Kann man sich heute noch etwas aufbauen?
Es geht uns so gut wie noch nie zuvor. Aber trotz guter Ausbildung und Job haben viele in ihren Zwanzigern und Dreißigern heute das Gefühl, sich finanziell weniger aufbauen zu können als frühere Generationen. Doch stimmt dieser Befund? Eine statistische A
Die Ausbildung passt. Ein Studium oder ein vergleichbarer Abschluss, ein Teil davon natürlich per Erasmus im Ausland absolviert. Vielleicht noch ein Postgraduate-Diplom dazu. Auch der Job ist durchaus in Ordnung. Im Marketing eines internationalen Konzerns, als Arzt am lokalen Krankenhaus oder als Jurist in einer kleinen Kanzlei.
Genügend Geld zu haben, bereitet im täglichen Leben keine Sorgen. Und auch der Wochenendtrip im Billigflieger zu den Freunden nach Barcelona oder das Party-Wochenende in Berlin sind problemlos finanzierbar. Wenn es aber irgendwann darum geht, die familientaugliche 100-Quadratmeter-Wohnung zu erwerben, kommt plötzlich die Ernüchterung: Die Ersparnisse sind viel zu gering, die Kreditrate ist trotz Minizinsen viel zu hoch. Geldfrage. Es ist ein Gefühl, das viele in ihren späten Zwanzigern und Dreißigern beschleicht: Kann ich mir aus eigener Kraft noch finanziell etwas aufbauen?
Der Lebensstandard ist hoch, die Ausgaben fürs tägliche Leben aber ebenso. Und beim Blick auf den Lohnzettel sorgt die Abgabenbelastung für Kopfschmerzen. Geld für große Investitionen wie eine Immobilie anzusparen, scheint also häufig unmöglich.
Doch stimmt dieser gefühlte Befund, dass das „Aufbauen“früher leichter war? Wir haben versucht, die Antwort auf diese Frage anhand von sechs Themenbereichen etwas greifbarer zu machen: Die Grundlage für das finanzielle Auskommen ist in der Regel der Job. Und am Arbeitsmarkt haben sich die Voraussetzungen im Vergleich zu früher deutlich geändert. So brauchte man sich bis in die frühen 1980er-Jahre in Österreich wenig Sorgen machen, einen Job zu finden. Es waren die goldenen Jahre auf dem Arbeitsmarkt: Mehr als ein Jahrzehnt lang herrschte de facto Vollbeschäftigung, die Arbeitslosigkeit lag fast durchgehend unter zwei Prozent. Es gab mehr offene Stellen als Menschen ohne Job. Heute gibt es sechs Mal so viele Arbeitslose wie freie Arbeitsplätze.
Ein Grund dafür war allerdings auch die einst geringe Frauenerwerbsquote. Dann kam die Trendumkehr: Frauen drängten verstärkt auf den Arbeitsmarkt, und spätestens seit der EUOsterweiterung auch Arbeitswillige aus den neuen EU-Ländern. Das große Arbeitskräftepotenzial ist ein Hauptgrund, warum die Arbeitslosigkeit in Österreich heute historisch hoch ist. Aktuell geht sie zwar wieder zurück, es gibt aber immer noch um 100.000 Arbeitslose mehr als vor der Wirtschaftskrise 2008.
Studieren war in den 1970er-Jahren quasi eine Jobgarantie. Auch wer sogenannte Orchideenfächer belegte, musste sich nicht wirklich um seine berufliche Zukunft sorgen. Es gab ganz einfach viel weniger Akademiker. Die Akademikerquote erhöhte sich seit 1971 von 2,8 auf mehr als 14 Prozent. Die Hochschulabsolventen gehören mit einer Arbeitslosigkeit von unter vier Prozent aber nach wie vor zu den Begünstigten am Arbeitsmarkt. Die Jobs waren früher zudem auch – anders als in vielen Branchen heute – immer fix und mit regelmäßigen Lohnsteigerungen verbunden.
