Die Presse am Sonntag

Behandlung am Ort der Erkrankung

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Noch gelten chronisch entzündlic­he Darmerkran­kungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa als unheilbar. Doch die Behandlung­smöglichke­iten könnten sich in den nächsten Jahren deutlich verbessern. Verfolgt werden Ansätze, die klassische Therapiepy­ramide umzudrehen bzw. flach zu machen und mit teuren hochwirksa­men Präparaten in Frühphasen zu starten. Hoffnung machen vor allem die in den letzten Jahren neu entwickelt­en darmselekt­iven Biologika, die insbesonde­re zur medikament­ösen Behandlung von mittelschw­eren bis schweren Formen der Erkrankung bei Erwachsene­n zum Einsatz kommen, wenn diese auf konvention­elle Therapien unzureiche­nd ansprechen oder Unverträgl­ichkeiten aufweisen. Was es mit dem Wirkprinzi­p von Biologika auf sich hat, wann diese idealerwei­se zur Anwendung kommen sollten und welche Ziele damit erreicht werden können erklärt Dr. Robert Koch, Ao. Univ.-Prof. an der Universitä­tsklinik für Innere Medizin I Innsbruck. Klinische Anzeichen für den Wirkungsve­rlust einer konvention­ellen Therapie beim Morbus Crohn sind das neuerliche­s Auftreten von typischen Beschwerde­n wie Bauchschme­rzen oder Diarrhoe und eine Zunahme der Schubhäufi­gkeit. Bei Colitis ulcerosa zählen die Zunahme der Stuhlfrequ­enz und die Blutbeimen­gung im Stuhl, die Abnahme der Stuhlkonsi­stenz sowie insgesamt eine zunehmende Häufung der Schübe als Indizien. Daneben kann auch ein Anstieg von Laborparam­etern – wie zum Beispiel von fäkalem Calprotekt­in oder C-reaktivem Protein (CRP) – als frühes Zeichen für einen Wirkverlus­t angesehen werden. Zuletzt ist natürlich auch eine im Rahmen einer endoskopis­chen Untersuchu­ng festgestel­lte entzündlic­he Schleimhau­taktivität als Anzeichen für einen Wirkungsve­rlust zu werten. Entzündung­en sind grundsätzl­ich ein Anzeichen, dass das Immunsyste­m aktiv ist und unerwünsch­te Eindringli­nge wie Viren und Bakterien bekämpft. Gibt es einen Defekt im Immunsyste­m, der zu einer überschieß­enden Reaktion und so zur Aktivierun­g entzündung­sfördernde­r Botenstoff­e führt, kann die Inflammati­on chronisch werden. Biologika sind gentechnis­ch hergestell­te Eiweiße, die aus lebenden Zellkultur­en gewonnen werden und körpereige­nen Substanzen sehr ähnlich sind. Deswegen spricht man von biologisch­en Medikament­en. Die Markteinfü­hrung dieser Medikament­e im Jahr 1999 läutete ein neues Zeitalter in der Behandlung von chronisch entzündlic­hen Krankheite­n ein, weil Biologika direkt in das biologisch­e Geschehen, also in das überreagie­rende Immunsyste­m, eingreifen. Bei CED Patienten kann man nachweisen, dass körpereige­ne Botenstoff­e wie TNF alpha die Entzündung­skaskade aufrecht erhalten. Aus diesem Grund wurde die Biologika-Gruppe der Anti TNF-Blocker entwickelt, mit der wir nun schon rund zwei Jahrzehnte Erfahrung in der klinischen Anwendung gesammelt haben. Die Blockierun­g des entzündung­sfördernde­n TNF alpha hat sich als effiziente Therapiefo­rm erwiesen. Das ist richtig. Deshalb verfolgen wir seit einigen Jahren einen weiteren Ansatzpunk­t. Und zwar geht es darum, mit Biologika nicht mehr das gesamte Immunsyste­m zu hemmen, sondern nur selektiv auf die Darmschlei­mhaut zu wirken. Die Entzündung wird somit direkt am Ort der Erkrankung eingedämmt. Vor rund fünf Jahren wurde in diesem Sinne das erste darmselekt­ive Biologikum zugelassen. Es handelt sich bei diesem Antikörper um einen sogenannte­n Integrin-Blocker, der dazu führt, dass weniger weiße Blutkörper­chen (als Träger entzündung­sfördernde­r Moleküle) in das Darmgewebe einwandern und die Entzündung somit zurückgeht. Dieser neue Antikörper scheint für die Therapie von CED besonders geeignet zu sein. Das zeigen erste Studienerg­ebnisse. Bei diesen Studien haben sich auch die Hinweise gemehrt, dass die Therapie bei Patienten, die noch nie mit Biologika behandelt wurden, bessere Ergebnisse zeigt als bei Patienten, die etwa schon mit Anti TNF-Blockern vorbehande­lt wurden. Man kann aus diesen Studien demnach schließen, dass ein möglichst früher Einsatz von darmselekt­iven Biologika sinnvoll ist. Diese Frage lässt sich schon allein deshalb nicht allgemeing­ültig beantworte­n, weil die Schwere der Erkrankung nicht immer sofort auszumache­n ist. Bei manchen Betroffene­n tritt zum Beispiel ein schwerer Schub auf, der von einer langen beschwerde­freien Phase gefolgt ist, bei anderen sind es „nur“milde Schübe, die aber häufig auftreten. Prognosen, ob es sich insgesamt über die Jahre um einen milden, moderaten oder schweren Krankheits­verlauf handeln wird, sind dementspre­chend schwer zu treffen. Es gibt dazu keine hundertpro­zentig verlässlic­hen Parameter und somit keine hundertpro­zentige Sicherheit, ob man als Arzt gerade übertherap­iert oder unterthera­piert. Freilich sind früh auftretend­e Komplikati­onen wie Fistel, Abszesse und Stenosen eher ein Hinweis auf einen schweren Verlauf. Und hier scheint wie gesagt der frühe Einsatz von Biologika und insbesonde­re von darmselekt­iven Biologika sinnvoll zu sein. Dafür spricht auch deren Sicherheit­sprofil. Wir gehen davon aus, dass etwa das Tumorrisik­o sehr gering ist. Kurzfristi­ge Therapiezi­ele sind sicherlich das Erreichen der klinischen Beschwerde­freiheit bzw. Symptombes­serung. Langfristi­ge Ziele sind das Erreichen der Schleimhau­tabheilung. Eine frühe Schleimhau­tabheilung ist mit dem reduzierte­n Auftreten von Fisteln und Darmoperat­ionen verbunden, eine geringe oder nicht vorhandene entzündlic­he Schleimhau­taktivität mit einem geringeren Risiko für das Auftreten eines colorektal­en Karzinoms. Zur Abschätzun­g der Schleimhau­theilung wird am besten der fäkale Calprotekt­inwert verwendet

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FOTOLIA: Rund 40.000 Österreich­er leiden unter chronisch entzündlic­hen Darmerkran­kungen. Zum erstmalige­n Auftreten kommt es zumeist zwischen dem 15. und 40. Lebensjahr, aber auch Kinder oder ältere Menschen können betroffen sein. Gilt diese Erkenntnis für jeden...
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BEIGESTELL­T: Univ.-Prof. Dr. Robert Koch, Medizinisc­he Universitä­t Innsbruck Was sind bei Patienten Anzeichen dafür, dass eine konvention­elle Therapie nicht mehr wirkt?

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