Chinesischer Esprit: Legendärer Leichtbau für das Reich der Mitte
Mit Geely ist erstmals ein chinesischer Autohersteller zum Global Player gereift. Der Kauf von Lotus ist in der Dimension nur eine Fußnote – hat aber Symbolkraft. Denn die Chinesen haben bewiesen, dass sie viel von Markenführung verstehen – mehr als manch
Hätte der Mann etwas dagegen gehabt, dass sich irgendwann Chinesen sein Lebenswerk einverleiben? Wir können ihn nicht mehr fragen, aber vermutlich nicht.
Lotus-Gründer Anthony Colin Bruce Chapman, der 1982 starb, wusste in seiner Schaffenszeit nie etwas gegen Deals einzuwenden, solang die Kasse stimmte und es mit der Firma weiterging. Letzteres dürfte mit dem neuen Eigentümer besser gewährleistet sein als in all den Jahrzehnten zuvor.
Leicht und filigran waren nicht nur die legendären und erfolgreichen Rennautos des Teams Lotus – in einem solchen fand neben einigen anderen auch Jochen Rindt den Tod –, das waren chronisch auch die Firmenstruktur und Finanzgebarung des Rennstalls und Autoherstellers, den Chapman in seiner Urform 1948 im englischen Norfolk gegründet hatte.
Chapman war in erster Linie Konstrukteur, dessen Leidenschaft ganz dem Leichtbau gehörte. Dazu haben sich einige Bonmots angesammelt, die ihm zugeschrieben werden – Kostprobe: „Viel Leistung macht dich auf den Geraden schneller, wenig Gewicht überall.“Oder: „Ein Auto, das ein ganzes Rennen hält, ist zu schwer.“
Worte mit bitterem Nachgeschmack, denn Chapmans Leichtbauwut brachte seinen Autos im Fahrerlager der Sixties den Ruf „rollender Särge“ein. Es war Chapman, der erstmals einen Formel-1-Rennwagen mit weniger als 500 kg Gewicht auf die Strecke brachte – und irgendwo, neben Innovationen wie Gitterrohrrahmen (später Monocoque), mussten die Kilos ja geholt werden. Nimbus. Rindt misstraute dem epochalen Lotus 72, nichtsdestoweniger fuhr er in der Saison 1970 mit dem keilförmigen Auto fünf Siege ein, vier davon in Serie, bis beim Training in Monza die Bremswelle brach und der österreichische Rennfahrer tödlich verletzt wurde. Den Weltmeistertitel konnte ihm keiner mehr nehmen.
Der Nimbus der Marke wurde in den goldenen Tagen des Teams Lotus geformt, als man auch für Ferrari der Maßstab war – er erwies sich als haltbarer und langlebiger als zuweilen Chapmans puristische Konstruktionen. „Simplify, than add lightness“, das lässt sich kaum adäquat übersetzen.
Auf der Straße forderten die Autos von Lotus mindestens Sportsgeist, eher auch einen Schuss Verwegenheit. Frühe Modelle konnten nur als Bausatz geordert werden.
Mit den Erfolgen des Rennstalls kam die Produktion von Straßensportwagen in Schwung – mit dem Esprit von 1976 wohl als Höhepunkt: eine vom italienischen Designmaestro Giorgetto Giugiaro gezeichnete, hüfthohe Kante von Sportwagen mit nur konsequenter Filmkarriere, am prominentesten als tauchendes Bond-Vehikel.
Dann starb Chapman mit 54 Jahren an Herzversagen. Im Rückblick zeigt die Figur Facetten, die lang nicht gern gesehen wurden: der Träger des britischen Ritterordens als ein von seiner Medikamenten- und Aufputschmittelsucht Getriebener, den sein früher Tod womöglich davor bewahrte, in einem großen Betrugsfall mit einer Haftstrafe zur Rechenschaft gezogen zu werden. Pretty Woman. Am Lack der Marke kratzten aber eher spätere Eigentümer wie General Motors, die mit den Kleinodien der Leichtbaukunst wenig anzufangen wussten, zumal die Rezeptur kaum für den US-Markt taugt. Über die kleine, eingeschworene Fangemeinde kam man nur punktuell mit dem Marketingturbo wie „Pretty Woman“(1990) hinaus – Julia Roberts zeigt Richard Gere, wie man in einem handgeschalteten Lotus Esprit kunstfertig die Gänge sortiert.
Chapmans Credo lässt sich nicht adäquat übersetzen: »Simplify, than add lightness.« Mit der Miniatur Lotus kann Li Shufu alles im Sinn haben, nur nicht den schnellen Rubel.
Aufwind brachte der italienische Unternehmer Romano Artioli, der Lotus 1993 von GM übernahm und 1996 die bahnbrechende Elise auf die Straße brachte – ein puristischer Roadster, der zu 100 Prozent den Geist des Firmengründers verkörpert.
Und an dieser Stelle steht Lotus im Grunde heute noch. Das gesamte Portfolio besteht aus der Elise und Derivaten des Zweisitzers. Die Stückzahlen dümpelten zuweilen im Dreistelligen. Was ist geschehen?
Artioli überhob sich mit seinem Bugatti-Projekt und verkaufte Lotus an die malaysische Proton-Gruppe. Einige Abenteurer versuchten sich seither am Steuer der Marke, aber zur Bereitstellung größerer Geldmittel aus Asien kam es nie. Auftritt Mister Li. Dass die Not nun ein Ende haben und es tatsächlich zu einem schillernden Lotus-Comeback kommen könnte, liegt an einem Mann, der mit seinen 55 Jahren zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Autobusiness gehört: Li Shufu, Gründer von Geely, des ersten chinesischen Autoherstellers, der den Rang eines Global Players innehat. Geely übernahm 2010 die Marke Volvo von Ford – abermals glücklos agierende Amerikaner – zum Freundschaftspreis und enttäuschte in der Folge alle, die bloß Ausverkauf und Technologietransfer nach China witterten. Volvo hat sich fest im lukrativen Premiumsegment festgesetzt und reiht Rekordjahr an Rekordjahr. Was erwähnten Transfer angeht, den besorgen alle westlichen Hersteller ohnehin nach Kräften selbst, um am chinesischen Automarkt partizipieren zu können. Es ist zutreffend, dass unter der Hülle eines Volvo immer mehr chinesische Bauteile stecken, aber sie sind nicht schlechter als andere. Einen in China gebauten und nach Europa und in die USA exportierten Volvo S90, Flaggschiff der Marke, kann man qualitativ nicht von seiner in Europa gebauten Kombiversion unterscheiden.
In den USA hat Shufu gerade ein Werk aus dem Boden gestampft, in dem künftig die Mittelklasselimousine S60 produziert wird. Mit Geelys Tochterunternehmen Lynk & Co. steht ein absolut ernst zu nehmender Angriff einer Chinamarke außerhalb des eigenen Reichs bevor – mit Technik, Werken und Logistik von Volvo.