»Wir werden keine Polizei brauchen«
Er war Vizerektor und ist seit einem halben Jahr Bildungsminister: Heinz Faßmann über Ziffernnoten, den Widerstand gegen die Deutschklassen, die linke Hegemonie an den Unis und die Emanzipation von der Message Control.
Wir sind hier an Ihrer alten Wirkungsstätte, der Universität Wien: Gab es in den vergangenen Monaten Momente, in denen Sie sich hierher zurückgesehnt haben? Heinz Faßmann: Ich habe hier gerne meine Zeit verbracht. Es war meist ruhiger als in der Politik. Und man kann manchmal auch ein bisschen länger nachdenken – und wird nicht unmittelbar von Medien befragt. Aber insgesamt bin ich mit meinem Wechsel durchaus zufrieden, weil es eine interessante Herausforderung ist und ich immer einer war, der Herausforderungen gerne angenommen hat. Es gab keine Zeiten des Zweifels? Bisher noch nicht. Wird schon noch kommen. Bildungspolitisch haben Sie und die Regierung einiges angekündigt – etwa die Wiederkehr der Ziffernnoten in der Volksschule. Wann kommen sie? Das ist auf dem Weg. Aber das ist eben auch mein Stil: Die Dinge sollen strukturiert sein. Wir wollen die Fragen der Noten viel stärker mit jenen des Lehrplans koppeln. Es soll nicht einfach verbale Beurteilung durch numerische ersetzt werden. Sondern es geht eher um die Frage: Wann verdient man eine bestimmte Note? Und welche Leistungen im Sinne des Lehrplanes muss man absolviert haben. Aber es gibt künftig wieder Noten von „1“bis „5“in Volksschulen? Ja. Sie werden die verbalen Beurteilungen nicht verdrängen, sondern ergänzen. Wann? Ich denke, das wird nächstes Schuljahr oder übernächstes so weit sein. In der Neuen Mittelschule gibt es derzeit ein System mit sieben Noten. Es wird auch hier eine Rückkehr zu „1“bis „5“geben. Voraussichtlich ab Herbst 2019. Widerstand gibt es gegen die Deutschklassen. War das eine gute Idee, am letzten Schultag eine Abordnung des Ministeriums zu einer renitenten Direktorin zu schicken? Hier wurde niemand geschickt. Wir hatten in einigen Wiener Schulen, die gesagt haben, wir können das nicht leisten, so etwas wie Vor-Ort-Besuche. Diese Art von persönlicher Zuwendung und Informationsweitergabe fand hier auch statt. Das war völlig harmlos. Eine medial überschätzte Angelegenheit. Aber warum ist der Widerstand gerade bei den Deutschklassen so groß? Es ist eine andere Form schulischer Integration, als es bisher war. Bisher war: Wir setzen sie in die Klasse und dann wird es schon irgendwie gehen. So ein bisschen der österreichische Stil. Sonst wird die Schulautonomie immer hochgehalten, hier aber braucht es Vorgaben des Ministeriums. Ja, ich bekenne mich dazu: Hier braucht es Strukturen, weil sich sonst sehr viel in einer sehr großen Vielfalt auflöst. Was mir aber auffällt: Bei anderen Formen des sogenannten segregierten Unterrichts gibt es keinen Widerstand, sondern den Wunsch an die Politik, das weiterzuführen. Asylwerber und Asylberechtigte, die schon die Pflichtschule absolviert und noch weiter im Schulsystem verbleiben wollen, werden in separaten Klassen auf dieses weitere Verbleiben vorbereitet. Das ist zum Beispiel die Übergangsstufe, deren Weiterführung uns auch der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober empfohlen hat. Und die Direktoren und Lehrer werden bei den Deutschklassen letztlich alle mitziehen? Oder muss man dann die Polizei in die Schulen schicken, um geltendes Recht durchzusetzen? Wir werden keine Polizei brauchen. Da bin ich wieder Österreicher. Es wird Proteste geben, aber letztlich vertraue ich auf die Improvisationsfähigkeit der österreichischen Kultur. Ihre Frau ist AHS-Lehrerin. Welche Anliegen trägt denn sie an Sie heran? Ich höre ja jeden Tag, was ich zu tun habe. Ich höre aber, auch von anderen, vor allem eines: Nicht dauernd reformieren. Wir brauchen weniger Debatten, was täglich geändert werden muss, sondern mehr Stabilität und Strukturierung. Es ist mir zu viel Aktionismus in der bildungspolitischen Diskussion. Beispiel Digitalisierung: Das reduziert sich dann auf die Frage, wie viele Tablets es in einer Klasse geben soll. Die Frage ist aber vielmehr: Wie werden wir digitale Inhalte in den Lehrplänen sinnvoll verankern? Es geht nicht darum, irgendwo schnell zu sein, sondern darum, wohin man fahren möchte. Große Reformen peilen Sie also nicht an? Es geht mir darum, dass relativ teure Bildungssystem leistungsfähiger zu machen. Bildung soll es jedem Einzelnen ermöglichen, sich zu emanzipieren, auch die gesellschaftlichen Umstände in Frage zu stellen. Und Bildung hat natürlich