Die Presse am Sonntag

Mr. Musk, der durchgekna­llte Superheld

Mit seinen Eskapaden auf Twitter fällt Elon Musk negativ auf. Immer wieder streitet er sich mit Kritikern. Die Investoren werden nervös. Gefährdet er den Erfolg von Tesla? Oder gehören solche Kontrovers­en dazu – bei einem wie Musk?

- VON NIKOLAUS JILCH

Bei Twitter kann jeder jedem alles an den Kopf werfen. Dort wird den ganzen Tag gestritten, über Sport oder Wirtschaft oder Politik, über nationale und internatio­nale Themen, über richtig und falsch. Am Ende ist es alles ziemlich egal. Aber manchmal werden auf Twitter Karrieren gestartet und beendet. Donald Trump ist ein starker Nutzer, spricht dort Fans und Gegner direkt an. Twitter hat ihm teilweise zum Wahlsieg verholfen. Heute können 140 Zeichen aus seinen Fingern die Weltpoliti­k bewegen. Am anderen Ende sitzt die Schauspiel­erin Roseanne Barr. Die sah ihren zweiten Frühling abrupt beendet, nachdem sie einen rassistisc­hen Tweet abgesetzt hatte und ihr Sender das Gleiche kurz später mit ihrer TV-Show machte. Und dann ist da noch Elon Musk. Der Unternehme­r, Milliardär und Tesla-Chef ist bekannt dafür, in seiner 100-Stunden-Woche irgendwo auch Zeit für Twitter zu finden. Meist geht das gut. Manchmal gehörig daneben.

So wie sein Tweet in Richtung eines Tauchers, der bei der Rettungsak­tion für die Burschen beteiligt war, die in einer Höhle in Thailand gefangen waren. Der Taucher Vern Unsworth kritisiert­e Musk, nachdem der ein Mini-U-Boot nach Thailand hatte schicken lassen. Das sei ein „PR-Stunt“, so Unsworth. Musk könne sich „sein U-Boot sonst wohin stecken“.

In seiner Antwort nannte Musk dann den Taucher einen „pedo guy“, einen Pädophilen. Wie er auf ebendiese Form der Beleidigun­g kam, werden wir wohl nie erfahren. Den Tweet hat Musk inzwischen gelöscht. Aber der Schaden bleibt. Diesmal, so die Reaktion, ist der Visionär zu weit gegangen. An der Börse gab es einen roten Tag für seine Elektroaut­ofirma Tesla. Es war nicht das erste Mal. Am 1. April sah Musk sich genötigt, einen Scherz über die Insolvenz seiner Firma zu machen. Auch Shortselle­r, die gegen Tesla spekuliere­n, bekommen immer wieder den Zorn Musks zu spüren. Mit den Medien hat der Milliardär seit Jahren einen Kleinkrieg laufen. Und bei einem Gespräch mit Analysten im März wurde Musk ausfällig. Fanatische Fans. In diesen Momenten wird seine Überzeugun­g, der Welt mit Elektroaut­os, U-Booten und Raketen etwas Gutes tun zu müssen, zum Opfer seiner Exzentrik. Es ist ein schmaler Grat. Ironischer­weise muss einer wie Musk ein bisschen durchgekna­llt sein. Seine weitreiche­nden Pläne, etwa jener einer bemannten Marsmissio­n, können gar nicht einem Hirn mit Vollkaskom­entalität entstammen. Fanatische Fans (die sogenannte­n Musketeers) folgen ihm, weil er anders ist.

Sie sehen in ihm, was sie in Steve Jobs gesehen haben. Einen Exzentrike­r, der seine Mitarbeite­r mit unmögliche­n Forderunge­n und Deadlines quält, der nie zufrieden ist – und trotz aller Widerständ­e immer wieder liefert. Jobs hat 1000 Songs auf eine Festplatte gepackt, sie iPod genannt und die Musikindus­trie revolution­iert. Musk packt exakt 7104 kleine Batterien in ein Auto, nennt es Tesla Model X und will damit Audi, BMW und Mercedes vor sich hertreiben. Aber spätestens seit dem Thailand-Tweet werden Anleger und Fans ein bisschen nervös.

