Müllkippe Meer und der Traum vom plastikfreien Ozean
In den Meeren wird es bald mehr Plastikmüll als Fische geben, schätzen Forscher. Kunststoff-Partikel sind bis in die Antarktis nachweisbar. Um die Verschmutzung zu stoppen, möchte die EU Wattestäbchen und Co. verbieten. Ein Niederländer will im September
Rich Horner wollte das tun, was er am liebsten tut: tauchen. Und zwar an einem der schönsten Plätze der Welt, wie begeisterte Taucher sagen: Manta Point, einem Flecken etwa 20 Kilometer vor der Küste Balis in Indonesien. Der Ort ist berühmt, weil man dort riesige Mantarochen sichten kann.
An jenem Tag im Frühjahr bekam der Brite jedoch etwas anderes, weniger Idyllisches zu sehen: Plastik. Plastiksäcke, Plastikflaschen, Plastikstrohhalme, Plastikbecher, Plastiktücher, Plastikverpackungen. Ein riesiger Abfallteppich schaukelte im Wasser. Und mittendrin ein Mantarochen, der versuchte, dem Müll auszuweichen.
Das Unterwasservideo, das Horner von seinem Tauchgang durch den schwimmenden Müllberg drehte, ging um die Welt und wurde mehr als 40 Millionen Mal angeklickt. Mehrere Minuten lang arbeitet er sich darin durch das Dickicht. Als Taucher, sagte er später, sehe man ständig Plastikmüll im Meer. Aber der Tag am Manta Point sei mit Abstand das Schlimmste gewesen.
Als der Leiter des UN-Umweltprogramms, Erik Solheim, im Juni in NeuDelhi, Indien, den neuesten UN-Bericht zu Plastikmüll vorstellte, warnte er eindringlich, die Welt stehe vor einer Plastikmüll-Krise. „Unsere Ozeane werden als Müllhalde benutzt, Meerestiere erstickt und einige Meeresregionen in Plastiksuppe verwandelt.“Lukas Hammer von der Umweltorganisation Greenpeace in Österreich spricht von einer „unglaublichen Plastikseuche“. Es sei längst nicht mehr fünf vor zwölf. „Es ist schon zwölf.“
Wissenschaftler schätzen, dass sich rund 150 Millionen Tonnen Kunststoffe bereits in den Meeren befinden. Und jedes Jahr kommen laut UNO gut acht Millionen Tonnen dazu. Das allein sei genug Müll, um fünf Einkaufstaschen damit zu füllen für jede Fußlänge Küste auf der Erde, schrieb das Magazin „National Geographic“. Das vermüllte Paradies. Henderson ist eine Koralleninsel im Südpazifik, ein Unesco-Weltkulturerbe. Sie liegt in der Mitte zwischen Chile und Neuseeland und ist so weit weg von der Zivilisation, wie eine Insel nur sein kann. Sie könnte ein Paradies auf Erden sein: türkisblaues Wasser, weiße Sandstrände, menschenleer. Doch als zwei Forscher 2015 die Insel besuchten, mussten sie sich zunächst durch Müllberge wühlen, um überhaupt an Land zu kommen.
Sie stießen auf Abfall aus Russland, Japan, China und Südamerika, aus Europa und den USA. 38 Millionen Plastikteile, darunter Kleinstteile, habe man gezählt, schrieben sie später in einem Fachmagazin. Doch die Zahl sei keineswegs vollständig. Und jeden Tag schwemme das Meer 3500 weitere Plastikstücke an. Die Meeresströmun-
Milliarden Strohhalme
aus Plastik werden laut einer Studie der Organisation „Seas at Risk“in der EU pro Jahr gebraucht und weggeworfen, dazu 16 Milliarden EinwegKaffeebecher, 46 Milliarden PlastikGetränkeflaschen und 2,5 Milliarden Takeaway-Verpackungen.
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ist ein Plastiksackerl durchschnittlich im Gebrauch, bevor es in der Mülltonne landet. Bis es abgebaut ist, dauert es dagegen Jahrzehnte. Eine Plastikflasche, etwa für Getränke oder Putzmittel, braucht dazu je nach Umweltbedingungen rund 450 Jahre. gen transportieren den Müll überall hin auf der Welt. Den berühmtesten Beweis dafür lieferten Zigtausende gelbe Plastikenten, die 1992 von einem Frachter im Pazifik über Bord gingen. Die Tierchen tauchten, teilweise viele Jahre später, an Stränden auf der ganzen Welt wieder auf. Sogar im Atlantik. Strandmüll. „Das Plastik verteilt sich überall. Und gerade die Strände, die im Nirgendwo liegen und nie benutzt werden, sind besonders verschmutzt“, sagt Michael Stachowitsch. Der Meeresbiologe von der Universität Wien kennt sich aus mit dem Müll. 20 Jahre lang hat er recherchiert und dokumentiert, was für Abfälle an den Küsten der Welt angeschwemmt werden. Auf seinen Reisen ans Mittelmeer, in die USA, nach Asien und in die Karibik hat er über die Jahre 10.000 Fotos gemacht von den Dingen, die er an den Stränden gefunden hat. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben, das Ende September erscheinen soll. Titel: „The Beachcomber’s Guide to Marine Debris“, ein launig geschriebenes Handbuch über Meeresmüll für Leute, die gerne Strandgut sammeln. Es sagt viel aus über unsere Wegwerfgesellschaft.
