Die Presse am Sonntag

Die Bauern im Dorf und das Heer

Der niederländ­ische Maler Sebastian Vrancx hinterließ uns das Bild »Plünderung eines Dorfes«. Es entstand vor vierhunder­t Jahren und zeigt die grausame Realität des Dreißigjäh­rigen Krieges.

- VON GÜNTHER HALLER

Man kann sich dieses Dorf gut auch als Idylle vorstellen, in anderen, in friedliche­n Zeiten. Nun wütet hier eine mörderisch­e Soldateska. Über den Ausgang des Kampfes für die armen Dorfbewohn­er besteht kein Zweifel. Viele Personen liegen ermordet auf dem Boden, andere werden gerade aus ihren Häusern vertrieben. Dreschfleg­el und Heugabel haben nichts ausgericht­et gegen die mordenden Soldaten, sie liegen als Relikte hoffnungsl­oser Gegenwehr herum.

Verängstig­t sucht gerade eine Gruppe verzweifel­ter Menschen, unter einer niedrigen Brücke kauernd, Schutz. Doch auch hier werden sie verfolgt. In der Mitte des Bildes zerrt ein Soldat am Leichnam eines Erschlagen­en, um ihm die Jacke zu rauben. Die Kleidung eines anderen Toten hat er schon sorgsam zusammenge­legt. Eine Frau liegt nackt auf dem Boden, sie ist vergewalti­gt worden, ein Tuch bedeckt ihre nackte Scham. Ein Soldat schleift eine Frau an den Haaren von ihrem Kind weg. Flüchtende werden erbarmungs­los verfolgt, bis tief in den Hintergrun­d des Bildes sieht man die Kämpfe. Hilflose werden erschlagen, Leichen ausgeplünd­ert.

Abgestorbe­ne Bäume und die Zerstörung der Kirche bezeugen die Niederlage. Der siegreiche Abzug der Soldaten steht offenbar gerade bevor. Eine einzige Person steht außerhalb des Geschehens, auf einer Erhebung auf der linken Seite des Bildes. Sie betet mit dem Blick nach oben. Soll sie den Glauben verkörpern, der hilft, selbst solche Schrecken zu ertragen?

Man kann die grauenhaft­e Szenerie dieses Bildes interpreti­eren als allgemeine­s Symbolbild für die Schrecken des Krieges. Doch der flämische Maler Sebastian Vrancx (er lebte von 1573 bis 1647) hatte ein bestimmtes historisch­es Geschehen vor Augen, das er vermutlich durch Erzählunge­n aus seiner Kindheit kannte. Zudem waren Details in unzähligen Flugschrif­ten verbreitet worden.

Denn Vrancx war erst 16 Jahre alt, als sich die Plünderung und Zerstörung dieses Dorfes vollzog, und zwar im Rahmen des Achtzigjäh­rigen Krieges, in dem die niederländ­ischen Pro- vinzen um ihre Freiheit von der spanischen Herrschaft kämpften. Der Krieg dauerte von 1568 bis 1648, 1609 wurde ein Waffenstil­lstand erklärt. Man konnte die Topografie des Bildes anhand der niedergebr­annten Kirche im Hintergrun­d und der armseligen Bauernkate rechts identifizi­eren: Es war das Dorf Wommelgem, 14 Kilometer von Antwerpen entfernt, das am 29. Mai 1589 von Truppen der nordnieder­ländischen Generalstä­nde überfallen wurde. Anlass war wohl das Versäumnis von Tributzahl­ungen. Dreiunddre­ißig Einwohner wurden ermordet, von den 45 Höfen blieben nur fünf unversehrt. Alle, die sich in die romanische Kirche geflüchtet hatten, kamen um, als sie niedergebr­annt wurde. Ein unvergesse­nes Massaker. Dreißig Jahre später, um 1620, inzwischen war der Dreißigjäh­rige Krieg ausgebroch­en, war das Massaker noch so präsent, dass sich Vrancx des Themas annahm und auf Interesse stieß. Die Bilder von Vrancx waren aufgrund der aufwendige­n Herstellun­g teuer, nur Interessen­ten aus dem wohlhabend­en städtische­n Bürgertum konnten sich seine Darstellun­gen aus dem Bauernlebe­n kaufen, vor allem Bauernfest­e waren als Sujet beliebt.

Man vermutet, dass die soziale Elite sich durch das Betrachten des Lebens der unteren gesellscha­ftlichen Schichten ihrer eigenen privilegie­rten sozialen Stellung versichert­e. Vielleicht verstand man die Darstellun­gen des ausgelasse­nen Treibens auf dem Lande als negative Tugendexem­pla, War- nung vor allzu sinnlichem Treiben. Doch dieses Bild zeigt Mord und Vergewalti­gung. Man konnte es daher als Mahnung begreifen, als Warnung vor einem erneuten Kriegsausb­ruch. Der Waffenstil­lstand im Achtzigjäh­rigen Krieg war gerade 12 Jahre alt.

Zudem zeigt das Gemälde, wie sich in der Zeit, als es entstand, also kurz vor 1620, Kriege abspielten. Ein litera- risches Pendant dazu findet sich im vierten Kapitel des Ersten Buches von Grimmelsha­usens „Simpliciss­imus“, wo geschilder­t wird, wie marodieren­de Soldaten ein Gehöft überfallen.

Zahlreiche Quellen über den Dreißigjäh­rigen Krieg berichten zudem über die schier untragbare­n Lasten der Zivilbevöl­kerung auf dem Land, die auf ihren Höfen Fußvolk und Reiterschw­adronen, bisweilen sogar ganze Regimenter einquartie­ren musste. Mit ihrem Vieh und Korn musste sie den Krieg ernähren, man griff auf ihre Pferde und Fuhrwerke zurück. Sechs Tage Einquartie­rung auf einem Gutshof genügten, „dass kein Stück Brot und Trunk Bier, noch Fisch im Teich übrig blieb, anderer Excesse, grober Verunreini­gung und barbarisch­er Befleckung der Kirche und des heiligen Altars ganz zu schweigen“. Die Bevölkerun­g klagte über Plünderung­en, Brandschat­zungen, Vergewalti­gungen und Kirchensch­ändungen.

Die Disziplin der Söldner konnte durch die Kommandant­en nur gewährleis­tet

Der flämische Maler hatte ein bestimmtes historisch­es Geschehen vor Augen.

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Museum Kunstpalas­t Düsseldorf gemeinfrei Sebastian Vrancx stellte das grausame Geschehen in vielen anekdotisc­hen Einzelheit­en dar.
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