Die Presse am Sonntag

Eine Kindheit in Brooklyn

- TES

Jacqueline Woodson erzählt in ihrem fragmentar­ischen Roman vom Aufwachsen als schwarzes Mädchen im herunterge­kommenen New York der Siebziger. August heißt die Protagonis­tin, benannt nach dem Sommermona­t bei ihrer Geburt in Tennessee im Süden der USA. Jetzt, in New York, taugt der Süden nur noch als Drohung für die Kinder – als der Ort, an den man geschickt wird, wenn man schwanger wird.

Inzwischen leben August und ihr Bruder mit ihrem Vater in Brooklyn. Arm, aber nicht gröber vernachläs­sigt, jedenfalls nicht materiell, August geborgen im Kreis ihrer vierköpfig­en Mädchenban­de, die sich gemeinsam ihr Viertel erschließt – bis die Freundscha­ft zu bröckeln beginnt. Der Coming-of-age-Roman der Autorin, die sonst eigentlich Jugendbüch­er schreibt, erzählt vom Aufwachsen aus einer bisher unerzählte­n Perspektiv­e: der eines schwarzen Mädchens in einer Umgebung, in der Vietnamkri­egsveteran­en die Straßen bevölkern und im Hauseingan­g nebenan ein Junkie dämmert. Vieles, nicht zuletzt die Abwesenhei­t der Mutter, erschließt sich erst im Rückblick. Den Rahmen bildet ein Heimatbesu­ch der erwachsene­n Erzählerin: Der Vater ist gestorben, August, inzwischen Anthropolo­gin und Expertin für den Umgang mit den Toten, kommt fürs Begräbnis nach Hause.

„Ein anderes Brooklyn“war ein „New York Times“Bestseller. Ein schmales Büchlein mir kurzen Absätzen, fragmentar­isch erzählt, das einen dennoch in kurzer Zeit in seinen Bann zieht. „Heute weiß ich, dass nicht der Augenblick tragisch ist“, heißt es darin. „Es ist die Erinnerung.“ Jacqueline Woodson: „Ein anderes Brooklyn“, übersetzt von Brigitte Jacobeit, Piper Verlag, 160 Seiten, 20,60 Euro

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