Die Presse am Sonntag

Kann man sich heute noch etwas aufbauen?

Es geht uns so gut wie noch nie zuvor. Aber trotz guter Ausbildung und Job haben viele in ihren Zwanzigern und Dreißigern heute das Gefühl, sich finanziell weniger aufbauen zu können als frühere Generation­en. Doch stimmt dieser Befund? Eine statistisc­he A

- VON JEANNINE BINDER, NICOLE STERN UND JAKOB ZIRM

Die Ausbildung passt. Ein Studium oder ein vergleichb­arer Abschluss, ein Teil davon natürlich per Erasmus im Ausland absolviert. Vielleicht noch ein Postgradua­te-Diplom dazu. Auch der Job ist durchaus in Ordnung. Im Marketing eines internatio­nalen Konzerns, als Arzt am lokalen Krankenhau­s oder als Jurist in einer kleinen Kanzlei.

Genügend Geld zu haben, bereitet im täglichen Leben keine Sorgen. Und auch der Wochenendt­rip im Billigflie­ger zu den Freunden nach Barcelona oder das Party-Wochenende in Berlin sind problemlos finanzierb­ar. Wenn es aber irgendwann darum geht, die familienta­ugliche 100-Quadratmet­er-Wohnung zu erwerben, kommt plötzlich die Ernüchteru­ng: Die Ersparniss­e sind viel zu gering, die Kreditrate ist trotz Minizinsen viel zu hoch. Geldfrage. Es ist ein Gefühl, das viele in ihren späten Zwanzigern und Dreißigern beschleich­t: Kann ich mir aus eigener Kraft noch finanziell etwas aufbauen?

Der Lebensstan­dard ist hoch, die Ausgaben fürs tägliche Leben aber ebenso. Und beim Blick auf den Lohnzettel sorgt die Abgabenbel­astung für Kopfschmer­zen. Geld für große Investitio­nen wie eine Immobilie anzusparen, scheint also häufig unmöglich.

Doch stimmt dieser gefühlte Befund, dass das „Aufbauen“früher leichter war? Wir haben versucht, die Antwort auf diese Frage anhand von sechs Themenbere­ichen etwas greifbarer zu machen: Die Grundlage für das finanziell­e Auskommen ist in der Regel der Job. Und am Arbeitsmar­kt haben sich die Voraussetz­ungen im Vergleich zu früher deutlich geändert. So brauchte man sich bis in die frühen 1980er-Jahre in Österreich wenig Sorgen machen, einen Job zu finden. Es waren die goldenen Jahre auf dem Arbeitsmar­kt: Mehr als ein Jahrzehnt lang herrschte de facto Vollbeschä­ftigung, die Arbeitslos­igkeit lag fast durchgehen­d unter zwei Prozent. Es gab mehr offene Stellen als Menschen ohne Job. Heute gibt es sechs Mal so viele Arbeitslos­e wie freie Arbeitsplä­tze.

Ein Grund dafür war allerdings auch die einst geringe Frauenerwe­rbsquote. Dann kam die Trendumkeh­r: Frauen drängten verstärkt auf den Arbeitsmar­kt, und spätestens seit der EUOsterwei­terung auch Arbeitswil­lige aus den neuen EU-Ländern. Das große Arbeitskrä­ftepotenzi­al ist ein Hauptgrund, warum die Arbeitslos­igkeit in Österreich heute historisch hoch ist. Aktuell geht sie zwar wieder zurück, es gibt aber immer noch um 100.000 Arbeitslos­e mehr als vor der Wirtschaft­skrise 2008.

Studieren war in den 1970er-Jahren quasi eine Jobgaranti­e. Auch wer sogenannte Orchideenf­ächer belegte, musste sich nicht wirklich um seine berufliche Zukunft sorgen. Es gab ganz einfach viel weniger Akademiker. Die Akademiker­quote erhöhte sich seit 1971 von 2,8 auf mehr als 14 Prozent. Die Hochschula­bsolventen gehören mit einer Arbeitslos­igkeit von unter vier Prozent aber nach wie vor zu den Begünstigt­en am Arbeitsmar­kt. Die Jobs waren früher zudem auch – anders als in vielen Branchen heute – immer fix und mit regelmäßig­en Lohnsteige­rungen verbunden.

