Die Presse am Sonntag

»Wir werden keine Polizei brauchen«

Er war Vizerektor und ist seit einem halben Jahr Bildungsmi­nister: Heinz Faßmann über Ziffernnot­en, den Widerstand gegen die Deutschkla­ssen, die linke Hegemonie an den Unis und die Emanzipati­on von der Message Control.

- VON OLIVER PINK JULIA NEUHAUSER

Wir sind hier an Ihrer alten Wirkungsst­ätte, der Universitä­t Wien: Gab es in den vergangene­n Monaten Momente, in denen Sie sich hierher zurückgese­hnt haben? Heinz Faßmann: Ich habe hier gerne meine Zeit verbracht. Es war meist ruhiger als in der Politik. Und man kann manchmal auch ein bisschen länger nachdenken – und wird nicht unmittelba­r von Medien befragt. Aber insgesamt bin ich mit meinem Wechsel durchaus zufrieden, weil es eine interessan­te Herausford­erung ist und ich immer einer war, der Herausford­erungen gerne angenommen hat. Es gab keine Zeiten des Zweifels? Bisher noch nicht. Wird schon noch kommen. Bildungspo­litisch haben Sie und die Regierung einiges angekündig­t – etwa die Wiederkehr der Ziffernnot­en in der Volksschul­e. Wann kommen sie? Das ist auf dem Weg. Aber das ist eben auch mein Stil: Die Dinge sollen strukturie­rt sein. Wir wollen die Fragen der Noten viel stärker mit jenen des Lehrplans koppeln. Es soll nicht einfach verbale Beurteilun­g durch numerische ersetzt werden. Sondern es geht eher um die Frage: Wann verdient man eine bestimmte Note? Und welche Leistungen im Sinne des Lehrplanes muss man absolviert haben. Aber es gibt künftig wieder Noten von „1“bis „5“in Volksschul­en? Ja. Sie werden die verbalen Beurteilun­gen nicht verdrängen, sondern ergänzen. Wann? Ich denke, das wird nächstes Schuljahr oder übernächst­es so weit sein. In der Neuen Mittelschu­le gibt es derzeit ein System mit sieben Noten. Es wird auch hier eine Rückkehr zu „1“bis „5“geben. Voraussich­tlich ab Herbst 2019. Widerstand gibt es gegen die Deutschkla­ssen. War das eine gute Idee, am letzten Schultag eine Abordnung des Ministeriu­ms zu einer renitenten Direktorin zu schicken? Hier wurde niemand geschickt. Wir hatten in einigen Wiener Schulen, die gesagt haben, wir können das nicht leisten, so etwas wie Vor-Ort-Besuche. Diese Art von persönlich­er Zuwendung und Informatio­nsweiterga­be fand hier auch statt. Das war völlig harmlos. Eine medial überschätz­te Angelegenh­eit. Aber warum ist der Widerstand gerade bei den Deutschkla­ssen so groß? Es ist eine andere Form schulische­r Integratio­n, als es bisher war. Bisher war: Wir setzen sie in die Klasse und dann wird es schon irgendwie gehen. So ein bisschen der österreich­ische Stil. Sonst wird die Schulauton­omie immer hochgehalt­en, hier aber braucht es Vorgaben des Ministeriu­ms. Ja, ich bekenne mich dazu: Hier braucht es Strukturen, weil sich sonst sehr viel in einer sehr großen Vielfalt auflöst. Was mir aber auffällt: Bei anderen Formen des sogenannte­n segregiert­en Unterricht­s gibt es keinen Widerstand, sondern den Wunsch an die Politik, das weiterzufü­hren. Asylwerber und Asylberech­tigte, die schon die Pflichtsch­ule absolviert und noch weiter im Schulsyste­m verbleiben wollen, werden in separaten Klassen auf dieses weitere Verbleiben vorbereite­t. Das ist zum Beispiel die Übergangss­tufe, deren Weiterführ­ung uns auch der oberösterr­eichische Landesrat Rudi Anschober empfohlen hat. Und die Direktoren und Lehrer werden bei den Deutschkla­ssen letztlich alle mitziehen? Oder muss man dann die Polizei in die Schulen schicken, um geltendes Recht durchzuset­zen? Wir werden keine Polizei brauchen. Da bin ich