»Jochanaan ist nicht pervers«
Romeo Castellucci inszeniert das Musikdrama »Salome« bei den Salzburger Festspielen. Ein Gespräch über die dunkle Macht eines Propheten und die nackte Kraft einer jungen Frau.
Der Regisseur gibt sich eine Woche vor der Premiere der „Salome“am 28. Juli immer noch recht verschlossen, wenn es um den Kopf des auf Wunsch der Titelheldin enthaupteten Propheten Joachanaan geht. „Über den sagen wir nichts!“, erwidert Romeo Castellucci auf die entsprechende Frage. Bereits zuvor hatte der italienische Theaterstar angedeutet, dass seine straffe Inszenierung an sich unblutig sein solle. Nun klärt er im Gespräch auf der Presseterrasse der Salzburger Festspiele hoch über der Stadt zumindest im Ansatz, was er mit dieser gereinigten Fassung meint: „Ein Kopf wird da sein, abgeschlagen vom Körper.“Das Blut aber werde vor Beginn der Handlung vom Metallboden weggewaschen, „Ursache und Wirkung werden umgedreht“.
Hermetisch soll auch das Bühnenbild für die von Richard Strauss nach einem Libretto von Oscar Wilde komponierte, von konservativen Geistern skandalisierte Oper sein, die 1905 in Dresden uraufgeführt, aber zeitgleich in Wien von der Zensur wegen „Beleidigung der Sittlichkeit“untersagt wurde.
Castellucci beginnt, vom Stein und von Edelsteinen zu schwärmen: „Ich habe die Arkaden der Felsenreitschule verschlossen, es ist also wieder ein Berg.“So werde die Idee des Erstickens ausgedrückt. „Gewicht und Kälte spielen wieder eine Rolle.“(Am Ende wird die Prinzessin durch die Schilde von Soldaten erdrückt, ihr Stiefvater, der jüdische Tetrarch Herodes Antipas, auf dessen Drängen sie getanzt, von dem sie als Belohnung den Kopf des Propheten gefordert hat, befiehlt schließlich: „Man töte dieses Weib!“) Stein und Kälte genügen Castellucci, mehr Bühnenbild hat für ihn keinen Sinn: „Es ist ein intimes Stück.“Ideen seien wichtiger als Bilder, sagt das Multitalent für Regie, Bühne, Kostüme und Licht, das von manchen Kritikern wohl auch deshalb als Bildmagier bezeichnet wird. Und widerspricht höflich der Punzierung: „Das Kompliment bedrückt mich etwas.“ Der Mond ist da. Aber wird es wenigstens einen Mond geben in dieser kargen Inszenierung, ob nun bleich oder rot? „Der Mond ist da und eine sehr wichtige Figur in der Oper“, bejaht Castellucci auf die Frage der „Presse“. Luna und Jochanaan in der Zisterne „sind die vertikalen Elemente. Zusammen sind sie eins. Ihr Verhältnis zu Salome ist wichtig. Auch sie wird als Mond dargestellt. Man kann diesen Mond sehen. Wir halten uns an den Text von Wilde. Sämtliche Rollen hier sind komplex.“Besonders schwierig sei neben dem Dialog der Salome mit dem enthaupteten Kopf – „einer Szene voll biblischer Gewalt“– der Schleiertanz: „Er ist extrem wichtig.“Herodes gehe mit seinem Wunsch nach diesem Tanz eine Verpflichtung ein, er sei auch ein sexuelles Angebot. „Salome erlangt Macht, sie wird zur Königin. Zugleich ist ihr Angebot eine Falle. Die Idee dabei ist eher ein innerer Prozess, er passiert in ihrem Körper. Salome wird zu Stein, zu einem Edelstein, zu einem nicht zu penetrierenden Sexualobjekt.“
