Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Gruselszenario. Zur Übernahme des EU-Ratsvorsitzes: die 60-Zeilen-Kurzdiagnose, die alles über Europas Krankheit sagt. Wenn die Therapie nur ebenso einfach wäre!
Kenner des Genres Horrorfilm wissen, wann das Böse zuschlägt – wenn es für die Gruppe im Wald oder im verlassenen Hotel ungemütlich wird und einer unweigerlich auf die Idee kommt: „Am besten, wir teilen uns auf!“Europa ist gerade so weit. Wir hätten ja jetzt, da wir Ratsvorsitzender sind, Gelegenheit, den Grusel abzuwenden. Dazu müssten wir aber die große, ungelöste Problematik der EU ansprechen, die zusammengefasst so heißt: Das Geld hat einen Zug zum besten Wirt.
Geld fließt dorthin, wo es am effizientesten eingesetzt wird. Unproduktiveren Regionen droht daher die Verarmung. Das hat zur Folge, dass Menschen dem Geld nachwandern. Nicht sofort und auch nicht alle, aber immer mehr. So ist Effizienz auch ein Fluch für die Effizienten: Zuerst drängt das Geld herein, dann aber auch die Leute. Reichwerden, ohne Probleme zu bekommen, gibt’s eben nicht. Abhilfe gibt es nur in Form von Abschottung – die aber selbst ein Wohlstandskiller ist – oder aber, indem man den anderen hilft, bessere Wirte, produktiver zu werden.
Das bedingt echte Kulturveränderung und hat deswegen global auch nur teilweise funktioniert, trotz UNO, Weltbank und vieler Milliarden Entwicklungshilfe. Immer noch fließt alles in Richtung Deutschland und seiner Nachbarn. Europa muss sich dem Thema stellen und sollte nicht so tun, als könnte es Massenmigrationsdruck mit einem Dublin-System steuern, das für politisch Verfolgte geschaffen wurde. Die eigentliche Lösung darin liegt, den Produktivitätsgap der Dritten Welt zu verringern. Aber niemand redet ernsthaft darüber, ob und wie wir dazu Wesentliches beitragen könnten.
Wir haben das ja nicht einmal in Europa geschafft: Griechenland und Italien sind heute weiter abgehängt denn je, trotz Marktzugängen und jahrzehntelanger Strukturförderung. Die Idee, dass der Euro mit seinen Maastricht-Kriterien diese Volkswirtschaften nachhaltig zum besseren Wirtschaften zwingen würde, hat sich als typische Illusion der überoptimistischen 1990er-Jahre herausgestellt. Zumindest die beiden Länder müssten den Euro dringend aufgeben, der ihnen die Luft abschnürt. Auch das spricht keiner mehr an.
So stehen wir heute ratloser denn je dem Faktum gegenüber, dass das Geld zum besten Wirt zieht. Das ist das grenzüberschreitende Problem par excellence – und wenn nicht einmal die zur Lösung grenzüberschreitender Probleme gegründete Europäische Union darauf Antworten hat, macht uns das verständlicherweise Angst. „Am besten, wir teilen uns auf!“ist trotzdem keine gute Idee. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.