Am Herd
BRANDHEISS UND HÖCHST PERSÖNLICH
Dann stehe ich verzweifelt im Drogeriemarkt und muss mir sagen lassen, dass gerade eine neue Kollektion Lippenstifte eingetroffen ist, mit grandiosen neuen Farben.
Das moderne Leben besteht aus einer Menge unbefriedigender Tätigkeiten, die wahnwitzig viel Zeit kosten, aber aus irgendwelchen Gründen offenbar notwendig sind. Man tummelt sich etwa stundenlang auf unübersichtlichen Websites, um festzustellen, dass man trotzdem anrufen muss. Dann hängt man in der Warteschleife herum und hört im besten Fall miese Musik, im schlechtesten Fall den Hinweis auf die Internetseite. Man hadert mit Selbsthilfekassen, die einen auffordern zu zahlen, obwohl man das Geld längst eingeworfen hat, muss drei gleiche Röcke mit in die Umkleidekabine nehmen, weil die Bekleidungsfirmen sich nicht auf verbindliche Größenangaben einigen können – und natürlich ist schon wieder der Akku leer.
Aber man soll nicht undankbar sein. Dafür muss ich mir von keiner Schneiderin das Kleid abstecken lassen, muss selten Schlange stehen – und wenn, kann ich am Handy Solitaire spielen. Woran ich mich aber nicht gewöhnen kann, weil ich selbst bei größtem Verständnis für die unergründlichen Wege der Marktwirtschaft den Sinn dahinter nicht erkennen kann: dass es nicht möglich ist, zweimal hintereinander den gleichen Lippenstift zu kaufen. Jedes Mal, wenn mein alter ausgegangen ist, muss ich mir von einem Mitarbeiter des Drogeriemarkts sagen lassen, dass gerade die neue Kollektion für den Herbst, Winter oder Frühling eingetroffen ist, da sind grandiose Farben dabei mit so klingenden Namen wie Sunset Blush und Hollywood Red. Aber die Nummer 278 der Marke XY wird leider, leider, nicht mehr hergestellt.
Also muss ich einen neuen suchen. Pfirsich? Bordeaux! Jetzt wurde, damit wir Frauen nicht jeden einzelnen Testlippenstift auf- und wieder zumachen müssen, eine Erleichterung in Form von Pickerln in den entsprechenden Rotschattierungen von Zartrosa bis Pflaumenblau geschaffen. Es gibt nur ein Problem: Um ihren Zweck zu erfüllen, sollten diese Pickerln annähernd die gleiche Farbe wie die Lippenstifte haben, auf denen sie kleben. Tun sie aber nicht. Ganz und gar nicht. Weinrot glänzt in Wirklichkeit Lila, Lila leuchtet Pink, Pink schaut aus wie Ocker, und irgendwann schließt sich der Kreis und Pfirsich erinnert an Bordeaux.
Mit dem Ergebnis, dass ich eine geschlagene Stunde in der Kosmetikabteilung verbringe, bis ich einen Lippenstift finde, der im Licht des Drogeriemarkts besehen zumindest so ähnlich ausschaut wie der alte. Aber eben nur im Licht des Drogeriemarkts, weshalb ich nach einer Woche wiederkomme, und so stapeln sich in meinem Bad die Lippenstifte, die fast, aber eben nur fast zu meinem Hautton passen.
Und vielleicht ist ja genau das der Plan.