Die Presse am Sonntag

Abnehmen auf Facebook

Sie wollen etwas Gewicht verlieren? Kein Problem! Auf Facebook versuchen User seit Monaten, Abnehmshak­es und Vitaminkap­seln zu verkaufen. Über zweifelhaf­tes Marketing.

- VON EVA WINROITHER

Zuerst war es Ingrid, dann Heike, dann Laura, Gertrud und zuletzt sogar ein Mann, Manfred. Seit Monaten bekomme ich auf Facebook Freundscha­ftsanfrage­n von Menschen, die ich nicht kenne. Akzeptiere ich diese, läuft alles nach einem ähnlichen Schema ab. Zuerst höre ich ein paar Tage nichts – und dann bekomme ich eine Nachricht: „Hey du, ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, gemeinsam mit ganz vielen anderen Mädels an unserer Challenge teilzunehm­en“oder „Hey du! [. . .] Ich bin auf der Suche nach Menschen, die Lust haben, ihre körperlich­en und gesundheit­lichen Ziele zu erreichen.“Meldet man sich nicht, kommt bald die Frage, ob man die Nachricht nicht gelesen habe. Doch, habe ich. Und ich habe mir auch die Facebook-Profile dieser mir unbekannte­n Menschen ziemlich genau angesehen. Seither weiß ich: Hier will mir jemand etwas verkaufen.

Die Accounts der Nachrichte­nschreiber strotzen nur so vor FeelGood-Bildern: gesundes Essen, Gemüse, Obst, Fotos im Winter beim Skifahren, im Sommer am Meer. Dazwischen immer die gleichen Schlagwört­er: Zauberpulv­er, Powerzwerg­e, Powerfood. Und Fotos von Kapseln, die Wunder vollbringe­n sollen: festere Nägel und Haare, straffere Haut, Abhilfe bei Schuppenfl­echten, Neurodermi­tis und Pickeln. Manche zeigen Fotos von kahlen Stellen am Kopf, wo die Haare wieder nachgewach­sen sind.

Wem das nicht reicht, der kann sich durch zahlreiche „Erfolgstor­ys“klicken. Von Jana, Cecille und Richard, die jetzt alle Traumkörpe­r haben. Wer das auch wolle, der solle das Posting mit „Ich“kommentier­en. Nur die Account-Besitzer sind lustigerwe­ise nie so schlank und durchtrain­iert wie die vielen Menschen, die es angeblich mit ihrer Hilfe geschafft haben.

Laura erklärt mir schließlic­h das Konzept. Völlig „kostenlos“könne ich ein Angebot „mit den besten Erfolgszah­len“nutzen. Gratisernä­hrungs- und Fitnessplä­ne, Teil einer „richtig coolen“Community auf Facebook und WhatsApp, die sich gegenseiti­g motiviert. Alles umsonst, bis auf die Shakes, die rund 50 Euro im Monat kosten, die mir zuerst zwei Mahlzeiten am Tag, dann eine ersetzen. 1,59 Euro am Tag kostet das. Im Gegenzug könnte ich weniger Pizza kaufen, schlägt Laura vor. Zusätzlich gebe es noch spezielle Obst-, Gemüse- und Beerenkaps­eln, die die oben angeführte­n Wirkungen hätten.

Eine Suchanfrag­e im Netz reicht, schon weiß ich: Die US-Firma, die die Produkte herstellt, heißt Juice Plus. Es gibt sie seit über 20 Jahren, und ihr Marketing geht vielen Usern auf die Nerven. „Wenn man [. . .] mit Ablehnung reagiert, dann versucht man, einem ein schlechtes Gewissen zu machen. Man wäre ja selbst schuld, wenn man nicht aus dem Hamsterrad rauskommt, wenn man noch nicht mal was wagen oder ausprobier­en möchte“, erzählt eine Frau unter dem Video einer Bloggerin, die die Produkte heftig kritisiert.

Auch Laura ist hartnäckig, als ich auf ihre Nachfragen nicht mehr antworte. „Eva?“, „Huhu?“, „Eva, hast du meine Nachricht erhalten?“Eva hat, aber Eva will nicht. Denn abgesehen von diversen Verspreche­n geht es auch um viel Geld. Rund 100 Euro kosten Shakes, Obst- und Gemüsekaps­eln für einen Monat. Die Produkte können laut Laura aber nur ab vier Monaten bestellt werden. Zusammen macht das 400 Euro. Wer will, kann die Produkte frei- lich selbst nutzen – und mit dem Weiterverk­auf Geld verdienen.

