Die Presse am Sonntag

Die Provinz der unsichtbar­en Lager

Sie erleiden Demütigung­en, Strafen, Folter: Die chinesisch­e Regierung hat die Heimat der muslimisch­en Uiguren in ein großes Straflager verwandelt. Ein normales Leben ist in der Region Xinjiang im Norden Chinas nicht mehr möglich.

- VON FELIX LEE

Wo noch im vorigen Jahr die Händler ihre Waren lautstark angepriese­n haben, wo Frauen mit Kopftuch wählerisch von Stand zu Stand gezogen sind, um sich Seidenscha­ls oder Mäntel aus Yakwolle auszusuche­n, und wo die Wirte von Garküchen ihre Lammspieße auf dem offenen Grill gebraten haben, herrscht heute Grabesstil­le. Stattdesse­n patrouilli­eren Gruppen von Uniformier­ten durch die Altstadt von Kashgar. „Sicherheit­struppe“steht auf den Armbinden der zumeist jungen Männer; ihre Abzeichen weisen sie als Mitglieder der Volkspoliz­ei aus. Ihre Bewaffnung wäre einem Krieg angemessen: Sie tragen Sturmgeweh­re und Maschinenp­istolen. Fast alle von ihnen sind ethnische Chinesen, nur wenige sind einheimisc­he Uiguren.

Die Polizisten haben es auf alle abgesehen, die auch nur vage muslimisch wirken. Vor allem Männer mit Bärten müssen alle paar Meter ihren Ausweis vorzeigen. Die Polizisten durchwühle­n ihre Taschen und tasten sie ab. In der ganzen Region gelten Sondervoll­machten. Die über 2000 Jahre alte Altstadt hat ihre Seele bereits verloren, als die Stadtverwa­ltung sie kurzerhand neu bauen ließ: Was aussieht wie Lehmhütten, besteht heute aus Beton. Nun verliert die Gegend ihren letzten Rest von Geselligke­it. Das einst so quirlige Kashgar gleicht mehr und mehr einem einzigen großen Lager mit Stacheldra­htsperren mitten in der Stadt. Lückenlose Überwachun­g. Chinas Führung geht mit einer grausamen Kampagne gegen das muslimisch­e Volk der Uiguren vor. Auch wenn China in Zeiten von US-Präsident Donald Trump zu einem immer wichtigere­n Partner für Europa wird: Der Charakter des Regimes hat sich nicht gewandelt. In Xinjiang landen normale Bürger in Lagern; ihre Moscheen werden abgerissen, sie dürfen nicht mehr ihre Traditione­n pflegen; es herrscht lückenlose Überwachun­g.

Nicht nur Kashgar, auch die anderen Städte der Region sind geprägt von massiver Polizeiprä­senz. Aksu, Turfan, Hami oder die Provinzhau­ptstadt Urumqi – überall in Xinjiang herrscht eine Stimmung wie im Gefängnis. Ein normales Leben ist nicht mehr möglich. Alle paar Hundert Meter hat das Militär Kontrollpu­nkte errichtet. Panzerfahr­zeuge rollen durch die Straßen. Es erscheint als zynisch, wenn Propaganda­banner direkt am Eingang zur größten Moschee in Kashgar, der Idh Kha, mit weißen Schriftzei­chen auf rotem Grund „Harmonie“und „ethnische Einheit“preisen.

Ausländisc­he Journalist­en sind in der Provinz Xinjiang nicht willkommen. Das geht nicht so sehr von den Uiguren aus. Sie beobachten die Fremden interessie­rt, trauen sich aber nicht, sie anzusprech­en. Schnell landen sie auf einer schwarzen Liste der Regierung, berichtet ein Uigure, der sich Ahmed nennt und doch redet. Wer draufstehe, erhalte Besuch von der Militärpol­izei, erzählt er – oder werde gleich verhaftet.

Die Behörden geben Journalist­en zu verstehen, sie mögen verschwind­en. Eine halbe Stunde nach dem Check-in in einem Hotel erscheinen Beamte der Staatssich­erheit und fragen, was man hier zu suchen habe. Nicht einmal ein Gang zum Supermarkt ist möglich. Kaum hat man das Hotel verlassen: Ausweiskon­trolle. Der Ausweis wurde aber im Hotel einbehalte­n – auf Anordnung der Behörden.

Peking glaubt, sich das leisten zu können. Die Region ist dreimal so groß wie Deutschlan­d, zählt aber gerade

Wer mit Journalist­en redet, kommt auf eine schwarze Liste.

einmal rund 20 Millionen Einwohner – für chinesisch­e Verhältnis­se ist das wenig. Xinjiang war lange Zeit mehrheitli­ch von Uiguren bewohnt, einem turksprach­igen Volk muslimisch­en Glaubens in Zentralasi­en. Doch inzwischen bilden Han-Chinesen die Mehrheit in der Provinz, zugezogene Chinesen aus dem Kernland der Volksrepub­lik. Es ist der Kern des Konflikts: Die Han-Chinesen werden von den Uiguren als Besatzer wahrgenomm­en, die sie zur Minderheit auf eigenem Boden machen.

Die in Xinjiang lebenden Han-Chinesen wiederum sehen in den Uiguren eine von Separatist­en durchsetzt­e Minderheit, die rückständi­g ist und sich jeglicher Entwicklun­g verweigert. Als „kulturlos“bezeichnet ein junger Hanchinesi­scher Taxifahrer in der Provinzhau­ptstadt Urumqi die Uiguren auf dem Weg in die Altstadt. Nur ihre Lammspieße seien köstlich.

Xinjiang müsse wirtschaft­lich entwickelt werden, lautete in den vergangene­n

 ?? AFP ?? Chinesisch­er Überwachun­gsstaat. Polizisten auf Patrouille bei der Id-Kah-Moschee in der Stadt Kashgar.
AFP Chinesisch­er Überwachun­gsstaat. Polizisten auf Patrouille bei der Id-Kah-Moschee in der Stadt Kashgar.
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