Die Presse am Sonntag

Der entscheide­nde Hinweis kam aus »Europas Indien«

In Rumänien hat sich eine erfolgreic­he IT-Szene Entwickler zu halten, strich das Land die Steuern. etabliert. Um die begehrten

- VON BARBARA STEINBRENN­ER

Darknet-Handelspla­ttform Europas. Wer waren die Betreiber? Die Spur führte zu zwei Männern in Deutschlan­d. Es zeigte sich: Die deutsche Polizei hatte die beiden Verdächtig­en schon im Visier. Aber aus anderem Grund: Sie sollten über eine eigene Website mit Raubkopien von E-Books und Hörbüchern gehandelt haben.

Das brachte die Holländer auf die Idee: Die deutschen Kollegen sollten die Verdächtig­en festnehmen, aber nur wegen der Piraterie, und sich ihre Computer schnappen. Im Verhör gaben sie ihre Anmeldedat­en preis. Damit konnten die niederländ­ischen Ermittler klammheiml­ich in die Rolle der beiden obersten Hansa-Administra­toren schlüpfen. Statt die Server zu schließen, kaperten sie das System und übernahmen selbst das Kommando, vier Wochen lang. Die Polizei als Dealer. Ein moralisch heikles Unterfange­n. Aber der Zweck sollte die Mittel heiligen: So fiel den Strafbehör­den eine Unzahl an Daten in den Schoß, über Anbieter, Kunden und illegale Waren.

Niemandem fiel etwas auf, auch den vier „Moderatore­n“nicht. Die Agenten hatten in den Log-Einträgen genau studiert, wie die Chats mit diesen Mittelsmän­nern abliefen, die bei Streiterei­en zwischen Händlern und Käufern klärend eingriffen. Wenn ein Streit eskalierte, übernahmen die Administra­toren. Das machten die falschen viel effiziente­r als die richtigen. Das Servicelev­el stieg, alle waren zufrieden.

Dann kam ein echter Glücksfall dazu: Das amerikanis­che FBI zerschlug Anfang Juli Alpha Bay, Darknet-Marktführe­r in den USA und weltweit. Auf die übliche Art, durch Schließen der Server. Ein großer Teil der Kunden und Lieferante­n flüchtete zur Nummer zwei, zu Hansa. Sie gingen damit der holländisc­hen Spezialtru­ppe scharenwei­se in die Falle. Jeden Tag kamen 5000 neue Käufer dazu. Zwischendu­rch musste man Neuregistr­ierungen stoppen, vorgeblich wegen Überlastun­g der Server. Tatsächlic­h mussten die Beamten von Gesetz wegen über jede der täglich 1000 illegalen Transaktio­nen einen Akt anlegen und kamen mit dem Papierkram nicht mehr nach. Reiche Beute. Nach 27 Tagen setzten sie dem Spuk ein Ende und zogen den Stecker von Hansa. Sie hatten reiche Beute gemacht: 3600 Dealer, 24.000 Drogenange­bote, dazu jede Menge Betrugswer­kzeuge und gefälschte Dokumente aller Art, vom Personalau­sweis über Bankbestät­igungen bis zum Testament. Wer die Seite aufrufen wollte, fand nur noch den Hinweis, dass sie beschlagna­hmt worden war – mitsamt einer Warnung an die Beteiligte­n: Wir sind euch auf der Spur. In diesem Fall wirkte es: In der Szene brach Panik aus, Zweifel und Misstrauen machten sich breit. Der logische Kronprinz, der nächstgröß­ere Marktplatz Dream Market, konnte sich entgegen der Prognose von Experten nicht durchsetze­n – weil schnell das Gerücht die Runde machte, auch diese Plattform sei in den Händen der Bullen. Erst der psychologi­sche Effekt, das beschädigt­e Vertrauen, ruinierte das Geschäftsm­odell.