Das Konzept dahinter ist so alt wie Tupperware: Kunden sollen andere Kunden werben und verdienen daran. Wie viel, das will die Firma der „Presse am Sonntag“nicht erzählen. Sie hält aber fest, dass ihre „Franchisep­artner“keine Abhilfe bei Schuppenfl­echten, Neurodermi­tis etc. durch Juice-PlusProduk­te verspreche­n dürfen. „Aussagen zur Linderung von Beschwerde­n oder gar Heilung sind ausschließ­lich für Arzneimitt­el zulässig. Die JuicePlus-Kapseln sind keine Arzneimitt­el und dürfen auch nicht als solche beworben werden.“ Nur selten notwendig. Bei der Ages, der Österreich­ischen Agentur für Ernährungs­sicherheit, sieht man Nahrungser­gänzungsmi­ttel wie die Juice-PlusKapsel­n kritisch. „Für die gesunde Durchschni­ttsbevölke­rung ist der Verzehr von Nahrungser­gänzungsmi­tteln aus ernährungs­wissenscha­ftlicher Sicht nicht notwendig“, heißt es. Nur in bestimmten Lebensphas­en könne der vorübergeh­ende Verzehr (etwa Folsäure bei Frauen mit Kinderwuns­ch) sinnvoll sein. Auch die Behauptung von manchen Juice-Plus-Partnern, man brauche 15 Portionen Gemüse und Obst am Tag, die die Kapseln ersetzen, sei falsch. Die Empfehlung in Österreich laute: „Täglich fünf Portionen Gemüse, Hülsenfrüc­hte und Obst. Eine Portion entspricht einer geballten Faust“, so die Ages. Auch bei Juice Plus heißt es immerhin, die Kapseln seien „kein Ersatz für Obst und Gemüse“.

Aber helfen Shakes beim Abnehmen? Juice Plus beruft sich auf eine EUVerordnu­ng, laut der man die Angabe machen darf, dass „zwei der täglichen Mahlzeiten im Rahmen einer kalorienar­men Ernährung durch einen Mahlzeiter­satz (wie die Complete-Produkte) zur Gewichtsab­nahme beitragen“.

„Natürlich nimmt man ab, wenn man nur einen Shake trinkt und sonst nichts isst“, sagt dazu der bekannte Ernährungs­mediziner und Präsident des Österreich­ischen Akademisch­en Instituts für Ernährungs­medizin, Kurt Widhalm. Die einzige Methode, die Abnehmen ermögliche, sei, „weniger Energie zu sich zu nehmen, als man braucht“. Daher sei ein Shake nicht automatisc­h schlecht. Aber es sei egal, ob man einen Shake trinke oder zwei Eier esse – gesamt müsse die Kalorienzu­fuhr weniger und die Ernährung umgestellt werden. „Der Fehler ist zu glauben, dass einen der Shake abnehmen lässt.“Er selbst kennt übrigens niemanden, der mit Shakes abgenommen hat.

Vollkommen »kostenlos« sei das Programm – aber die Shakes, die zahlt man. Die Ernährungs- und Fitnessplä­ne stellen die Verkäufer selbst zusammen.

Ob die auf Facebook dargestell­ten Erfolgssto­rys alle stimmen, konnte Juice Plus nicht garantiere­n. Die Franchisep­artner seien aber verpflicht­et, „nicht irreführen­de“Aussagen zu treffen. Die „Fitness-, Ernährungs- und Motivation­sprogramme“werden jedenfalls von den Partnern selbst entwickelt, so die Firma. Es gebe aber Regeln, an die sich alle halten müssten. Selbst probiert. Was die Facebook-User, die mich angeschrie­ben haben, natürlich nicht gewusst haben: Ich habe vor Jahren die Juice-Plus-Obst- und -Gemüsekaps­eln selbst eine Zeit lang genommen. Meine Mutter gab sie mir, als ich mit 17 Jahren monatelang unter Kopfschmer­zen litt. Sie hatte die Kapseln von einer Kollegin (die sie selbst verkaufte) empfohlen bekommen. Meine Mutter zögerte – die Kapseln waren teuer –, bestellte sie aber in der Hoffnung, ihrer Tochter helfen zu können. Doch sie halfen – erraten – nicht. Meine Kopfschmer­zen wurden nicht weniger, die Haare nicht gesünder, die Pickel nicht weniger, es änderte sich gar nichts. Nach ein paar Wochen ließ ich die Kapseln heimlich in einer Lade verschwind­en. Kürzlich fand ich sie wieder, fast 18 Jahre danach. Ich hab sie weggeworfe­n.

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Christophe Papke/Westend61/ picturedes­k.com Verlockend ist das Verspreche­n, einfach Kilos zu verlieren. Auch deswegen boomt das Geschäft mit Diäten und Co.

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