auch eine Ausbildungsfunktion, um Menschen eine nicht alimentierte Existenz zu ermöglichen. Diese zwei Dinge, die für mich wesentlich sind, sollen für möglichst alle zutreffen. Daher soll die Schulpflicht auch zu einer Art von Bildungsverpflichtung werden. Zehn Prozent absolvieren zwar die Pflichtschule, haben aber am Ende kein positives Zeugnis. Das heißt, es soll einen Test geben, bevor jemand die Schule verlassen darf. Wir haben ja einen Test. Die Zeugnisse. Nur sind diese eben nicht bei allen positiv. Für diese Gruppe muss etwas geschehen. Wir sind hier gerade dabei, konkrete Pläne auszuarbeiten. Im Zuge der Regierungsverhandlungen war auch immer wieder die Rede von finanziellen Sanktionen für Eltern, die ihre Kinder in ihrer Bildungslaufbahn nicht unterstützen. Elternarbeit ist etwas ganz Wichtiges. Das ist weiterhin eine Priorität. Aber wissen Sie: Ich bin auch ein Sanktionsrealist. Man kann nicht alles nur mit Sanktionen lösen. Gerade in diesem diffizilen Bereich ist Überzeugungsarbeit notwendig. Soll auf dem Schulhof nur noch Deutsch gesprochen werden? Die Schülerinnen und Schüler sollen so reden, wie sie das für richtig erachten. Die Kompetenz der Unterrichtssprache Deutsch ist wichtig, aber was letztlich im Schulhof gesprochen wird, ist nicht vorzuschreiben und auch nicht kontrollierbar. Sind neun Wochen Schulferien zu lang? Na ja. Es gibt auch Argumente, die es legitimieren, dass sie so lang sind: Jemand, der in eine Berufsbildende Höhere Schule geht, macht in den Sommermonaten vielleicht ein Praktikum. Fünf Wochen. Da sollte dann noch ein wenig für die Ferien übrig bleiben. Aber ich bin zu jeder Diskussion bereit. Wann kommen Studiengebühren? Es ist ein Thema. Die Frage ist aber, wann man das macht und wie: Wir haben jetzt einmal eine neue Universitätsfinanzierung, die auch bessere Studienbedingungen garantieren soll. Denn ich kann keine Beiträge verlangen, wenn die Leistung nicht stimmt. Aber die Studiengebühren stehen im Regierungsprogramm. Ja. Ich muss mir dann im Sinne einer gesamthaften Betrachtung überlegen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Sind Sie für einen Numerus clausus? Nein. Weil dann auf einmal Fächer eine Rolle spielen, etwa Sport und Bewegung oder Religion, die für die zukünftige Berufsausübung keine Rolle spielen. Da ist ein ordentlicher Test vor Studienbeginn wie bei den Medizinern eine bessere und fairere Möglichkeit.
Sommerinterviews.
Seit rund einem halben Jahr sind die neuen Minister der ÖVP-FPÖ-Regierung im Amt. „Die Presse am Sonntag“und „Die Presse“ziehen mit ihnen eine erste Bilanz: Was wurde umgesetzt? Was kommt noch? Was dann doch nicht? Und warum tun sie sich das überhaupt an? Den Anfang macht Bildungs- und Wissenschaftsminister Heinz Faßmann (ÖVP). An den Universitäten gibt es als Folge von 1968 eine Art linke/linksliberale Hegemonie. Würden Sie das gerne ändern? Man muss hier differenzieren. Sie werden mir Recht geben, dass die MontanUni in Leoben, aber auch technische Universitäten, auch die medizinische, anders zu betrachten sind. Da bleibt dann also gar nicht mehr so viel übrig für eine linke Hegemonie. Auch ich war ja ein Teil des Systems und war nicht ideologisch punziert. Also: Ich will hier gar nichts Missionarisches. Ich will, dass die Universitäten gut arbeiten können. Und wir haben gute Universitäten. Die Rankings führen uns manchmal auf die falsche Fährte. Die Universität Wien gehört zum besten ein Prozent der Unis weltweit. Man hat bei Ihnen den Eindruck, dass Sie einer der wenigen Minister sind, die sich vom dem, was man Message Control nennt, ein wenig emanzipiert haben. Stimmt der Eindruck? Der Eindruck stimmt. Ich bin letztlich nur gegenüber meinem eigenen Verstand und Gewissen verantwortlich. Am Beginn Ihrer Ministertätigkeit haben Sie gesagt, Sie seien sich bewusst, dass Sie nur wenig Freiheiten haben werden. Na ja, es braucht schon so etwas wie eine Struktur im Hintergrund. Das ist das Regierungsübereinkommen. Die Freiheit ist gegeben, indem man Akzente setzt. Aber es ist keine totale Freiheit. Wie finden Sie die Kritik des Bundespräsidenten an der Regierung? Es ist Sommer. Und es gibt viele Eröffnungsreden. Und man muss in diesen auch etwas präsentieren. Für mich ist das alles blattfüllend, aber nicht systemverbessernd. Was machen Sie im Sommer? Ich segle in Kroatien, von Pula Richtung Süden. Was lesen Sie im Urlaub? Eigentlich nur die fachlichen Dinge, die ich mir mitnehmen muss. Kein Buch? Das wird sich nicht ausgehen. Außerdem muss ja einer das Schiff steuern.