Aufbegehren gegen die Mafia
Die Mafia ist weit in das Alltagsleben der Italiener vorgedrungen. Was kann der Einzelne tun, um die organisierte Kriminalität zu bekämpfen?
Die Gasrechnung sei vor einiger Zeit gestiegen, er müsse das verstehen. „Aber das ist doch überall so, Amico“, sagt der kleine, etwas untersetzte Mann und macht dabei die typische Geste, die in jedem Mafia-Film dem Zuschauer zeigt, wer in dieser Szene gerade das Sagen hat: Die Handfläche nach oben, die Spitzen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger locker aufeinanderlegt, lässt er seine Hand auf Brusthöhe vor dem Körper ein paar Mal vor- und zurückschwingen. Die übrigen Beschäftigten des Handy-Ladens in der Innenstadt Palermos gehen derweil betont beiläufig weiter ihrer Arbeit nach. „Einmal aufladen bitte, mit 20 Euro.“Ob man hier auch nach einer Rechnung fragen sollte?
Der Kundenbetreuer tippt Zahlen in den Computer und murmelt etwas von ein wenig Geduld, das Schreiben werde nun ausgedruckt. „Nessun problema, kein Problem“, bietet sich doch so die Gelegenheit, dem realen Schauspiel in Hörweite unauffällig weiter beizuwohnen. Der Untersetzte hat seinem Gegenüber gerade betont freundschaftlich den Arm auf die Schulter gelegt, nimmt ihm, während er ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange gibt, die Geldscheine aus der Hand und verschwindet wieder. Nicht ohne ein: „Bis zum nächsten Mal“in den kleinen Ladenraum zu rufen, bevor er sich auf seinen direkt vor der Türe auf dem Gehweg geparkten Roller wuchtet und davonbraust.
„Das Phänomen der SchutzgeldErpressung ist leider noch immer weit verbreitet, auch wenn sich in den letzten Jahren einiges verbessert hat“, sagt Daniele Marannano. Der 33-Jährige schließt die Türe zu einem Palazzo auf. „Konfisziert von der Mafia durch die Stadt Palermo“steht auf einem Schild neben dem Eingang. Darüber prangt das Emblem des Vereins, der hier nun mietfrei und spendenfinanziert seiner Arbeit nachgeht. Der Name ist Programm: „Addiopizzo“heißt so viel wie „Auf Wiedersehen, Schutzgeld“. Die Anti-Mafia-Bewegung setzt sich für Händler und Unternehmer ein, die sich nicht erpressen lassen wollen, die sich wehren gegen eine in der Gesellschaft fest verankerte Kultur.
Mit der Gründung von Addiopizzo im Jahr 2004 wurde ein Tabu gebrochen. „Dass die Erpressung von Geschäften, Hotels oder Restaurants gang und gäbe war, wusste jeder. Nur gesprochen hat darüber niemand“, sagt Marannano. Am Anfang stand eine Nacht- und Nebelaktion: Aktivisten brachten an Schaufenstern der Palermer Geschäfte Aufkleber an: „Ein Volk, das Schutzgeld bezahlt, ist ein Volk ohne Ehre“, war darauf zu lesen.
Dabei ging es nicht darum, die Händler zu denunzieren, sondern jeden einzelnen Bürger an seine Verantwortung als Konsumenten zu erinnern. „Viele denken leider noch immer, der normale Bürger könne nichts gegen die Mafia ausrichten, der Kampf gegen das organisierte Verbrechen sei ausschließlich Sache von Behörden und Polizei“, sagt Marannano und schiebt sofort hinterher: „Aber das ist falsch. Kritischer Konsum ist schon mal ein guter Weg, sich einzumischen.“Heute klebt ein runder orangener „Addiopizzo“-Aufkleber an rund 1000 Geschäften in Palermo und Umgebung. An der Eingangstür zu dem Handyladen auf der Via Maqueda ist er nicht zu finden. Netz der Solidarität. „Wir sind etwa 40 Mitarbeiter. Eine Gruppe aus Rechtsanwälten, Psychologen und auch Händlern, die in der gleichen Situation waren und nun anderen beistehen“, erklärt Marannano das Konzept. „Den Betroffenen leisten wir nicht nur Beistand bei der Polizei und vor Gericht, wir kreieren auch ein Netz der Solidarität, damit derjenige, der diese immer noch schwierige Entscheidung trifft, nicht alleingelassen und isoliert wird.“
Allein fühlt sich Paolo Borrometi nie. Isoliert schon. Eine Entscheidung musste auch er einmal treffen. Zwei stämmige Typen stehen links und rechts von ihm, als der 35-Jährige auf einer kleinen Piazza im Herzen Roms vor einem Cafe´ auf seine Verabredung wartet. Borrometi stammt aus Sizilien, ist in Ragusa geboren, in Modica aufgewachsen. Nach Rom ist er nicht freiwillig gezogen. Drei weitere Männer haben sich etwas weitläufiger um die Tische und Stühle verteilt und behalten den Platz im Auge.
Der Autor und Journalist recherchiert hauptsächlich über die Mafia (siehe Interview oben). Durch seine Arbeit konnten bereits einige Mafiosi hinter Gitter gebracht werden. Auch nach heftigen Drohungen und Prügelattacken stellte er seine Erkundungen nicht ein. Doch seinen Einsatz bezahlt er mit seiner Freiheit. Seit fünf Jahren ist eine Eskorte von fünf Sicherheitskräften rund um die Uhr an seiner Seite. Borrometi ist neben dem Gomorrha-Autor Roberto Saviano der am meisten bedrohte Journalist Italiens. Im April sollte eine Autobombe ihn mitsamt seinen Begleitern in Stücke reißen. Erst kurz vor der Durchführung waren die Pläne aufgeflogen.
Das Problem liege viel tiefer als die bloße Existenz der Mafia als kriminelle Organisation, sagt Borrometi. „Es ist die mafiöse Kultur, die so unterschwellig im ganzen Land verbreitet ist.“Er zwinkert quasi im Sekundentakt, während er spricht, genau so schnell füllt sich der Aschenbecher neben ihm. „Zum Beispiel geht es bei der Arbeitssuche nicht darum, ob und was du studiert hast, sondern dass du den Richtigen um eine Empfehlung bittest.
Oder bei der Post: Da ziehen die einen eine Nummer und warten, andere aber kennen den Angestellten hinter dem Tresen und schieben sich an der Schlange vorbei. Und das wird alles hingenommen.“Die Italiener hätten sich daran gewöhnt, sich umzudrehen und die Augen zu verschließen, sagt Borrometi. „Darum ist die Arbeit von Vereinen wie „Addiopizzo“so fundamental, denn sie schaffen vor allem eines: Ein anderes Bewusstsein.“
Viele denken noch immer, der Kampf gegen die Mafia sei allein die Sache der Behörden. »Es ist die mafiöse Kultur, die so unterschwellig im ganzen Land verbreitet ist.«