Arbeitsmarktexperte Helmut Hofer vom IHS relativiert das Jobwunder der 1970er aber auch ein wenig. Die Menschen seien scharenweise in die Frühpension geschickt worden. „Die niedrige Arbeitslosigkeit von damals war historisch betrachtet die absolute Ausnahme“, sagt Hofer. Und er räumt ein: „Man hat zwar relativ leicht einen Job gefunden, aber viele davon waren auch von den Bedingungen her schlecht und schlecht bezahlt.“ Das führt zum entscheidenden Faktor für die finanzielle Leistungsfähigkeit: dem Gehalt. Doch wie hat sich das im Verhältnis zu früher entwickelt? Eine schwierig zu beantwortende Frage, da viele Daten in früheren Jahrzehnten nur sehr ungenau erhoben wurden und die Inflation langfristige Vergleiche schwierig macht. Wie das in der Praxis aussieht, zeigen die Daten der Statistik Austria über das durchschnittliche Jahresnettoeinkommen. Dieses machte 1976 den Betrag 5852 Euro aus und stieg bis 2015 stetig auf 21.597 Euro an. Ein Großteil des Unterschieds geht aber auf den Inflationsausgleich in diesen knapp 40 Jahren zurück.
Auf Anfrage der „Presse am Sonntag“hat die Statistik auch die inflationsbereinigten Werte berechnet. Diese zeigen ein anderes Bild. So verdienten Österreicher 1976 im Schnitt 16.771 Euro. Bis 1994 stieg dieser Wert auf knapp 21.000 Euro an und stagniert seither weitgehend. Den höchsten Wert gab es 2009 mit 22.400 Euro. 2015 betrug er schließlich die zuvor genannten 21.597 Euro pro Jahr.
Doch auch bei diesen Zahlen rufen die Statistiker laut „Achtung!“. Denn sie sind nicht teilzeitbereinigt. Und gerade die Teilzeitarbeit hat in den vergangenen drei Jahrzehnten stark zugelegt, was die Jahreseinkommen statistisch senkt. Grund dafür war vor allem ein Anstieg der Frauenerwerbsquote. Aus dem klassischen Alleinverdienerhaushalt wurde der Eineinhalbverdienerhaushalt. Auf Haushaltsbasis hat diese statistische Dämpfung der Personeneinkommen also oft zu einer Zunahme der verfügbaren Geldmittel geführt. Und jene, die einen fixen Vollzeitjob haben, können sich in jedem Fall über eine stetige Zunahme ihres Realeinkommens (zwischen 2004 und 2015 plus vier Prozent netto) freuen, so die Statistik Austria.
Gleichzeitig nahm aber auch die Zahl sogenannter prekärer Jobs zu, sagt die auf Einkommensfragen spezialisierte Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber. Es gibt also mehr Saison- kräfte oder Menschen, die nur projektbezogen oder mit befristeten Verträgen arbeiten. „Wenn man ständig den Job wechselt, helfen einem die allgemeinen Lohnsteigerungen nicht.“Zudem gebe es auch immer mehr Selbstständige ohne Mitarbeiter – also sogenannte „Ich-AGs“. „Und diese neuen Selbstständigen haben oft nur einen Bruchteil des Gehalts der Unselbstständigen in derselben Branche“, so Mayrhuber. Neben dem Einkommen ist auch die Höhe der Abgaben entscheidend für die finanzielle Leistungsfähigkeit. Das relevante Maß dafür ist die staatliche Abgabenquote. Und die hat im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten ordentlich zugelegt. Konnten sich die Menschen bis 1963 noch über eine Quote von unter 35 Prozent des BIP freuen, stieg sie in den Jahren darauf kontinuierlich an. 1977 war das letzte Jahr in Österreich mit einer Abgabenquote von unter 40 Prozent. Seit dem Anfang der 1990er-Jahre pendelt die Quote zwischen 42 und 45 Prozent. Den Höchststand erreichte sie übrigens 2001 mit 45,4 Prozent – einer der Gründe für das Beinahe-Nulldefizit unter Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Was man sich mit dem verdienten Geld leisten kann, hängt aber auch stark mit den Preisen zusammen. Und diese entwickelten sich je nach Produktgruppe in den vergangenen Jahrzehnten sehr unterschiedlich. So machte die Globalisierung beispielsweise elektronische Geräte wesentlich billiger, während Dienstleistungen von Handwerkern viel teurer wurden. An Letzterem ist nicht zuletzt die gestiegene Steuer- und Abgabenbelastung schuld.
Um das Ganze leichter vergleichbar zu machen, berechnet das Wifo in regelmäßigen Abständen, wie viele Minuten ein durchschnittlicher Arbeiter einst und jetzt für diverse Produkte arbeiten musste. Und hier zeigt sich, dass viele Konsumausgaben das Haushaltsbudget heute deutlich geringer belasten. So musste ein Arbeiter für ein