Die Wiener kommen
kein Anpreisen der Ware, keine schönen Auslagen – nicht einmal zu probieren scheint jemand. „Der Unterschied zu Großmärkten in südlicheren Ländern ist, dass bei uns die Verweilzeiten der Kunden relativ gering sind. Das heißt, wenn jemand von seinem Geschäft in der Stadt wegfährt, dann weiß er schon ziemlich genau, was er einkaufen wird“, erzählt Frank.
4500 Lkw und Pkw fahren hier täglich hinein und heraus. Sonntag ist der stärkste Anliefertag, Donnerstag der stärkste Verkaufstag, weil sich dann die Marktstandler fürs Wochenende eindecken. 250 Unternehmer gibt es auf dem gesamten Areal. Jeder hat sich auf etwas anderes spezialisiert: Manche auf den Obst- und Gemüsehandel für Lebensmittelketten, einige beliefern speziell die Wiener Märkte, andere die türkische Community und wieder andere, wie die Firma Sedi-Fruits, beliefern mit ihrem Obst und Gemüse die Spitzengastronomie und den Fachhandel. Großer Konkurrenzkampf. An diesem Tag stehen Kisten mit makellos aussehenden Saturnpfirsichen, weißen Ribiseln, Erdbeeren und Marillen aus Österreich hier. Außerdem mit dem Flugzeug eingeflogene – und damit essfertige – Mangos aus Brasilien, Honigmelonen aus Italien, Paprika aus Ungarn, Pilze aus den Niederlanden, Ananas aus der Dominikanischen Republik.
So schön die Früchte und das Gemüse sind, so unspektakulär ist das Lager: Kisten stapeln sich auf dem Boden, nirgends steht etwas im Regal. Die Leute kommen, suchen sich ihre Waren aus und fahren wieder. „Der Großhandel muss schnell funktionieren“, erklärt Frank. „Das geht zack, zack, zack. Binnen zwei Tagen muss alles weg sein.“
Bei der Firma Sedi-Fruits von Hubert Sedlatschek funktioniert das gut, der Betrieb läuft seit 25 Jahren – und wurde in dieser Zeit nie insolvent. Was auf dem Großmarkt selten sei, erzählt Hubert Sedlatschek, der gut gelaunt neben den Obst- und Gemüsekisten steht. Er hat viele Firmen auf dem Markt schon wieder verschwinden, aber auch unter einem anderen Namen wieder aufsperren gesehen. Woran liegt das? „Weil sie viel zu billig verkaufen und dann auch noch zu viel wegschmeißen. Das kann auf Dauer nicht gut gehen.“Auch sei das Geschäft in den vergangenen 25 Jahren härter geworden. Dabei ist seine Firma noch ein richtiger Familienbetrieb. Drei seiner Brüder und zwei seiner Schwestern arbeiten hier (insgesamt sind sie zehn Geschwister). Die Brüder sind es auch, die für ihn Lkw fahren und die Waren aussuchen. Frühes Aufstehen, frühes Schlafen. Das Geschäft ist ein körperlich hartes. Nicht nur, weil viel geschleppt wird, sondern auch, weil es so zeitversetzt passiert. Während andere ins Bett gehen, steht Hubert Sedlatschek jeden Tag um Mitternacht auf. Sein Arbeitstag dauert bis zehn Uhr – um elf, zwölf Uhr zu Mittag ist er zu Hause. „Dann leg ich mich drei Stunden ins Bett, schlafe tief und um halb vier steh ich auf, dann bleibt mir Zeit für Freizeit und Familie, und am Abend geh ich wieder um neun Uhr schlafen bis zwölf Uhr.“Insgesamt kommt er auf zweimal drei Stunden Schlaf. „Das seit 32 Jahren.“Er lacht.
Inzwischen kommen weiter Käufer, kaufen, packen die Kisten, auf Wiedersehen. Generell sind auf dem Gelände wenige Frauen zu sehen. Einkaufen darf auf dem Großmarkt jeder, auch Privatpersonen, montags bis samstags ab 4.30 Uhr (bei den Blumen ab sieben Uhr). Die Preise sind günstiger als auf dem Detailmarkt. Dafür gibt es aber nur Großhandelsmengen, wie acht Kilo Pfirsiche. Das, sagt Sedlatschek, tun sich die wenigsten an.
Es ist mittlerweile 5.30 Uhr, Frank geht in das nächste Areal. Hier werden die Lebensmittelketten beliefert, hier steht die Firma Macro Group, die die türkische Community mit Kebabspießen, Käse, Trockenfrüchten bedient. Etwas unspektakulär wirkt von außen die Halle F-eins. Dort, wohin seit 2008 und der Auflösung von St. Marx große Rinderstücke und Schweinehälften vom Schlachter geliefert werden, die hier erst in Steaks, Schnitzel, Filets etc. zerlegt – und dann verkauft werden. Spätestens hier ist klar: Die Bezeichnung Großgrünmarkt (das Inzersdorf von Wien-Inzersdorf wurde längst entfernt) stimmt nicht mehr. Es gibt auch Eier, Milch, Fisch in riesigen Tanks.
So wie sich sonst noch vieles geändert hat. Früher hatte der Markt auch eine Bahnstation, in der Züge, die komplett mit Erdbeeren vollgeladen waren, gehalten haben. „Das hat sich aber nicht durchgesetzt“, sagt Hengl. Auch eine Brückenwaage gibt es nicht mehr auf dem Gelände. Dass Lkw nur mehr mit einer Sorte Obst oder Gemüse kommen, passiert nicht mehr.
Dafür kommen die Waren aus der ganzen Welt und können rund um die Uhr angeliefert werden. Hagel in Österreich? Das tangiert hier niemanden wirklich. Es könne schon sein, dass es einmal schneebedingt Engpässe gebe, oder wegen eines langen Winters. „Aber der Handel ist so über Europa verteilt, dass das selten vorkommt“, sagt Frank.
Trotzdem schafft es nicht jede Ware, die geliefert wird, zum Kunden. Einer von den 80 Wiener Lebensmittelkontrolleuren kontrolliere hier laufend die Produkte. Für die Behörden sei so ein Großmarkt „eine tolle Sache“. In anderen Bundesländern hätten sie etwa Probleme mit dem Verkauf von Maroni, die in Italien direkt gekauft werden. „Bei uns fahren sie alle hierher.“Beanstandungen gäbe es freilich jeden Tag. „Bei der Menge“, sagt Hengl, sei das auch verständlich. Es ist mittlerweile 6.30 Uhr. Auf dem Großmarkt ist etwas Ruhe eingekehrt. Die Sonne ist längst aufgegangen. Wenn im Rest der Stadt Wiener einander um neun Uhr einen guten Morgen wünschen, wird hier so gut wie niemand mehr sein.
Das Geschäft ist ein hartes. Dass Firmen pleitegehen, ist keine Seltenheit.