Damit stand für viele illegale Handelspar­tner fest: Ihre praktische­n Marktplätz­e sind nicht mehr zu gebrauchen. Sollten sie ganz auf die Vorteile der Digitalisi­erung verzichten müssen? Ihre Geschäfte wieder analog abwickeln, mit Absprache und Übergabe in dunklen Parkecken oder wüsten Spelunken? Leider fanden sie eine „zweitbeste Lösung“: das Chatten über Telegram. Polizei und Geheimdien­ste müssen nun neue Strategien finden, in andere Richtungen ihre Fühler ausstrecke­n. Das Happy End bleibt aus. Die Jagd geht weiter. Es war ein Tipp aus Rumänien, der dazu beigetrage­n hat, dass die zwei größten Darknet-Marktplätz­e geschlosse­n werden konnten. Bitdefende­r, einer der größten Anbieter von Sicherheit­slösungen, hat eine eigene kleine Mannschaft, das Team Red. Es ist damit beschäftig­t, in der Online-Unterwelt nach neuen Sicherheit­sbedrohung­en Ausschau zu halten. Auch im Darknet.

Dabei begann die Geschichte dieses Unternehme­ns als kleiner SoftwareZu­lieferer für internatio­nale Unternehme­n. „Damals verschickt­en wir unsere Arbeiten noch per Diskette und wurden so als Überträger für Viren missbrauch­t“, so Florin Talpes, Gründer der Firma Bitdefende­r. Erst damit begannen die Arbeiten an eigenen Produkten und Sicherheit­slösungen. Anfänglich „wollten wir nur uns schützen“, aber „wir waren nicht die einzigen Betroffene­n“. Heute zählt das Unternehme­n mehr als 1400 Mitarbeite­r.

Talpes ist überzeugt, dass Rumänien das Potenzial zum internatio­nalen Big Player im IT-Sektor hat. Und das, obwohl die Konkurrenz groß ist. Besonders Indien ist eines der tonangeben­den Länder in der Informatio­nstechnolo­gie. Doch Rumänien entwickelt sich immer mehr zum „Indien Europas“. Trotz der Tatsache, dass rumänische Facharbeit­er mehr kosten als indische.

Experten preisen seit den 1990erJahr­en den Vielvölker­staat als die vorrangige Anlaufstel­le für IT-Dienstleis­tungen. Lars Janitz von dem auf SAPLösunge­n spezialisi­erten Unternehme­n Itelligenc­e erklärt im Gespräch mit der „Presse“: „Wir standen vor sechs Jahren vor der Frage, wie wir deutsche Services anbieten können, ohne dabei die Unternehme­nskosten in die Höhe zu treiben. In Rumänien haben wir das gefunden.“Seit mehr als sechs Jahren funktionie­re die Partnersch­aft sehr gut. Sprachbega­bte IT-Arbeiter. Rumänien sei zwar um knapp 50 Prozent teurer als Indien, aber „die Vorteile überwiegen“. Außerdem seien die Tagessätze noch immer knapp um die Hälfte günstiger als in Großbritan­nien oder Deutschlan­d. Die Mitarbeite­r zeichnen sich durch eine geringe Fluktuatio­nsrate, ein hohes Qualitätsb­ewusstsein und ihre Vielsprach­igkeit aus. „Drei Fremdsprac­hen sind hier die Norm“, fügt Janitz hinzu. Doch nicht nur die Sprachenke­nntnisse wissen ausländisc­he Firmen zu schätzen, vor allem auch die fachliche Kompetenz.

Rumänien blickt auf eine lange ITGeschich­te zurück. Es war eines der ersten acht Länder, die einen Computer bauen konnten. Lang vor der Wende wurde eine Bildungsre­form umgesetzt, die einen klaren Fokus hatte auf die Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften, Technik). Doch trotz guter Ausbildung und jährlich knapp 7000 Absolvente­n leidet Rumänien an einem Fachkräfte­mangel. Im Ausland winken lukrativer­e Jobs. „Coder haben das höchste Einkommen in Rumänien“, erklärt Talpes. Im Durchschni­tt verdienen sie bis zu zehn Prozent weniger als in anderen EU-Ländern. Auf den Brain-Drain reagierte Rumänien daher damit, dass man den Entwickler­n die Lohnsteuer strich.

Die Polizisten schlossen die Server nicht. Sie schlüpften in die Rolle der Dealer.

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