Der Sommer der Zecken
Heuer kommen in unseren Breiten besonders viele der winzigen, blutsaugenden Milben vor. Schuld daran sind die milden Temperaturen, die Buchen und die Nager.
Von seinem dritten Lebensjahr weg wurde Erwin B. acht Jahre irrtümlich auf rheumatoide Arthritis behandelt und mit Rheumamedikamenten vollgepumpt. In Wahrheit war ein Zeckenstich schuld an seinen rheumaähnlichen Beschwerden. Auch die Alzheimerkrankheit, die bei einer 70-jährigen Wienerin diagnostiziert wurde, stellte sich als Folge eines Zeckenstichs heraus. Die Spinnentierchen hatten Bub und Frau eine Borreliose beschert. Sie kommt übrigens weit häufiger vor als die in der Bevölkerung bekanntere und ebenfalls von Zecken übertragene FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis).
Die Zahl von FSME-Fällen blieb in Österreich viele Jahre unter 100, 2017 betrug sie jedoch 116, Borreliosefälle gibt es hierzulande 50.000 bis 70.000 pro Jahr. Die Gefahr, dass es heuer weit mehr Erkrankungen durch Zeckenstiche geben könnte, ist nicht von der Hand zu weisen – 2018 könnte sich als Zeckenrekordjahr entpuppen: Kamen im vergangenen Jahr etwa 180 Zecken auf 100 Quadratmeter, so sind es heuer 443. Errechnet werden diese Zahlen durch ein Modell, das von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und dem Deutschen Zentrum für Infektionsforschung gemeinsam entwickelt wurde. Die Zeckenzahlen werden seit zehn Jahren dokumentiert, in diesem Zeitraum gab es noch nie so viele wie in diesem Jahr.
Gründe für die Populationsexplosion bei den Krabbeltieren sind unter anderem der eher milde Winter und das Buchenmastjahr. „Darunter versteht man, dass die Buchen sehr produktiv waren und sehr viele Eicheln und Bucheckern produzierten“, erklärt Georg Duscher, stellvertretender Leiter des Instituts für Parasitologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Viele Buchenfrüchte bedeuten mehr Nahrung für Nager, mit einem Plus an Nahrung vermehren sich auch die Nager – mehr Nager, mehr Zecken. Aktuelle Studie in Wien. Wer gestochen wird, kann die entfernte Zecke in ein Behältnis geben und damit zum Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie der Medizinischen Universität Wien gehen. Institutsleiter Hannes Stockinger: „Wir analysieren die Zecke auf Krankheitserreger und begleiten die Patienten auch therapeutisch.“Details gibt es unter www.meduniwien.ac.at/hai.
Zecken treten in ganz Österreich auf, nicht nur in Kärnten, sondern auch am Wiener Wilhelminenberg und auf dem städtischen Spielplatz. Nicht nur in Wäldern und auf Wiesen, sondern auch im eigenen Garten, in Parkanlagen oder auf der Donauinsel warten sie auf Beute. Nähert sich ein passendes Objekt, krallt sich der „gemeine Holzbock“blitzschnell an Mensch oder Tier an, ritzt mit seinen Kieferklauen eine Wunde in die Haut und sticht da sein Hypostom (Nahrungsrohr, Stechrüssel mit Widerhaken) durch. Damit das Opfer nichts spürt, wird mit dem Speichel eine Art Betäubung eingeleitet. Denn die Zecke bleibt für ihre Blutmahlzeit zwei bis zehn Tage an ihrem Wirt hängen. Wenn man sie lässt.
„Nach einem Spaziergang oder einer Wanderung sollte man Kind oder Partner immer auf Zecken absuchen“, rät Experte Herwig Kollaritsch, Leiter des Zentrums für Reisemedizin in Wien. Wer einen Parasit entdeckt, sollte ihn entfernen, am besten mit leichten Drehbewegungen, ob mit Pinzette oder Zeckenzange ist ziemlich egal. Im Falle von Borreliosebakterien kann man noch viel retten, denn es dauert viele Stunden, ehe diese in die menschliche Blutbahn gelangen. FSME-Viren werden jedoch in der Sekunde des Stechens übertragen.
Die Symptome einer Infektion mit FSME-Viren sind anfangs grippeähnlich (Fieber, Glieder- und Gelenksschmerzen). Nach einer Woche ist die Krankheit entweder überstanden oder sie befällt das zentrale Nervensystem, löst eine Gehirnhautentzündung aus; ein bis zwei Österreicher sterben jährlich. Bei Kindern verläuft eine Infektion meist etwas leichter, das Risiko für eine schwere Erkrankung nimmt ab 40, 50 zu. Typisch für Borreliose (aber nicht immer vorhanden) ist die sogenannte Wanderröte (Rötung der Haut, die sich kreisförmig von der Stichstelle ausbreitet). Zu den weiteren Symptomen gehören unter anderem Abgeschlagenheit, Fieber, unspezifische Gelenk- und Muskelschmerzen. Die Borreliose kann sich aber auch an Haut, Nervensystem, Herz oder Hirn bemerkbar machen.
Voriges Jahr kamen 180 Zecken auf 100 Quadratmeter, heuer sind es 443. Bis zu 70.000 Borreliosefälle gibt es bei uns jährlich. 2018 könnten es viel mehr werden.
Zeckenschutzmittel oder helle Kleidung können der Prävention dienen. Gegen die FSME hilft eine dreiteilige Impfung, die laut Kollaritsch „sehr, sehr zuverlässig“ist und bei korrektem Impfschema zu fast 100 Prozent schützt. Ärzte raten zur Impfung, noch dazu, da gegen FSME keine Therapie existiert. Noch bis 31. Juli 2018 gibt es in Österreichs Apotheken dazu eine Aktion: Impfstoffe für Erwachsene kosten bis dahin 34,80 statt 49,10 Euro, Impfstoffe für Kinder 30,30 statt 45,70 Euro. Gegen Borreliose gibt es keine Impfung, dafür ist sie relativ gut mit Antibiotika behandelbar. Je früher die Therapie einsetzt, desto besser.
Im Fall des eingangs geschilderten Buben Erwin B. half die Antibiotikatherapie glücklicherweise auch noch nach acht Jahren – er wurde wieder ganz gesund.