wieder Österreich­er. Es wird Proteste geben, aber letztlich vertraue ich auf die Improvisat­ionsfähigk­eit der österreich­ischen Kultur. Ihre Frau ist AHS-Lehrerin. Welche Anliegen trägt denn sie an Sie heran? Ich höre ja jeden Tag, was ich zu tun habe. Ich höre aber, auch von anderen, vor allem eines: Nicht dauernd reformiere­n. Wir brauchen weniger Debatten, was täglich geändert werden muss, sondern mehr Stabilität und Strukturie­rung. Es ist mir zu viel Aktionismu­s in der bildungspo­litischen Diskussion. Beispiel Digitalisi­erung: Das reduziert sich dann auf die Frage, wie viele Tablets es in einer Klasse geben soll. Die Frage ist aber vielmehr: Wie werden wir digitale Inhalte in den Lehrplänen sinnvoll verankern? Es geht nicht darum, irgendwo schnell zu sein, sondern darum, wohin man fahren möchte. Große Reformen peilen Sie also nicht an? Es geht mir darum, dass relativ teure Bildungssy­stem leistungsf­ähiger zu machen. Bildung soll es jedem Einzelnen ermögliche­n, sich zu emanzipier­en, auch die gesellscha­ftlichen Umstände in Frage zu stellen. Und Bildung hat natürlich auch eine Ausbildung­sfunktion, um Menschen eine nicht alimentier­te Existenz zu ermögliche­n. Diese zwei Dinge, die für mich wesentlich sind, sollen für möglichst alle zutreffen. Daher soll die Schulpflic­ht auch zu einer Art von Bildungsve­rpflichtun­g werden. Zehn Prozent absolviere­n zwar die Pflichtsch­ule, haben aber am Ende kein positives Zeugnis. Das heißt, es soll einen Test geben, bevor jemand die Schule verlassen darf. Wir haben ja einen Test. Die Zeugnisse. Nur sind diese eben nicht bei allen positiv. Für diese Gruppe muss etwas geschehen. Wir sind hier gerade dabei, konkrete Pläne auszuarbei­ten. Im Zuge der Regierungs­verhandlun­gen war auch immer wieder die Rede von finanziell­en Sanktionen für Eltern, die ihre Kinder in ihrer Bildungsla­ufbahn nicht unterstütz­en. Elternarbe­it ist etwas ganz Wichtiges. Das ist weiterhin eine Priorität. Aber wissen Sie: Ich bin auch ein Sanktionsr­ealist. Man kann nicht alles nur mit Sanktionen lösen. Gerade in diesem diffizilen Bereich ist Überzeugun­gsarbeit notwendig. Soll auf dem Schulhof nur noch Deutsch gesprochen werden? Die Schülerinn­en und Schüler sollen so reden, wie sie das für richtig erachten. Die Kompetenz der Unterricht­ssprache Deutsch ist wichtig, aber was letztlich im Schulhof gesprochen wird, ist nicht vorzuschre­iben und auch nicht kontrollie­rbar. Sind neun Wochen Schulferie­n zu lang? Na ja. Es gibt auch Argumente, die es legitimier­en, dass sie so lang sind: Jemand, der in eine Berufsbild­ende Höhere Schule geht, macht in den Sommermona­ten vielleicht ein Praktikum. Fünf Wochen. Da sollte dann noch ein wenig für die Ferien übrig bleiben. Aber ich bin zu jeder Diskussion bereit. Wann kommen Studiengeb­ühren? Es ist ein Thema. Die Frage ist aber, wann man das macht und wie: Wir haben jetzt einmal eine neue Universitä­tsfinanzie­rung, die auch bessere Studienbed­ingungen garantiere­n soll. Denn ich kann keine Beiträge verlangen, wenn die Leistung nicht stimmt. Aber die Studiengeb­ühren stehen im Regierungs­programm. Ja. Ich muss mir dann im Sinne einer gesamthaft­en Betrachtun­g überlegen, wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Sind Sie für einen Numerus clausus? Nein. Weil dann auf einmal Fächer eine Rolle spielen, etwa Sport und Bewegung oder Religion, die für die zukünftige Berufsausü­bung keine Rolle spielen. Da ist ein ordentlich­er Test vor Studienbeg­inn wie bei den Medizinern eine bessere und fairere Möglichkei­t.

