»Sich etwas zu schaffen, war immer mit Opfern verbunden«
Es sei eine Frage der Prioritäten, ob man sich Eigenheim und Vermögen aufbaut, sagt der Wirtschaftshistoriker Andreas Resch.
Man kann sich heutzutage viel mehr leisten als früher. Trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, dass es schwieriger ist, sich etwas aufzubauen. Stimmt das? Natürlich kann man sich heute noch etwas aufbauen. Die Bedingungen für Unternehmer und gut ausgebildete Erwerbstätige sind wahrscheinlich besser denn je. Die unteren Einkommen stagnieren seit zwanzig Jahren. Aber ein relativer Wohlstand, mit Urlauben und einer schönen Wohnung, ist für die meisten möglich. Das ist, würde ich sagen, der Normalfall. Sie sind Wirtschaftshistoriker. In welchen Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg war es objektiv betrachtet am leichtesten, sich aus eigener Kraft Wohlstand zu schaffen? Es gibt unterschiedliche Phasen. Umbruchszeiten wie direkt nach dem Krieg bringen große Vermögensverluste mit sich, die Währung entwertete, Sparguthaben gingen verloren. Aber sie bieten auch Chancen. Damals wurden viele Firmen gegründet, einige haben sich sogar zu globalen Playern entwickelt. Danach, bis in die späten 1970er-Jahre, konnte man auch als Arbeiter, Angestellter und Beamter am Aufschwung partizipieren. Das war eine lange Phase, in der sich die Wirtschaft gut und stabil entwickelt hat. Man konnte sich mit Arbeit und Sparen ein mittelstandsbürgerliches Leben erarbeiten. Die 80er und 90er waren wieder turbulenter. Was hat sich verändert? Die Globalisierung und der technologische Fortschritt fingen an, sich auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar zu machen. Große Firmen gingen pleite, der öffentliche Dienst stellte nicht mehr so viel ein. Beschäftigungsverhältnisse wurden unstetiger. Die unteren Einkommen kamen seither stärker unter Druck als die höheren. Lange Zeit war es Standard, dass Familien von einem Einkommen lebten. Trotzdem ist es vielen gelungen, sich einen relativen Wohlstand zu schaffen. Ja, bis in die 70er-Jahre ist die Frauenerwerbsquote eher zurückgegangen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit arbeiteten Männer und Frauen, weil es notwendig war, oder nur die Frauen, weil die Männer in Kriegsgefangenschaft waren. Man empfand es als Fortschritt, das traditionelle Familienmodell zu leben. Seit den 70er-Jahren hat sich der Trend umgekehrt. Viele junge Menschen haben das Gefühl, dass sie sich kein Eigenheim leisten können, ob Haus oder Wohnung. Ist das so? Das würde ich nicht generell sagen. Gerade auf dem Land, wo das Eigenheim nach wie vor dazugehört, ist das durchaus möglich. Wahrscheinlich auch, indem man zehn Jahre seines Lebens diesem Projekt widmet, relativ sparsam lebt und auf Nachbarschaftshilfe zugreift. Ich sehe jetzt nicht, was da schlechter sein sollte als früher, heute gibt es zudem Wohnbauhilfe. Es wird auch viel vererbt, viele müssen gar kein Haus mehr bauen. Aber es hat sich eben auch der Lebensstandard verändert und was man sich vom Leben erwartet. Es war immer schon mit großen Opfern verbunden, sich etwas zu schaffen.
Andreas Resch
ist Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Wiener Wirtschaftsuniversität.
Seine Schwerpunkte
in der Forschung sind Wirtschaftsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, historische Unternehmensanalyse und Industrialisierung. Sind die Menschen heutzutage weniger bereit, diese Opfer zu bringen? Es ist jedenfalls so, dass der Lebensstandard früher wesentlich geringer war. Bis in die 70er-Jahre hatten Wohnungen in Wien keine Zentralheizung und kein Badezimmer. Man war eher bereit, sparsam zu leben, um aus diesen Umständen rauszukommen. Heute überlegt man vielleicht, ob man sich ein Zimmer mehr oder weniger leisten kann. Dieses Zwecksparen war vielleicht wirklich stärker ausgeprägt als heute. Und wie ticken die heutigen Generationen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten? Die sind schon in Rahmenbedingungen aufgewachsen, wo das nicht mehr so notwendig ist. In Österreich kann man auch gut dauerhaft in einer Mietwohnung leben. In Städten wie London, wo man keine langfristigen Mietverträge bekommt, ist das viel schwieriger. Und es gibt eine weit größere Vielfalt an Lebensentwürfen. Viele Menschen aus der sozialen Mittelschicht stellen materielle Dinge nicht mehr so ins Zentrum. Auch weil vieles eben schon da ist. Es ist eine rein persönliche Entscheidung? Was ich im Leben erreichen kann, hängt von Herkunft, Tüchtigkeit und den individuellen Entscheidungen ab. Wenn es mir wichtig ist, viel zu verdienen, muss ich in Hochlohnbranchen gehen wie die IT oder Energiewirtschaft. Wirklich reich wird man mit Arbeit freilich nicht, viele reüssieren als Selbstständige. Wenn ich diesem Ziel alles unterordne, kann ich mir mit großer Wahrscheinlichkeit ein Eigenheim leisten und Ersparnisse bilden. Also haben die Menschen in Österreich heute mehr Möglichkeiten denn je – sie müssen nur wählen? Die Möglichkeiten sind breit, es ist eine Frage der Prioritäten und schon auch der Ausgangschancen. Wir wissen aus Studien, dass Bildung immer noch vererbt wird. Aber die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg ist da. Wir haben ein historisch hohes Wohlstandsniveau erreicht. Viele Menschen haben ein Bündel an Zielen, die für sie gleichwertig sind. Man will etwas Interessantes machen, selbstbestimmt arbeiten, Zeit für die Familie haben. Das kann ein Zielkonflikt zur Einkommensmaximierung sein. Wie sehen Sie im historischen Vergleich die Möglichkeiten, Kapital zu bilden? Das große Plus heute ist, dass die Zinsen niedrig sind und Kredite daher so billig wie noch nie. Das ist für das Eigenheim eine gute Voraussetzung. Viele trauern den hohen Sparzinsen vergangener Zeiten nach, in den 70ern waren zehn Prozent nicht ungewöhnlich. Aber man darf nicht vergessen, dass damals auch die Inflation viel höher war. Seit dem Krieg gab es die Hälfte der Zeit real keine Erträge auf Sparguthaben. Ökonomisch betrachtet war es nie gut, sein Vermögen in Form von Geld zu halten. Aber die Immobilienpreise sind seit der Jahrtausendwende stärker gestiegen als die Einkommen. Eine Wohnung zu kaufen ist also tatsächlich schwieriger als vor 20 Jahren.