Eiserne Reserve
Die von der Medizin eher vernachlässigte Milz ist unter anderem ein Reservoir für Sauerstoff. Genutzt wird es von Pferden – und Seenomaden.
Für ein erfolgreiches Rennpferd muss vieles zusammenkommen, im Bau des Körpers und in seinem Inneren: Galoppieren frisst Energie, diese kommt mit dem Sauerstoff, dieser mit der Atemluft. Sie können Pferde im Galopp nur holen, wenn sie selbst in der Luft sind, deshalb sind lange Beine dienlich. Eine große Lunge kann auch nicht schaden, allerdings kann sie die Luft nicht lang halten, sie wird beim Aufsetzen auf den Boden zusammengepresst, von vorn und von hinten, Magen und Darm drücken mit Wucht.
Aber es geht ja nicht um die Luft, sondern um den Sauerstoff, und für ihn haben sich Pferde etwas Besonderes einfallen lassen: Sie haben die Milz extrem ausgebildet – auf 70 Zentimeter Länge, bei uns sind es elf –, sie sitzt im linken Oberbauch und ist unter anderem ein Reservoir für Erythrozyten, rote Blutzellen, die Sauerstoff speichern und transportieren. Und beim Aufsetzen der Vorderbeine wird nicht nur die Lunge zusammengepresst, der Milz ergeht es nicht anders, dann rauschen in ihr gespeicherte Erythrozyten in den Blutkreislauf: „Pferde haben, was ich einen natürlichen Blut-Doper nenne“, erklärte Kenneth McKeever vom Equine Science Center der Rutgers University, als er 2006 gebeten wurde, die Chancen der am Kentucky Derby teilnehmenden Rennpferde abzuschätzen.
Trotz des Stichworts „Doping“wurden zweibeinige Athleten und ihre Trainer nicht hellhörig. Zum einen war der damalige Stand der, dass bei Menschen unter Stress nicht mehr Erythrozyten aus der Milz gepresst werden, das hatte McKenzie früher schon zusammengefasst (Sports Med 32, S. 361). Und zum anderen wandte man der Milz generell eher wenig Interesse zu: Man kann zwar an ihr sterben, wenn sie etwa vom Bakterium Anthrax befallen wird – es bringt Nutztieren und Menschen Milzbrand, deshalb wurde es auch als Biowaffe getestet und in den USA nach 9/11 von Terroristen per Post verschickt –, aber man kann, wenn sie nach einer Verletzung chirurgisch entfernt werden muss, auch ohne sie leben, deshalb nahm sie bei Ärzten und Biologen keinen allzu hohen Rang ein. Bei anderen schon: „Must I stand and crouch under your teyts humour? By the gods you shall digest the venom of your spleen though it do split you.“So ließ Shakespeare in „Julius Caesar“den Brutus den Cassius bzw. dessen Reizbarkeit verfluchen (4. Akt, 3. Szene). In England heißt die Milz „spleen“, in Frankreich auch, aber dort verband Baudelaire eine ganz andere Stimmung damit, die der Melancholie – die „statt des Bluts das grüne Wasser des Lethe“in den Adern fließen lässt (Fleur du Malle, LXXVII), – für sie hatte bei Aristoteles schon die Schwarze Galle der Milz gesorgt; bei wieder anderen Schriftstellern stand „spleen“für Hysterie und Hypochondrie. Kampf um Eisen. Ganz verschiedene Säfte also, die Wissenschaft sieht es nüchterner: Die Milz ist Teil des Blutund Lymphsystems. In ihr gedeihen Abwehrzellen, die Körperfremdes mit Antikörpern neutralisieren – weiße Blutkörperchen, Leukozyten –, in ihr sind auch Abwehrzellen konzentriert, die Körperfremdes in sich aufnehmen, es fressen: Makrophagen. Dabei geht es nicht nur um Abwehr, sondern auch um einen umkämpften Rohstoff: Eisen. Der Körper braucht es, etwa für das sauerstoffbindende Hämoglobin der Erythrozyten, aber Bakterien brauchen es auch. Sie beschaffen es sich trickreich aus Erythrozyten, aber Makrophagen holen es zurück: Wenn sie Bakterien fressen, wird das Eisen frei.
