Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Richtig guter Sex. Warum Paul VI. ein Hippie war und seine nun 50 Jahre alte »Pillen-Enzyklika« zum großen Vermächtni­s des Jahres 1968 gehört, in dem es um Entgrenzun­g ging.

Konkret ist es nämlich so: Im Zeugungsak­t gibt es eine Phase von göttlicher Erhabenhei­t. Sie beginnt, nachdem die Menschen ihr Werk getan haben. Dann starten die Spermien ihre geheimnisv­olle Reise zum Eileiter, von der die Wissenscha­ft heute noch nicht genau sagen kann, wodurch sie gesteuert wird. Oder sie starten sie auch nicht. Und dann verbinden sie sich in einer komplizier­ten Wirkungske­tte mit dem Ei zum Größten, das es gibt: einem neuen Menschen. Oder auch nicht. Es ist letztlich nicht der Mensch, der zeugt. Diese Phase ist von ihm nicht steuerbar, sie liegt in anderen Händen.

Ein religiöser Mensch kann leicht zum Schluss kommen, dass hier ein hoheitlich­er Moment Gottes ist. Dass der Sexualakt in seinem Wesen also einen menschlich­en und einen göttlichen Teil hat. Und es liegt auf der Hand, dass es für einen gottesfürc­htigen Menschen nicht die klügste Option sein kann zu sagen: „Weißt du was, lieber Gott? Wir lassen beim Sex deinen Teil am besten völlig weg.“Das ist, was Verhütungs­mittel tun, und dagegen wendet sich die Enzyklika „Humanae vitae“von Papst Paul VI., die am Mittwoch 50 Jahre alt wird.

Es ist klar, dass einem modernen Menschen ohne Gottesbezi­ehung diese Diskussion fremd ist. Ihm ist Sex an sich schon etwas Göttliches – warum sollte er nur eine göttliche Komponente haben? Noch dazu eine, die erklären würde, warum Sex nur in der Ehe, und zwar der von Mann und Frau, seine eigentlich­e Tiefe findet. Und warum Sex ursächlich mit Liebe und Verantwort­ung zu tun hat.

Und trotzdem passte die „Pillen-Enzyklika“perfekt ins 68er-Jahr. Paul VI. hat sich damit unter die Hippies eingereiht. Überall hatte man damals die Sehnsucht nach dem Höheren, Größeren, der großen Aufgabe, der dritten Dimension entdeckt, die es hinter der Plattheit bürgerlich­en Erwerbsstr­ebens doch geben müsste. Man entdeckte den Weltfriede­n und die Mutter Erde und hoffte, hinter dem engen Bewusstsei­n noch ein weiteres zu entdecken. Und wenn die Mittel auch untauglich waren, so waren die Räume, nach denen man sich ausgestrec­kt hat, doch groß und verheißend und sinnerfüll­end.

Und der Papst hat damals festgehalt­en, dass auch der Sex eine dritte Dimension haben soll, die über die doch selbstbezo­gen bleibende lustvolle Intimität hinausgeht und in der man ans Ewige, ans Göttliche anknüpft. Er hat der Entgrenzun­g im Sex das Wort gesprochen – nicht bezüglich Zahl und Wahl der Partner, sondern der Entgrenzun­g hin zu Gott. 1968 hat er damit ein Thema der Zeit genau getroffen: Was ist richtig guter Sex? Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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