»Mit Lagerfeld bin ich immer noch per Sie«
Die gebürtige Kärntnerin Brigitte Winkler ist Österreichs erfahrenste Modekritikerin. Gerade wurde die 71-Jährige zur Professorin ernannt. In ihrem Büro in der Wiener Künstlergasse erzählt sie, wie sie vom Lehrberuf zum Journalismus kam, über ihre Freunds
Was wollten Sie als junge Frau werden? Brigitte Winkler: Meine Eltern haben mich sehr geprägt. Meine Mutter war Lehrerin, mein Vater Jurist. Ich hatte eine wunderbare Kindheit auf einem Bauernhof am Stadtrand von Wolfsberg (Kärnten, Anm.) und viel Freiheit. Aber ich hatte lange keine Ahnung, was für Berufe es auf der Welt gibt. Dass man zum Beispiel fürs Tennisspielen bezahlt wird, wusste ich nicht. Für mich hat es nur Tischler, Schneider, Schuster, Lehrer und Juristen gegeben. Ich habe meine Mutter geliebt, also bin ich Lehrerin geworden. . . . und für welches Fach? Zuerst habe ich die Lehrerbildungsanstalt besucht und dann an der Uni in Wien Mathematik und Physik studiert, weil mich die Physik so interessiert hat. Aber ich musste feststellen, dass ich in der Schule zu wenig Mathematik gelernt hatte. Das Wort „Integral“hatte ich noch nicht gehört. Nach einem Jahr wusste ich, das geht sich nicht aus. Dann habe ich Deutsch und Kunstgeschichte inskribiert. Sie haben wirklich ein paar Jahre als Lehrerin gearbeitet. Wie kam es zum Wechsel in den Journalismus? Ich habe an der Talmud-Tora-Schule unterrichtet, auch weil meine Mutter gestorben war und ich zu Geld kommen musste. Und nebenbei habe ich für die SPÖ Belangsendungen geschrieben. Für eine Sendung mit zwei Minuten Länge habe ich 500 Schilling bekommen. Von meinem Vater bekam ich früher 1000 Schilling für das ganze Monat. Bei einer Veranstaltung wollte ich vom Zuständigen mehr Aufträge als einen im Monat. Der wollte mich nur loswerden und hat gesagt: „Da drüben steht der John (* Rudolf, Journalist, Anm.) vom „Kurier“, fragen Sie doch den, ob er einen Job für Sie hat.“Ich hab’ den John angesprochen und der hat wirklich gerade wen gesucht für die neue Frauenseite im „Kurier“. So eine Seite ist heute in einer Zeitung nur schwer vorstellbar. Wie sah die genau aus? Wir waren zu dritt. Die Chefin war Mutter und verheiratet, eine Kollegin hat die Mode gemacht und ich war die Emanze. Mir war es immer wichtig, selbst zu arbeiten und mich für Frauenrechte einzusetzen. Die Seite gab es aber nicht lang. Ich habe sie dann später sogar geleitet. Aber die Geschichten sollten dann in der ganzen Zeitung aufgehen. Ich fand es super, dass die Frauenseite sich selbst aufgelöst hat. Schon davor ist die Kollegin, die die Mode gemacht hat, nach Deutschland gegangen und man hat mich gefragt, ob ich das Thema übernehmen will. Und ich wollte! Von feministischen Kolleginnen konnte ich mir aber was anhören dafür: „Du kannst doch nicht Mode machen“, haben sie gesagt. Ich fand, es kommt doch darauf an, wie man das angeht. Nur in Wien über Mode berichten, wurde mir bald zu wenig. Also bin ich zu meinem Chef gegangen und hab’ gesagt: „Ich will wissen, wo die Mode herkommt. Ich möchte nach Paris.“Und er hat mich mit einem Fotografen wirklich fahren lassen. Meine erste Schau in den Tuilerien war von Yves Saint Laurent. Aber ich weiß nicht mehr, wie wir es dort ohne Einladung hineingeschafft haben. Ich seh’ die Bilder vor mir, wir haben Fotos als Beweis, aber wie ich da reingekommen bin, das hab’ ich verdrängt. Für mich war das ein überirdisches Erlebnis, das nichts mit dem zu tun hatte, was ich bisher aus Wien kannte.
