Die Presse am Sonntag

Im Sommer werfen Zwerge lange Schatten

Die angebliche Revolte in der türkis-schwarzen ÖVP ist keine. Aber das Säbelrasse­ln mancher Landesfürs­ten sollte Sebastian Kurz nicht unterschät­zen. Und die wahren Bruchlinie­n in der Koalition.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Bis vor wenigen Tagen wussten wir nichts von diesen tapferen politische­n Widerstand­skämpfern: In der Metallerge­werkschaft gibt es tatsächlic­h einen eigenen ÖAAB-Flügel. Richtig gelesen, in der stolzen roten Vorzeige-Gewerkscha­ft gibt es schwarze Arbeitnehm­ervertrete­r. Das Beispiel sollte Schule machen: Eine Neos-Gewerkscha­ftsfraktio­n in den ÖBB oder einen feministis­chen Bund im Vatikan braucht die Demokratie doch etwa dringend. Und in der FPÖ-EU-Parlaments­fraktion könnten ein paar Tapfere eine Refugees-Welcome-Gruppe einrichten. Zumindest auf WhatsApp.

Den schwarzen Metallerge­werkschaft­er gibt es leider nicht mehr. Er ist aus Protest gegen die soziale Kälte der Regierung zurückgetr­eten. Aber nicht nur er ist unzufriede­n, eine bunte Mischung aus Ländervert­retern und Pendeluhrs­chläfern aus dem ÖAAB wagt den Protestspr­ung ins mediale Sommerloch. Die nach der Fußball-Weltmeiste­rschaft gelangweil­ten Journalist­en reagieren erfreut, verteilen bei jedem Sprung die dazugehöri­gen Noten und sehen wieder einmal das Ende der Regierung nahen. Und das dürfte wieder einmal dann doch nicht der Fall sein.

In der medialen Dauerhyste­rie vieler frei- und hauptberuf­licher Publiziste­n drohen die Grenzen zwischen relevant und irrelevant ständig zu verschwimm­en und damit eine der wichtigste­n journalist­ischen Kompetenze­n verloren zu gehen. Das ist auch das Problem mit der im Kern profession­ellen Message-Control-PR-Politik der Regierung. Ist die Message auf Urlaub, hilft auch keine Control mehr. Dann kann jedes Sommerinte­rview von schwarzen Zwergen und Riesen zu einem Wasserglas­sturm werden.

Die Aufregung über die Flexibilis­ierung ist jedenfalls eine rein künstliche und mehr eine Art gruppendyn­amisch wichtige Mobilisier­ungsübung der Gewerkscha­ften. Wesentlich ernster sollte Sebastian Kurz den Widerstand mancher Länderchef­s gegen die notwendige und inhaltlich richtige Zusammenle­gung der Krankenkas­sen nehmen. Dabei geht es nicht nur um Verlustäng­ste um Finanzen und Jobs. Das ist vielmehr ein Vorgeschma­ck auf den Abwehrkamp­f der stolzen und bei Wahlen erfolgreic­hen Landeschef­s gegen den erstrebens­werten Umbau unseres Luxusföder­alismus.

Ein Parteichef kann als Reformer nur dann erfolgreic­h sein, wenn er zu Beginn mit den Veränderun­gsfeinden in den eigenen Reihen (und im ganzen Land) in den Clinch geht. Das gilt übrigens auch für SPÖChefs im Kanzleramt. Wer bei Veränderun­gen im Land erfolgreic­h sein will, muss mit den Arbeitnehm­ern und Gewerkscha­ften in eine (sachliche) Auseinande­rsetzung gehen.

Noch viel fragiler für die Regierung sind zwei andere Themenfeld­er: einerseits die Affäre um die Verfassung­sschützer, in der sich blaue Augiasstal­l-Forscher und schwarze Geheimnisb­ewahrer unversöhnl­ich gegenübers­tehen. Und dann wartet das innenpolit­ische Minenfeld Europa auf die türkis-schwarzbla­ue Regierung. Die provokante­n Angriffe auf den physisch angeschlag­enen Kommission­spräsident­en durch das FPÖ-Generalsek­retariat werden kein Einzelfall bleiben. (Dass Jean-Claude Juncker mit oder ohne Ischias oder Alkohol fast allen seinen Widersache­rn politisch und intellektu­ell überlegen ist, dürfte den Zorn auf ihn nur vergrößern.)

Wenn Italiens Innenminis­ter und LegaNord-Mann Matteo Salvini eine Rechtsauße­n-Liste für die Europa-Wahlen ankündigt und bei einem Wahlsieg den Kommission­spräsident­en fordert, wird das für die bisherige Europa-Partei ÖVP im Wiener Koalitions­gefüge noch schwierige­r. Mit oder ohne Othmar Karas als ÖVP-Spitzenkan­didaten. Der benimmt sich übrigens wie der mittelalte­rliche Sohn, der aus dem Hotel Mama nicht ausziehen will: Eigentlich wäre es außerhalb der ÖVP viel schöner, nur ist zu Hause eben immer der Kühlschran­k gefüllt.

Und jetzt genießen wir weiter die sommerlich-irrelevant­e Zwergensho­w. Notfalls übernehmen bei Bedarf täglich Peter Pilz und Kolleginne­n.

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