„Das Interessante ist, dass man eigentlich an jedem Strand der Welt dieselben Gegenstände findet“, sagt Stachowitsch. „Und man braucht nur ein kleines Stück Strand, um alles zu finden, was es da gibt – vom Zigarettenstummel über die Plastikflasche bis hin zur Bierdose.“
Die US-Umweltorganisation Ocean Conservancy ruft jedes Jahr am 15. September zu einer weltweiten Müllsammelaktion an Küsten und Flussufern auf. In ihrem Jahresbericht hat sie eine Top-10-Liste an Dingen erstellt, die bei der letzten Aufräumaktion gefunden wurden. Spitzenreiter: Über 2,4 Millionen Zigarettenstummeln, die eben auch aus Plastik bestehen. Auf den Top-Plätzen dahinter: Essensverpackungen, Plastikflaschen, Flaschenverschlüsse und Sackerln. Es gab auch allerhand skurrile Funde, etwa ein Golf-Cart, das auf den Bermudas angeschwemmt wurde, eine Waschmaschine im südostasiatischen Sultanat Brunei und ein komplettes Auto in Finnland. Todesursache Plastik. Woher der ganze Abfall? „20 Prozent des Plastikmülls im Meer kommen direkt aus der See, 80 Prozent stammen vom Land“, sagt Lukas Hammer von Greenpeace. Zu den 20 Prozent zählen Fischernetze, die sich gelöst haben oder weggeworfen wurden, sogenannte „Geisternetze“. Es ist der Müll von Schiffen oder Sachen aus Containern, die über Bord gegangen sind. Die 80 Prozent Müll vom Land finden über Flüsse, Strände oder Abwasserkanäle ihren Weg ins Meer.
Die Folgen sind nicht nur an den Urlaubsstränden zu begutachten. In Thailand verendete vor Kurzem eine Grüne Meeresschildkröte, die Plastikmüll für Seegras und Quallen gehalten hatte. In ihrem Magen fand man Gummibänder und Teile von Fischernetzen. Ein Grindwal ging zugrunde, weil er 80 Plastiksackerln gefressen hatte.
Silvia Frey von der Organisation Ocean Care nennt Schätzungen, wonach jedes Jahr rund eine Million Seevögel und rund 100.000 andere Meerestiere an Plastikmüll sterben. „Das Plastik füllt ihre Mägen, sie fühlen sich satt, aber es nährt sie nicht.“Mit anderen Worten: Die Tiere verhungern mit vollem Magen. Anderen schlitzen Abfallteile die Organe auf. Delfine und Wale verfangen sich in Geisternetzen und strangulieren sich oder ertrinken.
Plastikenten, die im Pazifik über Bord gingen, tauchten Jahre später im Atlantik auf. Der gigantische Müllteppich im Pazifik ist fast 20 Mal größer als Österreich.
Und nicht nur das: Mit den Abfällen landen auch beigemischte Chemikalien im Meer. Das Plastik verstopft Fischernetze und blockiert die Kühlsysteme von Fischerbooten. Geisternetze verfangen sich in Schiffsschrauben, die dann repariert werden müssen. Vermüllte Strände schaden der Tourismusindustrie. Der jüngste Bericht des UN-Umweltprogramms UNEP beziffert die Kosten, die der Meeresmüll für Fischerei, Schifffahrt und Tourismus verursacht, allein in der asiatischen Pazifikregion auf 1,3 Milliarden Dollar pro Jahr. Global gesehen komme man auf insgesamt rund acht Milliarden USDollar jährlich, schreibt die Organisation World Wildlife Fund (WWF). Kampf dem Strohhalm. Um der Plastikplage Herr zu werden, hat die EUKommission bestimmten Einwegprodukten den Kampf angesagt. Strohhalme und Wattestäbchen, Plastikgeschirr, Cocktail-Rührstäbchen und Luftballon-Halter sollen verboten werden. Alles in allem zehn Produkte, die 70 Prozent des Meeresmülls ausmachen. Bei Plastikflaschen für Getränke strebt die EU bis 2025 eine Sammelquote von 90 Prozent an. Einzelne EUStaaten und -Regionen haben zudem eigene Initiativen angekündigt.