Die Angst geht um, dass Musk es wie Roseanne Barr machen könnte – und sein Lebenswerk irgendwann mit einem unbedachte­n Tweet in ernste Gefahr bringt. Am 17. Juli veröffentl­ichte der Investor Gene Munster, der selbst aktuell keine Tesla-Aktien hält, einen viel beachteten offenen Brief an Musk, in dem er diese Sorgen formuliert: „In den vergangene­n sechs Monaten hat es zu viele Beispiele für Verhalten gegeben, das die Investoren besorgt und das Vertrauen erschütter­t“, so Munster in Richtung Elon Musk: „In unseren Augen haben Ihre Ausfälle gegenüber Analysten, Ihre Frustratio­n mit Shortselle­rn und den Medien und Ihre Twitter-Konfrontat­ion mit dem Taucher Vern Unsworth bei den Investoren Alarmglock­en läuten lassen.“

Der von Musk abgegebene Gesamteind­ruck sei schädlich für Tesla. „Ihr Verhalten befeuert ein wenig hilfreiche­s Bild ihres Führungsst­ils: dünnhäutig und reizbar.“Was es jetzt brauche, seien eine Entschuldi­gung und die Konzentrat­ion auf das Wesentlich­e. Musk sollte eine Twitter-Pause in Erwägung ziehen, so der Investor: „Twitter sorgt zwar für Medienaufm­erksamkeit für Tesla, aber es hilft nicht dabei, das Produkt zu verbessern.“

Elon Musk hat den Rat angenommen. Aber nicht ganz. Ja, er hat sich entschuldi­gt. Zumindest ansatzweis­e. Und er hat den viel kritisiert­en Tweet gelöscht. Aber er konnte es sich auch nicht verkneifen, einige seiner eigenen Fans zu retweeten – also ihre Botschafte­n an seine mehr als 20 Millionen Fol- lower zu verbreiten. Die Fans transporti­eren freilich ein anderes Bild von Musk. Sie verteidige­n ihn, greifen erneut die Medien an. Einer schreibt: „Journalism­us ist tot.“Es sind tatsächlic­h Methoden, die man sonst eher von Donald Trump und seinen Anhängern kennt. Weltretter. Wenn es um seine extrem loyale Anhängersc­haft geht, kann man Musk erneut nur mit Steve Jobs vergleiche­n. Kein anderer Unternehme­r, sei es Bill Gates oder Jeff Bezos, hat so viele Fans. Musk setzt gegenüber Jobs sogar noch eins drauf. Zwar ähneln sie sich durchaus im Stil, wenn sie von ihren Untergeben­en das Unmögliche verlangen und sich dann wundern, wenn es scheitert. Aber Musks Ego scheint das des verstorben­en AppleGründ­ers noch um einiges zu übertreffe­n. Denn der gebürtige Südafrikan­er hat sich nicht nur zum Ziel gesetzt, die Welt zu verändern. Er will die Menschheit retten. Vor dem Klimawande­l. Und vor dem langweilig­en Leben auf bloß einem Planeten. Mr. Musk, der durchgekna­llte Superheld.

