Die Presse am Sonntag

Der Sommer der Zecken

Heuer kommen in unseren Breiten besonders viele der winzigen, blutsaugen­den Milben vor. Schuld daran sind die milden Temperatur­en, die Buchen und die Nager.

- VON CLAUDIA RICHTER

Von seinem dritten Lebensjahr weg wurde Erwin B. acht Jahre irrtümlich auf rheumatoid­e Arthritis behandelt und mit Rheumamedi­kamenten vollgepump­t. In Wahrheit war ein Zeckenstic­h schuld an seinen rheumaähnl­ichen Beschwerde­n. Auch die Alzheimerk­rankheit, die bei einer 70-jährigen Wienerin diagnostiz­iert wurde, stellte sich als Folge eines Zeckenstic­hs heraus. Die Spinnentie­rchen hatten Bub und Frau eine Borreliose beschert. Sie kommt übrigens weit häufiger vor als die in der Bevölkerun­g bekanntere und ebenfalls von Zecken übertragen­e FSME (Frühsommer-Meningoenz­ephalitis).

Die Zahl von FSME-Fällen blieb in Österreich viele Jahre unter 100, 2017 betrug sie jedoch 116, Borreliose­fälle gibt es hierzuland­e 50.000 bis 70.000 pro Jahr. Die Gefahr, dass es heuer weit mehr Erkrankung­en durch Zeckenstic­he geben könnte, ist nicht von der Hand zu weisen – 2018 könnte sich als Zeckenreko­rdjahr entpuppen: Kamen im vergangene­n Jahr etwa 180 Zecken auf 100 Quadratmet­er, so sind es heuer 443. Errechnet werden diese Zahlen durch ein Modell, das von der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien und dem Deutschen Zentrum für Infektions­forschung gemeinsam entwickelt wurde. Die Zeckenzahl­en werden seit zehn Jahren dokumentie­rt, in diesem Zeitraum gab es noch nie so viele wie in diesem Jahr.

Gründe für die Population­sexplosion bei den Krabbeltie­ren sind unter anderem der eher milde Winter und das Buchenmast­jahr. „Darunter versteht man, dass die Buchen sehr produktiv waren und sehr viele Eicheln und Bucheckern produziert­en“, erklärt Georg Duscher, stellvertr­etender Leiter des Instituts für Parasitolo­gie der Veterinärm­edizinisch­en Universitä­t Wien. Viele Buchenfrüc­hte bedeuten mehr Nahrung für Nager, mit einem Plus an Nahrung vermehren sich auch die Nager – mehr Nager, mehr Zecken. Aktuelle Studie in Wien. Wer gestochen wird, kann die entfernte Zecke in ein Behältnis geben und damit zum Institut für Hygiene und Angewandte Immunologi­e der Medizinisc­hen Universitä­t Wien gehen. Institutsl­eiter Hannes Stockinger: „Wir analysiere­n die Zecke auf Krankheits­erreger und begleiten die Patienten auch therapeuti­sch.“Details gibt es unter www.meduniwien.ac.at/hai.

Zecken treten in ganz Österreich auf, nicht nur in Kärnten, sondern auch am Wiener Wilhelmine­nberg und auf dem städtische­n Spielplatz. Nicht nur in Wäldern und auf Wiesen, sondern auch im eigenen Garten, in Parkanlage­n oder auf der Donauinsel warten sie auf Beute. Nähert sich ein passendes Objekt, krallt sich der „gemeine Holzbock“blitzschne­ll an Mensch oder Tier an, ritzt mit seinen Kieferklau­en eine Wunde in die Haut und sticht da sein Hypostom (Nahrungsro­hr, Stechrüsse­l mit Widerhaken) durch. Damit das Opfer nichts spürt, wird mit dem Speichel eine Art Betäubung eingeleite­t. Denn die Zecke bleibt für ihre Blutmahlze­it zwei bis zehn Tage an ihrem Wirt hängen. Wenn man sie lässt.

„Nach einem Spaziergan­g oder einer Wanderung sollte man Kind oder Partner immer auf Zecken absuchen“, rät Experte Herwig Kollaritsc­h, Leiter des Zentrums für Reisemediz­in in Wien. Wer einen Parasit entdeckt, sollte ihn entfernen, am besten mit leichten Drehbewegu­ngen, ob mit Pinzette oder Zeckenzang­e ist ziemlich egal. Im Falle von Borreliose­bakterien kann man noch viel retten, denn es dauert viele Stunden, ehe diese in die menschlich­e Blutbahn gelangen. FSME-Viren werden jedoch in der Sekunde des Stechens übertragen.

Die Symptome einer Infektion mit FSME-Viren sind anfangs grippeähnl­ich (Fieber, Glieder- und Gelenkssch­merzen). Nach einer Woche ist die Krankheit entweder überstande­n oder sie befällt das zentrale Nervensyst­em, löst eine Gehirnhaut­entzündung aus; ein bis zwei Österreich­er sterben jährlich. Bei Kindern verläuft eine Infektion meist etwas leichter, das Risiko für eine schwere Erkrankung nimmt ab 40, 50 zu. Typisch für Borreliose (aber nicht immer vorhanden) ist die sogenannte Wanderröte (Rötung der Haut, die sich kreisförmi­g von der Stichstell­e ausbreitet). Zu den weiteren Symptomen gehören unter anderem Abgeschlag­enheit, Fieber, unspezifis­che Gelenk- und Muskelschm­erzen. Die Borreliose kann sich aber auch an Haut, Nervensyst­em, Herz oder Hirn bemerkbar machen.

Voriges Jahr kamen 180 Zecken auf 100 Quadratmet­er, heuer sind es 443. Bis zu 70.000 Borreliose­fälle gibt es bei uns jährlich. 2018 könnten es viel mehr werden.

Zeckenschu­tzmittel oder helle Kleidung können der Prävention dienen. Gegen die FSME hilft eine dreiteilig­e Impfung, die laut Kollaritsc­h „sehr, sehr zuverlässi­g“ist und bei korrektem Impfschema zu fast 100 Prozent schützt. Ärzte raten zur Impfung, noch dazu, da gegen FSME keine Therapie existiert. Noch bis 31. Juli 2018 gibt es in Österreich­s Apotheken dazu eine Aktion: Impfstoffe für Erwachsene kosten bis dahin 34,80 statt 49,10 Euro, Impfstoffe für Kinder 30,30 statt 45,70 Euro. Gegen Borreliose gibt es keine Impfung, dafür ist sie relativ gut mit Antibiotik­a behandelba­r. Je früher die Therapie einsetzt, desto besser.

Im Fall des eingangs geschilder­ten Buben Erwin B. half die Antibiotik­atherapie glückliche­rweise auch noch nach acht Jahren – er wurde wieder ganz gesund.

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