Brigitte Winkler,
geb. am 21. Juli 1947 in Wolfsberg (Kärnten). Abschluss an der Lehrerbildungsanstalt in Klagenfurt, ab 1966 Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Wien. Parallel dazu beginnt sie als Lehrerin zu arbeiten, sowohl an der Talmud-Thora-Schule wie an der Maturaschule Roland.
1977.
Mehr durch Zufall bekommt sie eine Stelle beim „Kurier“und baut dort die „Frauenseite“mit auf. Zuerst ist sie für feministische Themen, später auch für Mode zuständig. 1985 wird die Frauenseite aufgelöst, Winkler bleibt dem Thema Mode treu, reist zu den Modeschauen in aller Welt.
Winkler
schreibt bis zu ihrer Pensionierung vor allem im „Kurier“über Mode, seit der Pensionierung dort sowie im Magazin „Flair“. Seit 1995 lehrt sie an verschiedenen Modeschulen, seit 2009 unterrichtet sie an der Angewandten in Wien und der Kunstuniversität in Wien. Am 12. Juli wurde ihr der Berufstitel „Professorin“verliehen. Die Laudatio hielt Helga Rabl-Stadler. Apropos Vorwürfe. Es gibt viele Vorurteile über die Modebranche. Sie wird z. B. gerne als oberflächlich bezeichnet. Stimmt das? Die Oberflächlichkeit, der Glamour ist Teil der Mode. Er gehört dazu, aber zuallererst ist Mode ein Kulturgut. Es geht immer um Fragen wie: Warum ziehen wir uns wie an? Woher kommen Stil und Farben? Nur der Modeschöpfer, der vorausfühlen kann, wie es den Frauen morgen geht, was der Mann übermorgen will, ist erfolgreich. Mode kann Gesellschaft verändern. Lange galt die Frau als Schmuckstück des Mannes, sie musste sich aufputzen, um ihn schön zu machen. Nicht sie war schön, sondern er war durch sie noch schöner. Von diesem Korsett hat uns schon Coco Chanel in den 1920er-Jahren befreit. Danach kamen Dutzende Designer mit politischen Statements. Karl Lagerfeld ließ 2014 alle Models in Sneakers auftreten. Ich habe ihm damals Backstage gesagt: „Danke, dass Sie uns das erlauben.“ Sie sind mit Lagerfeld immer noch per Sie? Ja, leider ( lacht). Sein Name fällt eigentlich immer, wenn es um Brigitte Winkler geht. Er steht auch hier in Ihrem Büro als Puppe. Was ist das für eine Verbindung zwischen Ihnen? Von meiner Seite ist es tiefste Bewunderung für seine mehr als 50 Jahre dauernde Arbeit. Er nimmt Dinge vorweg, schafft Neues. Das imponiert mir. Wie lange hat es gedauert, bis Lagerfeld genau wusste, wer Sie sind? Ich habe mir das ziemlich schwer erarbeitet, weil Österreich als Modemarkt unbedeutend war und ja teils bis heute noch ist. Klimt, Schiele und das Kunsthistorische Museum haben mir dabei sehr geholfen ( lacht). Ich habe oft nach den Shows die richtigen Bemerkungen gemacht. Versace ( Gianni, 1946–1997, Anm.) hat mich einmal freudig umarmt und gesagt: „Genau darum ist es mir gegangen.“Oder der leider auch schon verstorbene Franco Moschino ( 1950– 1994, Anm.). Dem habe ich einmal Mozartkugeln mitgebracht und dann sind wir locker ins Gespräch gekommen, weil ihm meine Fragen gefallen haben. Es heißt, Sie sind mit dem österreichischen Designer in Ruhe, Helmut Lang, befreundet. Wie sieht diese Freundschaft aus? Ich kannte ihn schon aus seiner Zeit in Wien, aber da habe ich ihn nicht verstanden, zum Beispiel diese weißen Unterleiberln, die er damals schon hatte und die heute alle tragen. Verstehen gelernt habe ich ihn erst in Paris, dort hat auch unsere Freundschaft begonnen. Dann ist er nach New York gezogen und weil ich eine Schwester dort habe, gibt es Gelegenheiten, ihn zu treffen. Aber Helmut ist immer auf den richtigen Zeitpunkt bedacht – das ist auch bei unseren Treffen so. Ich muss darauf warten, bis er mich sehen will. Aber das mach’ ich gerne. Sie sagen: „Mode, die sich zu ernst nimmt, ist lächerlich.