Und nicht nur das in Bakterien. Die zweite Quelle sind Erythrozyten selbst, ihre Qualität wird in der Milz (und der Leber) geprüft: Diese Zellen werden etwa 120 Tage alt, und sie werden steif dabei. Deshalb gibt es in Milz und Leber Filter: enge Blutgefäße, durch die sich ältere Erythrozyten nicht mehr zwängen können, sie werden von Makrophagen entsorgt – 2 x 1011 pro Tag –, ihr Eisen, das im sauerstoffbindenden Hämoglobin, wird rezykliert, drei Kilo im Jahr (Nat Rev Immunol 8, S. 958).
Die Qualitätskontrolle sorgt für einen permanent hohen Erythrozytengehalt der Milz, und er ist, zumindest andernorts im Körper, gefährlich: Rote Blutzellen können miteinander verklumpen, das macht das Doping mit Eigenblut riskant, vor allem aber das dauernde Leben in großen Höhen, in denen die Luft dünn ist. Dann kann mit erhöhter Erythrozytenzahl mehr Sauerstoff in und durch den Körper ge- schafft werden, die Besiedler der Anden haben in ihrer Anpassung diesen Weg gewählt. Aber sie zahlen einen hohen Preis, vor allem ganz früh, die Sterblichkeit bei der Geburt ist hoch. Um das zu vermeiden, haben die Menschen im Himalaja einen anderen Weg eingeschlagen, sie haben die Zahl der Erythrozyten verringert und im Gegenzug das Volumen der Lunge vergrößert, holen mit einem Atemzug 15 Liter Luft, bei uns sind es zwei bis drei.
Diese Strategie ist auch in anderen Umwelten, in denen es an Luft mangelt, naheliegend, trainierte Taucher atmen ellenlang ein. Menschen, die vom Tauchen leben, tun es auch, aber manche setzen obendrein auf die Milz. Darauf deuteten vor Jahren schon indigene Küstenbewohner in Korea, und das zeigte sich nun in aller Breite bei den Bajau, Bewohnern des Malayischen Archipels, sie lebten früher auf Booten und wurden deshalb auch Seenomaden genannt. Heute wohnen sie an den
Man kann ohne Milz leben, daher nahm sie bei Forschern keinen hohen Rang ein. Bei Schriftstellern schon: Da stand sie für Reizbarkeit, aber auch für Melancholie.
Küsten, aber sie ernähren sich, wie ihre Ahnen vor tausend Jahren, mittels Tauchen, lassen sich mit Gewichten hinabziehen, 70 Meter und mehr, da bleiben sie über fünf Minuten, in Summe mehr als den halben Arbeitstag.
„Das ist vergleichbar mit Seeottern“, erklärt Melissa Ilardo (Kopenhagen), die mit einem Ultraschallgerät im Gepäck einige Bajau besucht hat, und einige ihrer Nachbarn, Salua, sie beackern als Bauern Land: Im Durchschnitt ist die Milz bei den Bajau um 50 Prozent größer, und das auch bei solchen, die nicht tauchen (Cell 173, S. 1). Es liegt also nicht an der Übung. Es liegt an den Genen: Ilardo hat viele durchgemustert, die sich bzw. ihre Träger an die Lebensweise angepasst haben könnten, sie fand etwa eines, das man schon vom Tauchreflex her kennt, der eintritt, wenn man in Wasser gleitet und die Luft anhält: Der Herzschlag wird verlangsamt, das Blut aus der Peripherie zurückgezogen. Dass diese doch versorgt wird, dafür sorgt ein anderes Gen bzw. sein Protein, das die Gefäße zusammenzieht. Zentral aber ist eines, dessen Variante zum Wachstum der Milz beiträgt: So werden zehn Prozent mehr Erythrozyten mobilisiert.