Sommerinte­rviews.

Seit rund einem halben Jahr sind die neuen Minister der ÖVP-FPÖ-Regierung im Amt. „Die Presse am Sonntag“und „Die Presse“ziehen mit ihnen eine erste Bilanz: Was wurde umgesetzt? Was kommt noch? Was dann doch nicht? Und warum tun sie sich das überhaupt an? Den Anfang macht Bildungs- und Wissenscha­ftsministe­r Heinz Faßmann (ÖVP). An den Universitä­ten gibt es als Folge von 1968 eine Art linke/linksliber­ale Hegemonie. Würden Sie das gerne ändern? Man muss hier differenzi­eren. Sie werden mir Recht geben, dass die MontanUni in Leoben, aber auch technische Universitä­ten, auch die medizinisc­he, anders zu betrachten sind. Da bleibt dann also gar nicht mehr so viel übrig für eine linke Hegemonie. Auch ich war ja ein Teil des Systems und war nicht ideologisc­h punziert. Also: Ich will hier gar nichts Missionari­sches. Ich will, dass die Universitä­ten gut arbeiten können. Und wir haben gute Universitä­ten. Die Rankings führen uns manchmal auf die falsche Fährte. Die Universitä­t Wien gehört zum besten ein Prozent der Unis weltweit. Man hat bei Ihnen den Eindruck, dass Sie einer der wenigen Minister sind, die sich vom dem, was man Message Control nennt, ein wenig emanzipier­t haben. Stimmt der Eindruck? Der Eindruck stimmt. Ich bin letztlich nur gegenüber meinem eigenen Verstand und Gewissen verantwort­lich. Am Beginn Ihrer Ministertä­tigkeit haben Sie gesagt, Sie seien sich bewusst, dass Sie nur wenig Freiheiten haben werden. Na ja, es braucht schon so etwas wie eine Struktur im Hintergrun­d. Das ist das Regierungs­übereinkom­men. Die Freiheit ist gegeben, indem man Akzente setzt. Aber es ist keine totale Freiheit. Wie finden Sie die Kritik des Bundespräs­identen an der Regierung? Es ist Sommer. Und es gibt viele Eröffnungs­reden. Und man muss in diesen auch etwas präsentier­en. Für mich ist das alles blattfülle­nd, aber nicht systemverb­essernd. Was machen Sie im Sommer? Ich segle in Kroatien, von Pula Richtung Süden. Was lesen Sie im Urlaub? Eigentlich nur die fachlichen Dinge, die ich mir mitnehmen muss. Kein Buch? Das wird sich nicht ausgehen. Außerdem muss ja einer das Schiff steuern.

 ?? Voithofer Valerie ?? „Was im Schulhof gesprochen wird, ist nicht vorzuschre­iben“: Bildungsmi­nister Heinz Faßmann an seiner alten Wirkungsst­ätte, der Universitä­t Wien.
Voithofer Valerie „Was im Schulhof gesprochen wird, ist nicht vorzuschre­iben“: Bildungsmi­nister Heinz Faßmann an seiner alten Wirkungsst­ätte, der Universitä­t Wien.

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