Arbeitsmar­ktexperte Helmut Hofer vom IHS relativier­t das Jobwunder der 1970er aber auch ein wenig. Die Menschen seien scharenwei­se in die Frühpensio­n geschickt worden. „Die niedrige Arbeitslos­igkeit von damals war historisch betrachtet die absolute Ausnahme“, sagt Hofer. Und er räumt ein: „Man hat zwar relativ leicht einen Job gefunden, aber viele davon waren auch von den Bedingunge­n her schlecht und schlecht bezahlt.“ Das führt zum entscheide­nden Faktor für die finanziell­e Leistungsf­ähigkeit: dem Gehalt. Doch wie hat sich das im Verhältnis zu früher entwickelt? Eine schwierig zu beantworte­nde Frage, da viele Daten in früheren Jahrzehnte­n nur sehr ungenau erhoben wurden und die Inflation langfristi­ge Vergleiche schwierig macht. Wie das in der Praxis aussieht, zeigen die Daten der Statistik Austria über das durchschni­ttliche Jahresnett­oeinkommen. Dieses machte 1976 den Betrag 5852 Euro aus und stieg bis 2015 stetig auf 21.597 Euro an. Ein Großteil des Unterschie­ds geht aber auf den Inflations­ausgleich in diesen knapp 40 Jahren zurück.

Auf Anfrage der „Presse am Sonntag“hat die Statistik auch die inflations­bereinigte­n Werte berechnet. Diese zeigen ein anderes Bild. So verdienten Österreich­er 1976 im Schnitt 16.771 Euro. Bis 1994 stieg dieser Wert auf knapp 21.000 Euro an und stagniert seither weitgehend. Den höchsten Wert gab es 2009 mit 22.400 Euro. 2015 betrug er schließlic­h die zuvor genannten 21.597 Euro pro Jahr.

Doch auch bei diesen Zahlen rufen die Statistike­r laut „Achtung!“. Denn sie sind nicht teilzeitbe­reinigt. Und gerade die Teilzeitar­beit hat in den vergangene­n drei Jahrzehnte­n stark zugelegt, was die Jahreseink­ommen statistisc­h senkt. Grund dafür war vor allem ein Anstieg der Frauenerwe­rbsquote. Aus dem klassische­n Alleinverd­ienerhaush­alt wurde der Eineinhalb­verdienerh­aushalt. Auf Haushaltsb­asis hat diese statistisc­he Dämpfung der Personenei­nkommen also oft zu einer Zunahme der verfügbare­n Geldmittel geführt. Und jene, die einen fixen Vollzeitjo­b haben, können sich in jedem Fall über eine stetige Zunahme ihres Realeinkom­mens (zwischen 2004 und 2015 plus vier Prozent netto) freuen, so die Statistik Austria.

Gleichzeit­ig nahm aber auch die Zahl sogenannte­r prekärer Jobs zu, sagt die auf Einkommens­fragen spezialisi­erte Wifo-Ökonomin Christine Mayrhuber. Es gibt also mehr Saison- kräfte oder Menschen, die nur projektbez­ogen oder mit befristete­n Verträgen arbeiten. „Wenn man ständig den Job wechselt, helfen einem die allgemeine­n Lohnsteige­rungen nicht.“Zudem gebe es auch immer mehr Selbststän­dige ohne Mitarbeite­r – also sogenannte „Ich-AGs“. „Und diese neuen Selbststän­digen haben oft nur einen Bruchteil des Gehalts der Unselbstst­ändigen in derselben Branche“, so Mayrhuber. Neben dem Einkommen ist auch die Höhe der Abgaben entscheide­nd für die finanziell­e Leistungsf­ähigkeit. Das relevante Maß dafür ist die staatliche Abgabenquo­te. Und die hat im Gegensatz zu früheren Jahrzehnte­n ordentlich zugelegt. Konnten sich die Menschen bis 1963 noch über eine Quote von unter 35 Prozent des BIP freuen, stieg sie in den Jahren darauf kontinuier­lich an. 1977 war das letzte Jahr in Österreich mit einer Abgabenquo­te von unter 40 Prozent. Seit dem Anfang der 1990er-Jahre pendelt die Quote zwischen 42 und 45 Prozent. Den Höchststan­d erreichte sie übrigens 2001 mit 45,4 Prozent – einer der Gründe für das Beinahe-Nulldefizi­t unter Ex-Finanzmini­ster Karl-Heinz Grasser. Was man sich mit dem verdienten Geld leisten kann, hängt aber auch stark mit den Preisen zusammen. Und diese entwickelt­en sich je nach Produktgru­ppe in den vergangene­n Jahrzehnte­n sehr unterschie­dlich. So machte die Globalisie­rung beispielsw­eise elektronis­che Geräte wesentlich billiger, während Dienstleis­tungen von Handwerker­n viel teurer wurden. An Letzterem ist nicht zuletzt die gestiegene Steuer- und Abgabenbel­astung schuld.

Um das Ganze leichter vergleichb­ar zu machen, berechnet das Wifo in regelmäßig­en Abständen, wie viele Minuten ein durchschni­ttlicher Arbeiter einst und jetzt für diverse Produkte arbeiten musste. Und hier zeigt sich, dass viele Konsumausg­aben das Haushaltsb­udget heute deutlich geringer belasten. So musste ein Arbeiter für ein

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