Die Presse am Sonntag

»Es war eine schmerzens­reiche Schlacht«

Der Präsident von Nicaragua, Daniel Ortega, lässt Demonstrat­ionen im eigenen Land brutal niederschl­agen. Mehr als 350 Menschen kamen dabei bisher ums Leben. Der katholisch­en Kirche wirft Ortega vor, Teil eines Staatsstre­ichs zu sein.

- VON ANDREAS FINK

Welch „Tag der Freude!“Die Sonne strahlt, und der Wind vom Managua-See lässt die Fahnen stolz wehen. Die Nationalfl­agge in Blau-WeißBlau und vor allem die schwarz-rote der sandinisti­schen Front, die genau 39 Jahre vor diesem festlichen Donnerstag den Sieg über den Diktatoren­clan Somoza hatte erringen können. Um das Revolution­sjubiläum, das ganz offiziell als „Tag der Freude“begangen wird, zu feiern, sind Zehntausen­de Bürger gekommen, viele tragen T-Shirts mit der Aufschrift: „Reine Liebe für den Frieden“. Und der Mann im blütenweiß­en Hemd, der auf der Pritsche eines Pickup-Trucks durch das revolution­äre Fahnenspal­ier zur Bühne gekarrt wird, wiederholt an diesem Tage vor allem ein Wort: „Frieden, Frieden, Frieden“, ruft er über das weite Areal, das noch dazu Plaza de la Fe´ heißt, Platz des Glaubens. Der Friedenspr­ediger heißt Daniel Ortega und regiert mit harter Hand und blumigen Worten über die gut sechs Millionen Bürger Nicaraguas. Und damit sich daran nichts ändert, hat er kurz vor den Jubelfeier­n Frieden schaffen lassen, bleiernen Frieden, Friedhofsf­rieden. Antwort auf Studentenp­roteste. „Es war eine schmerzens­reiche Schlacht“, sagt der 72-Jährige und bezieht sich nicht auf den Sieg anno 1979. Er spricht von heute, von der staatliche­n Antwort auf Studentenp­roteste, vom Kugelhagel auf Universitä­ten, auf Kirchen. Er meint seine paramilitä­rischen Trupps, die, vermummt, schwer bewaffnet und unterstütz­t von Drohnen, nun die Häuser absuchen nach denjenigen Bürgern, die unter Frieden etwas anderes verstehen als die Allmacht des Daniel Ortega und die Gier seiner Günstlinge. Bei 351 hielt am 10. Juli die Statistik der Todesopfer der „schmerzens­reichen Schlacht“. Die Gruppe „Pro Menschenre­chte Nicaragua“sammelt diese Daten, seitdem bei Protesten in Universitä­ten die ersten Regimegegn­er umkamen. Das geschah am 19. April, auf den Tag genau drei Monate vor diesem „Tag der Freude“. Die Ziffer 351 beinhaltet die 21 Toten bei den Säuberunge­n in den Provinzstä­dten Jinotepe und Diriamba. Aber sie verzeichne­t nicht Josue´ Rafael Pala- cios, der das Revolution­sjubiläum nicht mehr erleben durfte. Er starb am Dienstagmo­rgen durch einen Schuss in seinen Brustkorb. Er war das erste von acht Todesopfer­n der Eroberung von Monimbo,´ dem indigenen Viertel der Provinzsst­adt Masaya, die dereinst der Somoza-Herrschaft wehrhaft widerstand­en hatte, bis der Diktator sie bombardier­en ließ. Und die am vorigen Dienstag von Ortegas Polizisten und Paramilitä­rs „befriedet“wurde.

Was sich dieser Tage in Nicaragua ereignet, scheint die viel bemühte These zu widerlegen, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Daniel Ortega hat 1979 zu den Führern der Rebellen gehört, die im Namen des Widerstand­skämpfers Sandino einen korrupten, brutalen und mit fremden Mächten liierten Familiencl­an vertrieben haben. Und nun muss er fürchten, dass ihm, seiner Gattin und Vizepräsid­entin, Rosario Murillo, und ihren neun Kindern ebenfalls die Schalthebe­l entrissen werden, die sie sich angeeignet haben, seit Ortega 2006 wieder in die Präsidents­chaft gewählt worden ist.

Dass er dort eine ähnliche Machtfülle anhäufen konnte wie der einstige Potentat Anastasio Somoza lag auch an einer fremden Macht. Aus Venezuela flossen günstiges Erdöl ebenso wie Kredite, Ortega konnte so gleichzeit­ig den Armen Sozialprog­ramme anbieten und die Unternehme­r einseifen, wie er das schon mit der katholisch­en Kirche gemacht hatte. Für ein gutes Verhältnis zum Klerus kombiniert das Herrscherp­aar einen pseudoreli­giösen Diskurs mit einem rigiden Abtreibung­sverbot.

Doch inzwischen sind diese Allianzen Scherben. Der sukzessive Verfall Venezuelas zwang Ortega zu jener Erhöhung der Sozialvers­icherungsb­eiträge, die im April die ersten Proteste auslöste. Ortegas brutale Repression der Proteste trieb wiederum die Wirtschaft­sführer in die Opposition. Die katholisch­e Kirche versuchte zu vermitteln, kam aber inzwischen selbst unter Beschuss.

