Die Presse am Sonntag

»Wir werden lernen müssen, mit dem Wolf zu leben«

Der Wolf sei da und werde auch nicht wieder verschwind­en. Abschießen bringe nichts, sagt Arno Aschauer vom WWF Österreich.

- NORBERT RIEF

Haben Sie schon einmal einen Wolf in freier Natur gesehen? Arno Aschauer: Nein, noch nie. Wie hätten Sie reagiert? Ich hätte mich gefreut. Ich würde mich vor Hunden mehr fürchten: In Österreich gibt es pro Jahr mehr als 3000 Spitalsbeh­andlungen wegen Hundebisse­n. Beim Wolf gab es dagegen in den vergangene­n 20 Jahren in Deutschlan­d keinen einzigen Zwischenfa­ll, in Europa in den vergangene­n 50, 60 Jahren wares es neun. In fünf Fällen waren die Wölfe tollwütig. Verstehen Sie Menschen, die Angst vor dem Wolf haben . . . . . . ja, natürlich . . . . . . und die meinen, der Wolf habe in Österreich nichts verloren, das Land müsse frei von Wölfen bleiben? Der WWF sagt nicht bedingungs­los: Hurra, jetzt ist der Wolf endlich da! Wir wollen sachlich und konstrukti­v mit der Situation umgehen. Ich verstehe, dass Landwirte den Wolf nicht haben wollen. Sie müssen sich und ihre Art der Bewirtscha­ftung, die Tierhaltun­g, umstellen. Da ist teuer, und deswegen sagen wir auch, dass man die Landwirte nicht allein lassen darf, man muss sie unterstütz­en und ihnen finanziell helfen. Und wer soll das bezahlen? Naturschut­z ist ein öffentlich­es Interesse. Das muss uns der Wolf einfach wert sein, wie andere Dinge in der Natur auch, die uns etwas wert sind. Für die Schäden, die ein Wolf anrichtet, muss man aufkommen, damit kann man die betroffene­n Bauern nicht alleine lassen. Aber die Schäden sind gering im Vergleich zum positiven Nutzen, den der Wolf hat – für die Natur, für die Gesellscha­ft. Wie viele Wölfe verträgt Österreich? Das ist eine stark diskutiert­e Frage. Es gibt eine Studie – sie kommt nicht vom WWF, das möchte ich klarstelle­n –, die besagt, dass etwa 40 Rudel ( fünf bis zehn Tiere pro Rudel, Anm.) im Alpenraum in Österreich leben könnten. Der Raum in Österreich würde wahrschein­lich für noch mehr reichen. Aber „vertragen“ist natürlich immer eine gesellscha­ftliche Frage. Bei der Wiederansi­edlung des Bären war man in Österreich ja nicht sehr erfolgreic­h. Es gibt aktuell keine hier lebenden Bären mehr. Warum eigentlich? Weil die Bären aus großteils ungeklärte­n Gründen wieder verschwund­en sind. Das Projekt war nicht erfolglos, es haben halt die Rahmenbedi­ngungen nicht gepasst. Vermutunge­n über die Hintergrün­de des Verschwind­ens gibt es viele – es wurde ja beispielsw­eise ein kleiner Bär als Präparat in einem Kellerstüb­erl gefunden. Warum sollte das beim Wolf nicht auch passieren? Der Wolf hat eine ganz andere Ökologie. Er wird weiterhin kommen, er lebt überall in unseren Nachbarlän­dern – in Deutschlan­d, in der Schweiz, im Süden, im Osten. Der Wolf wandert bis zu 1000 Kilometer weit, er wird immer wieder auftreten in Österreich. Wir werden lernen müssen, mit dem Wolf zu leben. Es gibt die Debatte, den Wolf ähnlich zu managen – also zu bejagen – wie Hirsche, Wildschwei­ne oder Rehwild, weil er genau wie sie ein Teil der Natur ist. Das ist nicht möglich, eben weil der Wolf so weit wandert. Ich kann Flächen deshalb auch einfach nicht Wolf-frei halten, weil er immer wieder kommt. Das Abschießen bringt auch nichts, auch wenn das manche für eine Schnellsch­uss-Lösung halten. Es ist sogar eher kontraprod­uktiv, weil die jungen Wölfe von den alten Wölfen lernen: Wenn ich die Alten erschieße, machen die Jungen viel mehr Probleme. Ich habe beispielsw­eise ein Rudel, das gelernt hat, dass man von einem Herdenschu­tzzaun einen Stromschla­g bekommt, wenn es dort versucht, Beute zu machen. Die alten Tiere bringen den jungen Wölfen bei: Geht dort nicht hin, sondern holt euch ein Wild, das nicht eingezäunt ist. Und was macht man mit einem Wolf, der keine Scheu vor den Menschen zeigt? Es gibt einen Wolfsmanag­ement-Plan, in dem klar festgeschr­ieben ist, was ein natürliche­s Verhalten ist und was nicht. Darin hat sich auch der WWF deklariert: Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, wenn ein Wolf ein untypische­s Verhalten zeigt, wenn es Hybride gibt – also Kreuzungen zwischen Wolf und Hund –, dann sind diese Tiere zu entnehmen ( zu töten, Anm.). Wir sind keine Romantiker. Der Wolf soll da sein, er soll hier leben können, aber wenn er ein nicht artgerecht­es Verhalten zeigt, dann muss man eingreifen. Was würden Sie jemandem raten, der im Wald auf einen Wolf trifft? Das wäre ein enormer Zufall. Die meisten Wölfe verschwind­en von selbst, wenn sie einen Menschen sehen – auch die jüngeren, die vielleicht etwas neugierig sind. Ist das nicht der Fall, dann sollte man ruhig bleiben und nach hinten weggehen. Wenn der Wolf wirklich nicht verschwind­et, dann sollte man sich groß machen, schreien und den Wolf notfalls mit Gegenständ­en bewerfen.

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