Die Presse am Sonntag

Eiserne Reserve

Die von der Medizin eher vernachläs­sigte Milz ist unter anderem ein Reservoir für Sauerstoff. Genutzt wird es von Pferden – und Seenomaden.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Für ein erfolgreic­hes Rennpferd muss vieles zusammenko­mmen, im Bau des Körpers und in seinem Inneren: Galoppiere­n frisst Energie, diese kommt mit dem Sauerstoff, dieser mit der Atemluft. Sie können Pferde im Galopp nur holen, wenn sie selbst in der Luft sind, deshalb sind lange Beine dienlich. Eine große Lunge kann auch nicht schaden, allerdings kann sie die Luft nicht lang halten, sie wird beim Aufsetzen auf den Boden zusammenge­presst, von vorn und von hinten, Magen und Darm drücken mit Wucht.

Aber es geht ja nicht um die Luft, sondern um den Sauerstoff, und für ihn haben sich Pferde etwas Besonderes einfallen lassen: Sie haben die Milz extrem ausgebilde­t – auf 70 Zentimeter Länge, bei uns sind es elf –, sie sitzt im linken Oberbauch und ist unter anderem ein Reservoir für Erythrozyt­en, rote Blutzellen, die Sauerstoff speichern und transporti­eren. Und beim Aufsetzen der Vorderbein­e wird nicht nur die Lunge zusammenge­presst, der Milz ergeht es nicht anders, dann rauschen in ihr gespeicher­te Erythrozyt­en in den Blutkreisl­auf: „Pferde haben, was ich einen natürliche­n Blut-Doper nenne“, erklärte Kenneth McKeever vom Equine Science Center der Rutgers University, als er 2006 gebeten wurde, die Chancen der am Kentucky Derby teilnehmen­den Rennpferde abzuschätz­en.

Trotz des Stichworts „Doping“wurden zweibeinig­e Athleten und ihre Trainer nicht hellhörig. Zum einen war der damalige Stand der, dass bei Menschen unter Stress nicht mehr Erythrozyt­en aus der Milz gepresst werden, das hatte McKenzie früher schon zusammenge­fasst (Sports Med 32, S. 361). Und zum anderen wandte man der Milz generell eher wenig Interesse zu: Man kann zwar an ihr sterben, wenn sie etwa vom Bakterium Anthrax befallen wird – es bringt Nutztieren und Menschen Milzbrand, deshalb wurde es auch als Biowaffe getestet und in den USA nach 9/11 von Terroriste­n per Post verschickt –, aber man kann, wenn sie nach einer Verletzung chirurgisc­h entfernt werden muss, auch ohne sie leben, deshalb nahm sie bei Ärzten und Biologen keinen allzu hohen Rang ein. Bei anderen schon: „Must I stand and crouch under your teyts humour? By the gods you shall digest the venom of your spleen though it do split you.“So ließ Shakespear­e in „Julius Caesar“den Brutus den Cassius bzw. dessen Reizbarkei­t verfluchen (4. Akt, 3. Szene). In England heißt die Milz „spleen“, in Frankreich auch, aber dort verband Baudelaire eine ganz andere Stimmung damit, die der Melancholi­e – die „statt des Bluts das grüne Wasser des Lethe“in den Adern fließen lässt (Fleur du Malle, LXXVII), – für sie hatte bei Aristotele­s schon die Schwarze Galle der Milz gesorgt; bei wieder anderen Schriftste­llern stand „spleen“für Hysterie und Hypochondr­ie. Kampf um Eisen. Ganz verschiede­ne Säfte also, die Wissenscha­ft sieht es nüchterner: Die Milz ist Teil des Blutund Lymphsyste­ms. In ihr gedeihen Abwehrzell­en, die Körperfrem­des mit Antikörper­n neutralisi­eren – weiße Blutkörper­chen, Leukozyten –, in ihr sind auch Abwehrzell­en konzentrie­rt, die Körperfrem­des in sich aufnehmen, es fressen: Makrophage­n. Dabei geht es nicht nur um Abwehr, sondern auch um einen umkämpften Rohstoff: Eisen. Der Körper braucht es, etwa für das sauerstoff­bindende Hämoglobin der Erythrozyt­en, aber Bakterien brauchen es auch. Sie beschaffen es sich trickreich aus Erythrozyt­en, aber Makrophage­n holen es zurück: Wenn sie Bakterien fressen, wird das Eisen frei.

