Der entscheidende Hinweis kam aus »Europas Indien«
In Rumänien hat sich eine erfolgreiche IT-Szene Entwickler zu halten, strich das Land die Steuern. etabliert. Um die begehrten
Darknet-Handelsplattform Europas. Wer waren die Betreiber? Die Spur führte zu zwei Männern in Deutschland. Es zeigte sich: Die deutsche Polizei hatte die beiden Verdächtigen schon im Visier. Aber aus anderem Grund: Sie sollten über eine eigene Website mit Raubkopien von E-Books und Hörbüchern gehandelt haben.
Das brachte die Holländer auf die Idee: Die deutschen Kollegen sollten die Verdächtigen festnehmen, aber nur wegen der Piraterie, und sich ihre Computer schnappen. Im Verhör gaben sie ihre Anmeldedaten preis. Damit konnten die niederländischen Ermittler klammheimlich in die Rolle der beiden obersten Hansa-Administratoren schlüpfen. Statt die Server zu schließen, kaperten sie das System und übernahmen selbst das Kommando, vier Wochen lang. Die Polizei als Dealer. Ein moralisch heikles Unterfangen. Aber der Zweck sollte die Mittel heiligen: So fiel den Strafbehörden eine Unzahl an Daten in den Schoß, über Anbieter, Kunden und illegale Waren.
Niemandem fiel etwas auf, auch den vier „Moderatoren“nicht. Die Agenten hatten in den Log-Einträgen genau studiert, wie die Chats mit diesen Mittelsmännern abliefen, die bei Streitereien zwischen Händlern und Käufern klärend eingriffen. Wenn ein Streit eskalierte, übernahmen die Administratoren. Das machten die falschen viel effizienter als die richtigen. Das Servicelevel stieg, alle waren zufrieden.
Dann kam ein echter Glücksfall dazu: Das amerikanische FBI zerschlug Anfang Juli Alpha Bay, Darknet-Marktführer in den USA und weltweit. Auf die übliche Art, durch Schließen der Server. Ein großer Teil der Kunden und Lieferanten flüchtete zur Nummer zwei, zu Hansa. Sie gingen damit der holländischen Spezialtruppe scharenweise in die Falle. Jeden Tag kamen 5000 neue Käufer dazu. Zwischendurch musste man Neuregistrierungen stoppen, vorgeblich wegen Überlastung der Server. Tatsächlich mussten die Beamten von Gesetz wegen über jede der täglich 1000 illegalen Transaktionen einen Akt anlegen und kamen mit dem Papierkram nicht mehr nach. Reiche Beute. Nach 27 Tagen setzten sie dem Spuk ein Ende und zogen den Stecker von Hansa. Sie hatten reiche Beute gemacht: 3600 Dealer, 24.000 Drogenangebote, dazu jede Menge Betrugswerkzeuge und gefälschte Dokumente aller Art, vom Personalausweis über Bankbestätigungen bis zum Testament. Wer die Seite aufrufen wollte, fand nur noch den Hinweis, dass sie beschlagnahmt worden war – mitsamt einer Warnung an die Beteiligten: Wir sind euch auf der Spur. In diesem Fall wirkte es: In der Szene brach Panik aus, Zweifel und Misstrauen machten sich breit. Der logische Kronprinz, der nächstgrößere Marktplatz Dream Market, konnte sich entgegen der Prognose von Experten nicht durchsetzen – weil schnell das Gerücht die Runde machte, auch diese Plattform sei in den Händen der Bullen. Erst der psychologische Effekt, das beschädigte Vertrauen, ruinierte das Geschäftsmodell.
Damit stand für viele illegale Handelspartner fest: Ihre praktischen Marktplätze sind nicht mehr zu gebrauchen. Sollten sie ganz auf die Vorteile der Digitalisierung verzichten müssen? Ihre Geschäfte wieder analog abwickeln, mit Absprache und Übergabe in dunklen Parkecken oder wüsten Spelunken? Leider fanden sie eine „zweitbeste Lösung“: das Chatten über Telegram. Polizei und Geheimdienste müssen nun neue Strategien finden, in andere Richtungen ihre Fühler ausstrecken. Das Happy End bleibt aus. Die Jagd geht weiter. Es war ein Tipp aus Rumänien, der dazu beigetragen hat, dass die zwei größten Darknet-Marktplätze geschlossen werden konnten. Bitdefender, einer der größten Anbieter von Sicherheitslösungen, hat eine eigene kleine Mannschaft, das Team Red. Es ist damit beschäftigt, in der Online-Unterwelt nach neuen Sicherheitsbedrohungen Ausschau zu halten. Auch im Darknet.
Dabei begann die Geschichte dieses Unternehmens als kleiner SoftwareZulieferer für internationale Unternehmen. „Damals verschickten wir unsere Arbeiten noch per Diskette und wurden so als Überträger für Viren missbraucht“, so Florin Talpes, Gründer der Firma Bitdefender. Erst damit begannen die Arbeiten an eigenen Produkten und Sicherheitslösungen. Anfänglich „wollten wir nur uns schützen“, aber „wir waren nicht die einzigen Betroffenen“. Heute zählt das Unternehmen mehr als 1400 Mitarbeiter.
Talpes ist überzeugt, dass Rumänien das Potenzial zum internationalen Big Player im IT-Sektor hat. Und das, obwohl die Konkurrenz groß ist. Besonders Indien ist eines der tonangebenden Länder in der Informationstechnologie. Doch Rumänien entwickelt sich immer mehr zum „Indien Europas“. Trotz der Tatsache, dass rumänische Facharbeiter mehr kosten als indische.
Experten preisen seit den 1990erJahren den Vielvölkerstaat als die vorrangige Anlaufstelle für IT-Dienstleistungen. Lars Janitz von dem auf SAPLösungen spezialisierten Unternehmen Itelligence erklärt im Gespräch mit der „Presse“: „Wir standen vor sechs Jahren vor der Frage, wie wir deutsche Services anbieten können, ohne dabei die Unternehmenskosten in die Höhe zu treiben. In Rumänien haben wir das gefunden.“Seit mehr als sechs Jahren funktioniere die Partnerschaft sehr gut. Sprachbegabte IT-Arbeiter. Rumänien sei zwar um knapp 50 Prozent teurer als Indien, aber „die Vorteile überwiegen“. Außerdem seien die Tagessätze noch immer knapp um die Hälfte günstiger als in Großbritannien oder Deutschland. Die Mitarbeiter zeichnen sich durch eine geringe Fluktuationsrate, ein hohes Qualitätsbewusstsein und ihre Vielsprachigkeit aus. „Drei Fremdsprachen sind hier die Norm“, fügt Janitz hinzu. Doch nicht nur die Sprachenkenntnisse wissen ausländische Firmen zu schätzen, vor allem auch die fachliche Kompetenz.
Rumänien blickt auf eine lange ITGeschichte zurück. Es war eines der ersten acht Länder, die einen Computer bauen konnten. Lang vor der Wende wurde eine Bildungsreform umgesetzt, die einen klaren Fokus hatte auf die Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Doch trotz guter Ausbildung und jährlich knapp 7000 Absolventen leidet Rumänien an einem Fachkräftemangel. Im Ausland winken lukrativere Jobs. „Coder haben das höchste Einkommen in Rumänien“, erklärt Talpes. Im Durchschnitt verdienen sie bis zu zehn Prozent weniger als in anderen EU-Ländern. Auf den Brain-Drain reagierte Rumänien daher damit, dass man den Entwicklern die Lohnsteuer strich.
Die Polizisten schlossen die Server nicht. Sie schlüpften in die Rolle der Dealer.