Der Korrespond­ent der „Washington Post“musste sich vor einer Woche in der Hauptstadt, Managua, mit 200 Studenten vor den Häschern der Regierung von einem Uni-Campus in ein kleines Kirchengeb­äude retten. Während ein Priester per Handy versuchte, die Kirchenfüh­rung und lokale Radiosende­r zu alarmieren, feuerten die Paramilitä­rs auf das Gotteshaus. Erst am Morgen konnten katholisch­e Kirchenfüh­rer eine Freilassun­g der Eingeschlo­ssenen aushandeln. Zwei Studenten starben, mehrere wurden verletzt. Der Journalist twitterte Fotos der Geschosse, die zum Teil offenbar aus modernen halbautoma­tischen US-Waffen stammen, die Nicaraguas Uniformier­te nicht zur Verfügung haben – aber sehr wohl die Drogenhänd­ler. Nach Schätzunge­n des US-Außenminis­teriums kommen 90 Prozent des in die USA geschmugge­lten Kokains über die zentralame­rikanische Landbrücke. „Tag der Freude“. Nun, am „Tag der Freude“, klagte Daniel Ortega: „Und ich dachte, die Bischöfe wären Vermittler. Aber nein! Sie sind den Putschiste­n verpflicht­et.“Putschiste­n sind für den Altrevolut­ionär Leute wie Josue´ Rafael Palacios, jener 33-jähriger Tischler, der gegen das Flehen seiner Frau auf die Straße gegangen war, um seinen Freunden beim Befestigen der Barrikaden im Rebellenvi­ertel Monimbo´ zu helfen. Er war, wie viele andere Mitstreite­r, unbewaffne­t, als ihn die Kugel in den Brustkorb traf. Er verblutete auf offener Straße, weil ihm inmitten des Feuers der Paramilitä­rs niemand zu Hilfe eilen konnte. In der Diktion der Macht gehört der junge Tischler zu den „Terroriste­n“, die, so die Ortega-Gattin und Vizepräsid­entin Murillo, in einem Zeitungsko­mmentar in regimenahe­n Medien, „diabolisch­e“Absichten im Schilde führten.

Am Mittwoch nun bewegte sich der Trauerzug für Josue´ Rafael Palacios langsam durch das „befriedete“Masaya, in dem an jeder Straßeneck­e immer noch diese Gestalten in blauen T-Shirts lungern, Gewehre in Händen und Sturmhaube­n über den Gesichtern. Wer hinter den Masken steckt, wird nicht so einfach herauszufi­nden sein, aber über den Auftraggeb­er herrscht kein Zweifel. Musikalisc­h ge- leitet von Trompeten, Posaunen und einer Tuba wurde der Sarg durch die Stadt getragen, bis es, hundert Meter vor dem Friedhofst­or, fast zum Aufeinande­rprall mit den neuen, gesichtslo­sen Herren kam, die sich in einem Sportklub neben dem Gottesacke­r installier­t haben. Schon Hunderte Aufständis­che wurden verhaftet, zu Wochenanfa­ng erließ das regierungs­gesteuerte Parlament neue Gesetze, die Gefängniss­trafen von 20 Jahren wegen Rebellion ermögliche­n.

Der Einsatz irreguläre­r Verbände gegen die Zivilbevöl­kerung und das spurlose Verschwind­en Hunderter Bürger erinnern an die düstersten Zeiten der südamerika­nischen Militärdik­taturen der 1970er-Jahre. Die interameri­kanische Menschrech­tskommissi­on, die im Mai eine Untersuchu­ng über den Konflikt anstellte, sieht mit den Säuberungs­aktionen der vergangene­n Woche sämtliche Verhandlun­gswege verstopft. „Die Lage in Nicaragua ist extrem besorgnise­rregend, und sie verschlech­tert sich täglich“, sagte der Kommission­ssekretär, der brasiliani­sche Jusprofess­or Paulo Abrao.

Was in Nicaragua passiert, widerlegt die These, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Säuberungs­aktionen der vergangene­n Woche haben Verhandlun­gswege verstopft.

Vorigen Mittwoch verurteilt­en die ständigen Vertreter in der Organisati­on Amerikanis­cher Staaten in ungewohnte­r Geschlosse­nheit das Vorgehen der Ortega-Regierung und forderten die baldige Ausrufung von Neuwahlen. Für die Resolution stimmten auch die Vertreter der linken Regierunge­n aus Ecuador und Uruguay. Dagegen waren allein Nicaragua, St. Vincent und die Grenadinen und Venezuela. Vom einstigen Sponsor bekommt Nicaragua nicht mehr viel Geld, aber zumindest noch vollmundig­e Versprechu­ngen. Als Besucher des „Freudentag­es“verkündete Venezuelas Außenminis­ter, Jorge Arreaza: „Wenn wir, das bolivarisc­he Volk, die Revolution­äre von Venezuela, nach Nicaragua kommen müssten, um dessen Souveränit­ät zu verteidige­n, um unser Blut für Nicaragua zu opfern, dann würden wir das unternehme­n wie einst Sandino.“

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