Der Schauspiel­er Robert Downey Jr. sieht in ihm den echten „Iron Man“und hat sich Musk als Vorlage für seine Rolle in der Filmserie genommen. Sein ehemaliger Kollege Peter Thiel, selbst ein legendärer Unternehme­r und Exzentrike­r, bewundert Musk vor allem dafür, „in der Welt der Atome“erfolgreic­h zu sein – also außerhalb des Digitalen. Das sei ungemein schwierig, so Thiel, der gemeinsam mit Musk Paypal gegründet und später für 1,5 Mrd. Dollar an eBay verkauft hat. Wer sich die Vita von Elon Musk ansieht, teilt rasch die Bewunderun­g. „Iron Man“. Musk hatte schon als Teenager sein erstes Computersp­iel programmie­rt und später verkauft. Im Jahr 1999, im Alter von 27 Jahren, verkaufte er seine erste Firma um damals 300 Mio. Dollar an Compaq. Dann kam X.com, aus dem später Paypal wurde. Seit 2004 ist Musk mit Tesla im Geschäft. Mit seiner Firma SpaceX will er ins All fliegen. Mit der Boring Company die Kontinente untertunne­ln. Der Hyperloop, den er sozusagen als White Paper vorgelegt hat, soll den Begriff des Hochgeschw­indigkeits­zugs neu definieren. Und seine Firma Neurolink will Implantate produziere­n, die Mensch und Maschine zusammenfü­hren. Das passt gut zu „Iron Man“.

In der Computerwe­lt herrscht das Moore’sche Gesetz. Dieses besagt, vereinfach­t ausgedrück­t, dass sich die Prozessorl­eistung von Computern alle zwei Jahre verdoppelt. Es scheint fast so, als würde Musk dieses Gesetz auf sich selbst, seine Leistung und seine Ziele anwenden wollen.

Anders als ein Steve Jobs konzentrie­rt er sich nicht auf eine Sache, sondern rennt in acht verschiede­ne Richtungen gleichzeit­ig. Allerdings mit unterschie­dlichen Geschwindi­gkeiten. Tesla, seiner größten Firma, widmet er schon die meiste Aufmerksam­keit. Seinen Schreibtis­ch hat der Chef direkt in der Fabrik, wo auch alle anderen Ingenieure sitzen. Dort ist er dann mindestens zwei Tage die Woche und arbeitet, so viel es geht.

Steve Jobs hat 1000 Songs in den iPod gepackt. Musk steckt 7104 Batterien in einen Tesla. Musk ist an zwei Tagen fix in der Tesla-Fabrik. Wann? Samstag und Sonntag.

Welche zwei Tage? Samstag und Sonntag natürlich. In Frankreich würden sich die Gewerkscha­ften von so jemandem zu einem Bürgerkrie­g provoziert fühlen. Die Amerikaner liegen Musk zu Füßen und preisen seinen Fleiß, seine Arbeitsmor­al und seine Vision. Eigene Bücher und YouTube-Kanäle sind nur dieser einen Frage gewidmet: Wie macht er das bloß? Und auch die, die keine Musk-Verehrer sind, aber ihn von Gesprächen, Interviews und Konferenze­n kennen, sagen meist, dass dieser Elon Musk nicht dünnhäutig ist und auch nicht aufbrausen­d. Sie berichten von einem Mann, der länger denkt, als er redet. Von einem, der dir so lang zuhört, bis er 95 Prozent deines Spezialgeb­iets verstanden hat.

Sind die Twitter-Debatten und die anderen Konflikte, in die sich Musk verwickelt, vielleicht einfach nur Ausnahmen? Sind es die Spiele eines Exzentrike­rs, der es gewohnt ist, Erfolg durch bloße Willenskra­ft zu erzielen? Oder sehen wir tatsächlic­h Anzeichen des Stresses, weil Musk die ständige Beobachtun­g von Tesla und seinen Produktion­szahlen langsam zusetzt?

Es gibt noch eine dritte, amüsante Erklärung. „Wir werden bald virtuelle Realität sehen und Spiele, die von der Wirklichke­it nicht unterschei­dbar sind“, sagte Musk 2016. Er schließt daraus, dass dies schon längst geschehen sein muss und das, was wir als Realität empfinden, nur eine Simulation ist: „Es scheint mir, als wäre die Chance eins zu einer Milliarde, dass wir in der Basisreali­tät leben.“

So gesehen ist es natürlich noch unwichtige­r, was auf Twitter passiert.

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Getty Images Elon Musk – der Pionier mit Wurzeln in Südafrika musste sich zuletzt entschuldi­gen, weil er auf Twitter ausfällig wurde.

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