Diese junge Frau, voll tellurischer, nackter Kraft und anfangs fast noch ein Kind, sei heute eine ganz andere als jene in der Bibel oder der Dekadenz bei Strauss und Wilde. „Sie ist eine Bedingung des Geistes“, sagt Castellucci, ein Prisma mit unzähligen Facetten. Man laufe hier dem Tod entgegen, über das Lustprinzip hinaus. Castelluc- ci ermuntert dazu, sich in einer Paraphrase ein Beispiel an Flaubert zu nehmen, der gemeint habe, er sei Madame Bovary: „Ich bin Salome“, solle man denken, um sich in den Abgrund des Begehrens zu stürzen. „Das Schöne am Theater ist die Erforschung des Unbekannten. Man muss dabei vermeiden, ins Klischee zu fallen.“Das falle bei dem „ikonischen Charakter mit Kultstatus“allerdings schwer. Der Regisseur schwärmt von Asmik Grigorian in der Titelrolle: „Die Salome zu verkörpern verlangt von einer Sängerin enorme psychische Kraft. Grigorian bringt auch Privates in diese Rolle hinein.“Es brauche dafür eine solche Interpretin. „Salome ist nicht nur eine Oper, sondern ein Theaterstück, ein Kunstwerk.“ Musik als Wunde. Und Jochanaan? Ist er für den Regisseur der perverseste unter all diesen perversen Figuren, wie Strauss einmal angemerkt hat? Nein, er ist überhaupt nicht der Meinung des Komponisten: „Jochanaan ist eine dunkle Macht, er ist nicht pervers, seine Sprache kommt aus einer anderen Welt, es ist die eines Fremden.“Sie erschließe Salome eine neue Welt, eine Fluchtmöglichkeit. Und wer ist wirklich pervers in diesem Drama? „Das ist wohl Herodias“– die Königin und Mutter der Salome. Es gebe hier aber keine normale Person, außer vielleicht den Soldaten. „Jeder hier wird getrieben, dieses Drama wurde mit der Axt gemeißelt.“Ein ähnliches Bild hat er auch für die Musik. Sie müsse uns wie eine Klin-
1960
wurde Romeo Castellucci in Cesena (Italien) geboren. Er studierte Malerei und Bühnenbild an der Akademie in Bologna. 1981 gründete er mit Claudia Castellucci und Chiara Guidi das Theaterkollektiv Soc`ıetas Raffaello Sanzio. In seinen vielen Produktionen wirkt er als Autor, Regisseur, Bühnenund Kostümbildner sowie Lichtdesigner.
Am 28. Juli
hat unter Castelluccis Regie bei den Salzburger Festspielen „Salome“in der Felsenreitschule Premiere (20 Uhr). Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst. Es spielen die Wiener Philharmoniker. Titelrolle: Asmik Grigorian. Jochanaan: G´abor Bretz, Herodes: John Daszak, Herodias: Anna Maria Chiuri. ge durchdringen, wie eine Wunde wirken: „Durch sie findet man Eingang zu einem bestimmten Gefühl. Strauss verursacht eine klaffende Wunde.“
Und wie hält er es mit der Religion, die im Text eine große Rolle spielt? Castellucci: „Sie ist wichtig, ein Kontrastelement. Das Drama spielt zur Zeit Jesu, unter der Herrschaft der Römer in Judäa. Salome ist der Antikörper zu diesen reduzierten Elementen. Natürlich ist das ein wunderbarer Konflikt.“Und Jochanaan hält er für wundervoll:. „Er ist das Schwarze, der notwendige Schatten. Aber es handelt sich um kein religiöses Stück, bei Strauss und Wilde ist es eher eine Verspottung von Religion, eine Karikatur.“Man müsse also besonders auch hier darauf achten, nicht in Klischees zu verfallen.
»Man läuft hier dem Tod entgegen, über das Lustprinzip hinaus.« »Als Künstler muss man dem Skandal Raum geben. Er ist notwendig für die Kunst.«
Was ist für Castellucci heute noch schockierend an „Salome“? Er unterscheidet zwischen Skandal und Provokation: „Als Künstler muss man dem Skandal Raum geben, das hat nichts mit Provokation zu tun. Er ist in uns. Ich mag die Bedeutung des griechischen Wortes – der Stein des Anstoßes. Der ist notwendig für die Kunst. Die Provokation hingegen ist bloß eine kommerzielle Strategie. Sie ist also das Gegenteil eines Skandals.“