»...ein Freund ist fort.«
So positive Worte, wie Agnelli-Clanoberhaupt John Elkann zum Abschied von Sergio Marchionne fand, hatten zu Lebzeiten des Fiat-Sanierers nicht alle Menschen für ihn übrig.
„Wenn Apple den Drang verspürt, ein Auto zu bauen, dann lautet mein Rat: Sich einfach hinlegen und warten, bis das vorbeigeht.“
Launig bis zynisch teilte Sergio Marchionne bei Pressekonferenzen und Interviews gern aus – nicht immer unter Beifall. Allerdings behielt er auch in diesem Fall recht, wie so oft: Die Idee eines Apple-Autos ist inzwischen Makulatur.
Vorgeworfen wurde dem Fiat-Boss vielfach, kein „car guy“zu sein, sondern vor allem Zahlenmensch und kalter Rechner. Nicht unbegründet, gemessen an vielen seiner Entscheidungen.
Das Meucheln von Ikonen bereitete ihm keine Schwierigkeiten, obwohl er mit dem Aus für Lancia tatsächlich nur einen Todeskampf beendete, der lang vor seinem Engagement im Konzern seinen Lauf genommen hatte. Als Ferrari-Lichtgestalt Luca di Montezemolo betreffend der SUV-Pläne allzu vernehmlich klagte, Marchionne wolle unter dem heiligen Zeichen des springenden Pferdes „einen Lastwagen“bauen, da war auch er Geschichte. Manager mit Philosophie. Ebenso war das Einstampfen des bereits fertigen Nachfolgers für den Alfa Romeo 159 eher eine Entscheidung aus wirtschaftlichem Weitblick, denn von Herzen: Man müsse den Kunden etwas anderes bieten, als einen „Italo-Audi“, wie der Chef das seiner Meinung nach misslungene Auto nannte. Der Neustart des gesamten Projekts brachte die aktuelle Giulia hervor, ein unbestreitbares Genesungssymbol der Marke.
Mit Abschlüssen in Philosophie, Wirtschaft und Jura war Marchionne eine effiziente Mischung aus universell gebildetem Intellektuellen und durch- griffsfreudigem Manager, der sich auch Ferdinand Piechs¨ Gelüste nach Alfa Romeo unterordnen mussten. Oder die italienischen Gewerkschaften, denen der Fiat-Chef tatsächlich ein Bonus/ Malus-Modell für Leistung abverhandelte. In der Turiner Zentrale drängte er Bürokratie, Günstlings- und Vetternwirtschaft zurück, mit denen sich der Konzern bei der Übernahme des vormaligen Staatsbetriebs Alfa Romeo infiziert hatte. Andernfalls wäre Marchionne auch bereit gewesen, den Firmensitz ins Ausland zu verlegen, um den Filz zu entwurzeln, was in etwa einer Absiedelung des Papstsitzes aus dem Vatikan entsprochen hätte.
Der manchmal gar beamtenhaften Unbeweglichkeit des Fiat-Apparates begegnete der Chef mit außergewöhnlichen Mitteln. Dass es etwa vom letzten Flaggschiff der Marke,dem Lancia Markenzeichen Wollpullover: Sergio Marchionne, 1952–2018. Thema, eine Allrad-Variante geben würde, erfuhren die Produktplaner aus dem Fernsehen – Marchionne ließ es ihnen bei einer Pressekonferenz ausrichten.
Legendär sein unkonventionelles Auftreten bei den Verhandlungen um die Opel-Übernahme 2009 in Berlin. Regierungstermin, Marchionne im dunkelblauen Wollpullover, Händeschütteln mit einem Packen loser Papiere unterm Arm – die Gesichter von Merkel und Finanzminister Guttenberg: unbezahlbar!
Statt Fiat-Opel kam schließlich Fiat-Chrysler, mit dessen gelungener Sanierung Marchionne die Prognosen sämtlicher Experten blamierte. Zuletzt im Juni dieses Jahres durch die Bekanntgabe der Schuldenfreiheit – ein in der ganzen Branche einmaliger Zustand. Dass es das Abschiedsgeschenk eines der letzen Generalisten an einer Konzernspitze sein würde, ahnte niemand. In Zeiten, wo Vorstandssitzungen zunehmend in Gefängnishöfe verlegt werden müssen, war Marchionne ein nachhaltiger Gegenentwurf zur blind-gierigen Erfolgshetzerei.
Allein sein Verhältnis zu Journalisten war der eingangs erwähnten Launigkeit wegen ambivalenter Natur. Die lapidare Frage eines deutschen Kollegen nach der Wiederauferstehung Lancias wurde zum Running Gag jeder Pressekonferenz, auf den sich Marchionne immer humorig einließ.
Auf allzu besserwisserische Fragen reagierte er zum Entsetzen seiner PRAbteilung aber oft patzig, was ihm mehr kritische Presse einbrachte, als an seinen Erfolgen gemessen angebracht war. Gestört hat ihn das kaum. Ein Freund, das wusste Marchionne zweifellos, sagt eben, was er sich denkt und nicht, was man hören will.