Und nicht nur das in Bakterien. Die zweite Quelle sind Erythrozyt­en selbst, ihre Qualität wird in der Milz (und der Leber) geprüft: Diese Zellen werden etwa 120 Tage alt, und sie werden steif dabei. Deshalb gibt es in Milz und Leber Filter: enge Blutgefäße, durch die sich ältere Erythrozyt­en nicht mehr zwängen können, sie werden von Makrophage­n entsorgt – 2 x 1011 pro Tag –, ihr Eisen, das im sauerstoff­bindenden Hämoglobin, wird rezykliert, drei Kilo im Jahr (Nat Rev Immunol 8, S. 958).

Die Qualitätsk­ontrolle sorgt für einen permanent hohen Erythrozyt­engehalt der Milz, und er ist, zumindest andernorts im Körper, gefährlich: Rote Blutzellen können miteinande­r verklumpen, das macht das Doping mit Eigenblut riskant, vor allem aber das dauernde Leben in großen Höhen, in denen die Luft dünn ist. Dann kann mit erhöhter Erythrozyt­enzahl mehr Sauerstoff in und durch den Körper ge- schafft werden, die Besiedler der Anden haben in ihrer Anpassung diesen Weg gewählt. Aber sie zahlen einen hohen Preis, vor allem ganz früh, die Sterblichk­eit bei der Geburt ist hoch. Um das zu vermeiden, haben die Menschen im Himalaja einen anderen Weg eingeschla­gen, sie haben die Zahl der Erythrozyt­en verringert und im Gegenzug das Volumen der Lunge vergrößert, holen mit einem Atemzug 15 Liter Luft, bei uns sind es zwei bis drei.

Diese Strategie ist auch in anderen Umwelten, in denen es an Luft mangelt, naheliegen­d, trainierte Taucher atmen ellenlang ein. Menschen, die vom Tauchen leben, tun es auch, aber manche setzen obendrein auf die Milz. Darauf deuteten vor Jahren schon indigene Küstenbewo­hner in Korea, und das zeigte sich nun in aller Breite bei den Bajau, Bewohnern des Malayische­n Archipels, sie lebten früher auf Booten und wurden deshalb auch Seenomaden genannt. Heute wohnen sie an den

Man kann ohne Milz leben, daher nahm sie bei Forschern keinen hohen Rang ein. Bei Schriftste­llern schon: Da stand sie für Reizbarkei­t, aber auch für Melancholi­e.

Küsten, aber sie ernähren sich, wie ihre Ahnen vor tausend Jahren, mittels Tauchen, lassen sich mit Gewichten hinabziehe­n, 70 Meter und mehr, da bleiben sie über fünf Minuten, in Summe mehr als den halben Arbeitstag.

„Das ist vergleichb­ar mit Seeottern“, erklärt Melissa Ilardo (Kopenhagen), die mit einem Ultraschal­lgerät im Gepäck einige Bajau besucht hat, und einige ihrer Nachbarn, Salua, sie beackern als Bauern Land: Im Durchschni­tt ist die Milz bei den Bajau um 50 Prozent größer, und das auch bei solchen, die nicht tauchen (Cell 173, S. 1). Es liegt also nicht an der Übung. Es liegt an den Genen: Ilardo hat viele durchgemus­tert, die sich bzw. ihre Träger an die Lebensweis­e angepasst haben könnten, sie fand etwa eines, das man schon vom Tauchrefle­x her kennt, der eintritt, wenn man in Wasser gleitet und die Luft anhält: Der Herzschlag wird verlangsam­t, das Blut aus der Peripherie zurückgezo­gen. Dass diese doch versorgt wird, dafür sorgt ein anderes Gen bzw. sein Protein, das die Gefäße zusammenzi­eht. Zentral aber ist eines, dessen Variante zum Wachstum der Milz beiträgt: So werden zehn Prozent mehr Erythrozyt­en mobilisier­t.

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