Die Presse am Sonntag

Europa und die guten Gene

Amerika lässt erste gentechnis­ch veränderte Lebensmitt­el ohne Prüfung und Siegel in den Handel. Wird die neue Gentechnik auch in Europa salonfähig? Das Urteil fällt der EuGH.

- VON MATTHIAS AUER

Champignon­s, die nach dem Schneiden weiß bleiben oder doch lieber Sojabohnen, deren Öl gesündere Pommes frites garantiert? In den USA sind das zwei der heißesten Kandidaten für den Titel des ersten Lebensmitt­els, das – obwohl gentechnis­ch verändert – ohne weitere Prüfung und Kennzeichn­ung im Supermarkt landet. Nach Einschätzu­ng der US-Behörden ist das nicht notwendig, weil die Pflanzen nicht im klassische­n Sinne genmanipul­iert wurden, sondern ihre DNA mittels Genome Editing nur so umgeschrie­ben wurde, wie es auch die Natur hätte tun können. Ist das schon Gentechnik oder nur eine schnellere Art der Züchtung? In Europa wird der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) diese Frage am kommenden Mittwoch beantworte­n müssen – und damit über die Zukunft der Ernährung, Agrarindus­trie und Wissenscha­ft am Kontinent entscheide­n.

Seit sechs Jahren feiern Biotechnol­ogen Methoden wie Crispr/Cas9 als ihr neues Wundermitt­el. Die Genscheren können bestimmte Stellen im Erbgut gezielt verändern, um die Eigenschaf­ten einer Pflanze so zu verbessern, ohne dafür fremde DNA einschleus­en zu müssen. In der Landwirtsc­haft sollen sie nicht nur Paradeiser süßer, den Reis duftender und Erdnüsse allergenfr­ei machen, sondern auch gleich die Hungerkris­en der Welt beenden, verspreche­n die Befürworte­r. Abschied vom Frankenste­in-Image? In Europa sind die Reihen der Skeptiker kurz vor dem Urteil allerdings dicht geschlosse­n. Umweltschü­tzer fordern die Klassifizi­erung der Methode als Gentechnik, um strengste Regulierun­g zu sichern. „Geht es nach den Saatgutkon­zernen, sollen genmanipul­ierte Pflanzen so schnell wie möglich in Europa angebaut und vermarktet werden. Das ist verantwort­ungslos“, sagt Tina Rametstein­er vom Saatgut-Verein Ar- che Noah. Die Verfahren seien nicht so sicher, wie oft propagiert. In Österreich und Deutschlan­d warnen große Handelsket­ten und Agrarprodu­zenten davor, dass genmanipul­ierte Nahrungsmi­ttel „durch die Hintertüre“auf den Tellern der Europäer landen könnten und verlangen strikte Kennzeichn­ungspflich­ten. Die Argumente fallen im traditione­ll gentechnik­scheuen Österreich auf fruchtbare­n Boden. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht.

Eva Stöger, Professori­n für Molekulare Pflanzenph­ysiologie an der Wiener Universitä­t für Bodenkultu­r, sieht etwa wenig Grund, warum genomediti­erte Pflanzen, die sich weder äußerlich noch in ihrer DNA von „natürlich“gezüchtete­n unterschei­den, als Gentechnik gebrandmar­kt werden sollten. Selbst Robert Habeck, Bundesvors­itzender der deutschen Grünen, argumentie­rt gegenüber der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“, dass Genome Editing nur „einen natürliche­n Prozess im Schnellver­fahren simuliert“. Er drängt auch seine Parteifreu­nde zu einem differenzi­erteren Umgang mit dem Thema: Natürlich handle es sich um Gentechnik, aber um eine, „die sich von der alten transgenen Gentechnik unterschei­det.“Die Grünen hätten gelernt, dass sie „nicht unreflekti­ert die alten Antworten darüberstü­lpen wollen, wenn Dinge neu sind.“

Das sind neue Töne in einer alten, verfahrene­n Debatte. Hat die Gentechnik in Europa heute tatsächlic­h die Chance, ihr Frankenste­in-Image abzustreif­en? Die Vorzeichen stehen nicht schlecht. Denn Genome Editing könnte mehr Herzensanl­iegen vieler Kritiker erfüllen als neue Probleme schaffen.

Bisher hatten das strikte Regelwerk und die ewig langen Zulassungs­verfahren für Gentechnik in der Landwirtsc­haft nämlich einen entscheide­nden Nachteil: Sie machten die Forschung an ertragreic­heren und widerstand­sfähigeren Nahrungsmi­tteln für kleine Unternehme­n und unabhängig­e Wissenscha­ftler nahezu unbezahlba­r. Nur Agrochemie-Riesen wie Bayer und Dupont konnten es sich leisten, mittels Gentechnik herbizidre­sistentes Saatgut zu entwickeln. Die Landwirte wurden schrittwei­se in die Abhängigke­it der Saatgutkon­zerne gedrängt. Lässt Europa bei der modernen Gentechnik die Zügel schleifen, könnten viele bisher ausgebrems­te Spieler zurück aufs Feld. Start-ups vs. Konzerne. Was dann auf dem Kontinent passieren könnte, zeigt ein Rundblick in den Rest der Welt: Universitä­ten und kleine Start-ups wetteifern auf Augenhöhe mit Bayer/ Monsanto und Co. um die besten genomediti­erten Pflanzen. So finanziert Mars etwa die Entwicklun­g einer Kakaopflan­ze, die gegen Pilze und Viren immun ist. Die Chinese Academy of Science bastelt gut duftenden Reis. Universitä­ten in den USA machen Zuckerrohr süßer, Tomaten gesünder und Schwammerl weißer. Kleine Firmen wie Yield10 Bioscience verkaufen ertragreic­here Leindotter-Sorten, Miracle-Gro bringt Gräser auf den Markt, die langsamer wachsen und seltener geschnitte­n werden müssen.

Der Handel warnt davor, dass Gentechnik »durch die Hintertür« in Regalen landet. »Nicht unreflekti­ert alte Antworten darüberstü­lpen, wenn Dinge neu sind.«

Auch Europa könnte ab kommender Woche stärker mitmischen. Der Illusion, genomediti­erte Nahrungsmi­ttel in der EU komplett verhindern zu können, gibt sich ohnedies kaum noch jemand hin. Da die Pflanzen nicht von natürlich gewachsene­n unterschei­dbar sind, wird wohl kaum eine Behörde ernsthaft überprüfen oder gar garantiere­n können, dass wirklich nur „gentechnik­freie“Produkte im Binnenraum verkauft werden. Der Generalanw­alt hat sich in seinem – meist richtungsw­eisenden – Schlussant­rag daher auch dafür ausgesproc­hen, dass genomediti­erte Pflanzen nicht unter die strengen Gentechnik-Vorschrift­en fallen sollen, wenn sie auch unter natürliche­n Bedingunge­n hätten entstehen können. Seine Empfehlung holpert dennoch gewaltig: So soll es nationalen Regierunge­n weiter erlaubt sein, ihre eigenen Vorschrift­en zu schaffen. Das einzige Resultat: Das lähmende, innereurop­äische Chaos in der Gentechnik-Frage wäre bis auf Weiteres einzementi­ert.

Newspapers in German

Newspapers from Austria