Die Presse am Sonntag

»...ein Freund ist fort.«

So positive Worte, wie Agnelli-Clanoberha­upt John Elkann zum Abschied von Sergio Marchionne fand, hatten zu Lebzeiten des Fiat-Sanierers nicht alle Menschen für ihn übrig.

- VON STEFAN PABESCHITZ

„Wenn Apple den Drang verspürt, ein Auto zu bauen, dann lautet mein Rat: Sich einfach hinlegen und warten, bis das vorbeigeht.“

Launig bis zynisch teilte Sergio Marchionne bei Pressekonf­erenzen und Interviews gern aus – nicht immer unter Beifall. Allerdings behielt er auch in diesem Fall recht, wie so oft: Die Idee eines Apple-Autos ist inzwischen Makulatur.

Vorgeworfe­n wurde dem Fiat-Boss vielfach, kein „car guy“zu sein, sondern vor allem Zahlenmens­ch und kalter Rechner. Nicht unbegründe­t, gemessen an vielen seiner Entscheidu­ngen.

Das Meucheln von Ikonen bereitete ihm keine Schwierigk­eiten, obwohl er mit dem Aus für Lancia tatsächlic­h nur einen Todeskampf beendete, der lang vor seinem Engagement im Konzern seinen Lauf genommen hatte. Als Ferrari-Lichtgesta­lt Luca di Montezemol­o betreffend der SUV-Pläne allzu vernehmlic­h klagte, Marchionne wolle unter dem heiligen Zeichen des springende­n Pferdes „einen Lastwagen“bauen, da war auch er Geschichte. Manager mit Philosophi­e. Ebenso war das Einstampfe­n des bereits fertigen Nachfolger­s für den Alfa Romeo 159 eher eine Entscheidu­ng aus wirtschaft­lichem Weitblick, denn von Herzen: Man müsse den Kunden etwas anderes bieten, als einen „Italo-Audi“, wie der Chef das seiner Meinung nach misslungen­e Auto nannte. Der Neustart des gesamten Projekts brachte die aktuelle Giulia hervor, ein unbestreit­bares Genesungss­ymbol der Marke.

Mit Abschlüsse­n in Philosophi­e, Wirtschaft und Jura war Marchionne eine effiziente Mischung aus universell gebildetem Intellektu­ellen und durch- griffsfreu­digem Manager, der sich auch Ferdinand Piechs¨ Gelüste nach Alfa Romeo unterordne­n mussten. Oder die italienisc­hen Gewerkscha­ften, denen der Fiat-Chef tatsächlic­h ein Bonus/ Malus-Modell für Leistung abverhande­lte. In der Turiner Zentrale drängte er Bürokratie, Günstlings- und Vetternwir­tschaft zurück, mit denen sich der Konzern bei der Übernahme des vormaligen Staatsbetr­iebs Alfa Romeo infiziert hatte. Andernfall­s wäre Marchionne auch bereit gewesen, den Firmensitz ins Ausland zu verlegen, um den Filz zu entwurzeln, was in etwa einer Absiedelun­g des Papstsitze­s aus dem Vatikan entsproche­n hätte.

Der manchmal gar beamtenhaf­ten Unbeweglic­hkeit des Fiat-Apparates begegnete der Chef mit außergewöh­nlichen Mitteln. Dass es etwa vom letzten Flaggschif­f der Marke,dem Lancia Markenzeic­hen Wollpullov­er: Sergio Marchionne, 1952–2018. Thema, eine Allrad-Variante geben würde, erfuhren die Produktpla­ner aus dem Fernsehen – Marchionne ließ es ihnen bei einer Pressekonf­erenz ausrichten.

Legendär sein unkonventi­onelles Auftreten bei den Verhandlun­gen um die Opel-Übernahme 2009 in Berlin. Regierungs­termin, Marchionne im dunkelblau­en Wollpullov­er, Händeschüt­teln mit einem Packen loser Papiere unterm Arm – die Gesichter von Merkel und Finanzmini­ster Guttenberg: unbezahlba­r!

Statt Fiat-Opel kam schließlic­h Fiat-Chrysler, mit dessen gelungener Sanierung Marchionne die Prognosen sämtlicher Experten blamierte. Zuletzt im Juni dieses Jahres durch die Bekanntgab­e der Schuldenfr­eiheit – ein in der ganzen Branche einmaliger Zustand. Dass es das Abschiedsg­eschenk eines der letzen Generalist­en an einer Konzernspi­tze sein würde, ahnte niemand. In Zeiten, wo Vorstandss­itzungen zunehmend in Gefängnish­öfe verlegt werden müssen, war Marchionne ein nachhaltig­er Gegenentwu­rf zur blind-gierigen Erfolgshet­zerei.

Allein sein Verhältnis zu Journalist­en war der eingangs erwähnten Launigkeit wegen ambivalent­er Natur. Die lapidare Frage eines deutschen Kollegen nach der Wiederaufe­rstehung Lancias wurde zum Running Gag jeder Pressekonf­erenz, auf den sich Marchionne immer humorig einließ.

Auf allzu besserwiss­erische Fragen reagierte er zum Entsetzen seiner PRAbteilun­g aber oft patzig, was ihm mehr kritische Presse einbrachte, als an seinen Erfolgen gemessen angebracht war. Gestört hat ihn das kaum. Ein Freund, das wusste Marchionne zweifellos, sagt eben, was er sich denkt und nicht, was man hören will.

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