“Was heißt das genau? Wo die Mode herkommt, was sie ausdrückt, ist wichtig. Aber Kleidervorschriften sind passe.´ Früher durften Frauen keine Hosen tragen. Als Marlene Dietrich plötzlich Hosen getragen hat, war das eine Revolution. Auch der Minirock war ein politisches Statement: „Ich zeige meine Beine, so viel ich will, und du hast mich nicht zu vergewaltigen.“Bis heute beziehen sich gewisse Kleidungsstücke auf eine lang geübte Ordnung. Der erste Bankdirektor, der mir mit Stöckelschuhen und Minirock entgegenkommt, dem vertraue ich. Der braucht sich nicht mehr hinter Anzug und Krawatte zu verstecken. Dieses Verständnis musste ich mir aber erst erarbeiten. . . . was Ihre größte modische Sünde ist? Meine Undiszipliniertheit. Schauspielerin Sunnyi Melles hat mir einmal gesagt, für sie hat Mode etwas mit Disziplin zu tun. Das mag sein. Ich habe sie nicht. T-Shirt, Hose, aus. Mehr geht bei mir nicht. . . . ob Sie Feinde in der Branche haben? Es gibt natürlich Leute, die mich nicht mögen. Aber damit setze ich mich nicht ernsthaft auseinander. Dafür habe ich keine Zeit. ... ob Sie streng sind, wenn es um Kleidung anderer geht? Gar nicht. Entweder man zieht sich modisch an – oder so, wie es einem gefällt. Manchmal deckt sich das und manchmal eben nicht. Ich selbst halte nicht viel von Dresscodes. In meiner Schulzeit trug ich bei einem Konzert einen karierten Rock, der Philosophieprofessor war empört, dass ich nichts Dunkles anhatte. Ich habe gesagt: „Glauben Sie, die spielen besser, wenn ich etwas anderes anhabe?“Ich bekam dann eine „Zwei“in Philosophie. Sie sind 71, seit einigen Jahren pensioniert. Aber Ihr Arbeitspensum wurde nicht weniger, oder? Ich erfülle alle Klischees einer Pensionistin. Ich habe überhaupt keine Zeit mehr. Ich schreibe seit meiner Pension für das Magazin „Flair“, immer noch frei für den „Kurier“und unterrichte. Mitte Juli haben Sie den Titel Professorin verliehen bekommen. War die Ehrung wichtig für Sie? Es ist eine Bestätigung dafür, dass ich etwas richtig gemacht habe. Mir geht es nicht um den Titel. Ich habe mir gerade frische Visitenkarten drucken lassen und den Titel weggelassen. Aber die Anerkennung freut mich. Wie groß ist eigentlich Ihr Kleiderkasten? Meine Uniform sind T-Shirts und Hosen. Ich kaufe mir Kleidungsstücke, weil ich sie bewundere. Es gibt durchaus Dinge, die ich mir gekauft habe, aber niemals anziehen würde. Und dann habe ich ein paar teure Stücke, die ich bis heute trage, zum Beispiel einen Anzug von Issey Miyake, der 11.000 Schilling gekostet hat. Sie haben ein Leben lang für den Beruf gelebt. War das eine bewusste Entscheidung gegen Familie oder ist das passiert? Ich hab’ mich nicht dagegen gewehrt. Wenn ich schwanger geworden wäre, wäre das passiert. Ich war vier Jahrzehnte lang mit einem Mann zusammen, mit dem ich heute noch eng befreundet bin. Ich liebe Kinder. Aber ich bewundere jede Frau, die es schafft, neben der Arbeit einen Mann und Kinder unterzubringen. Die Modewelt ist meine Familie. Der Raf Simons ( belgischer Designer, Jahrgang 1968, Anm.) ist wie ein Kind für mich. Und der Arthur Arbesser (Österreicher, Jahrgang 1982, Anm.) und seine Generation sind schon wie meine Enkel.