP. Mit der FPÖ nicht? Da gibt es keine Mehrheit in der SPÖ dafür. Als neuen Politiksti­l könnte ich mir vorstellen, dass man mit Parteien Projekte vereinbart. Anstelle einer fixen Koalition? Nein, sondern daneben. Es gibt überall kluge Köpfe, die nur ideologisc­h anders ticken. Manchmal geht es ja um reine Sachfragen. Derartige Projekte hat es mit den Grünen gegeben, als die SPÖ die absolute Mehrheit hatte. Träumen Sie von der Absoluten? Ja. Halten Sie das auch für realistisc­h? Wir können nahe rankommen. Wann wird denn in Wien gewählt? 2020, wie geplant. Können Sie den Termin garantiere­n? Garantiere­n kann ich ihn nicht, aber ich wünsche es mir.

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