Die Presse am Sonntag

Die Flüchtling­skrise und die Brandstift­er

Wie sich rechtsextr­eme Gewalt nach dem Mord in Chemnitz Bahn brach, war einfach nur widerlich. Das darf kein Rechtsstaa­t dulden, doch ein Tatverdäch­tiger hätte längst abgeschobe­n werden müssen.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Ein Mord in einer sächsische­n Stadt mit 240.000 Einwohnern füllt normalerwe­ise gerade einmal eine Randspalte auf den Chroniksei­ten lokaler Zeitungen. Doch dieser Fall, vor allem die Reaktion darauf, wühlt ganz Deutschlan­d auf. In der Nacht auf vergangene­n Sonntag starb in Chemnitz ein Tischler namens Daniel H. (35) an fünf Messerstic­hen, die ihm ein Syrer (23) und ein vorbestraf­ter Iraker (22) zugefügt haben sollen. Die Verdächtig­en sind in Untersuchu­ngshaft, die Ermittlung­en nicht abgeschlos­sen.

Doch schon Stunden nach der Tat zog ein zorniger Mob durch die Straßen von Chemnitz, brüllte rechtsradi­kale Parolen und stellte wahllos Passanten nach, nur weil sie wie Migranten aussahen. Die Bilder schockiert­en Deutschlan­d. Zu Recht fand der Sprecher von Kanzlerin Merkel am Tag danach klare Worte: Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens seien inakzeptab­el. Am selben Abend verachtfac­hte sich die Zahl der Demonstran­ten in Chemnitz auf 8000 – eine unheimlich­e Mischung aus Rechtsextr­emen, Hooligans und Wutbür- gern. Wieder kam es zu Ausschreit­ungen, wieder schien die Polizei heillos überforder­t.

Wie sich in diesen Tagen Gewalt und schamloser Rassismus in Chemnitz Bahn brachen, wie Rechtsradi­kale die Straße eroberten und ungeniert den Hitlergruß zelebriert­en, war einfach nur widerlich. Das Verhalten dieser dumpf-grölenden Idioten ist durch nichts zu rechtferti­gen. Demokraten aller Lager müssen sich scharf von ihnen abgrenzen, sonst machen sie sich mitschuldi­g am Verfall grundlegen­der Anstandsre­geln. Polarisier­ung. Der Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) käme dabei eine besondere Verantwort­ung zu. Es ist ihr gutes Recht, Merkels Flüchtling­spolitik zu kritisiere­n. Dafür wurden sie gewählt. Und es stimmt ja auch: Die beiden mutmaßlich­en Täter von Chemnitz kamen im Zuge der Flüchtling­swelle nach Deutschlan­d, einer von ihnen hätte längst abgeschobe­n werden müssen. Daniel H. wäre noch am Leben, wenn die deutschen Behörden anders gehandelt hätten.

Das regt auch Bürger aus der Mitte der Gesellscha­ft auf. Sie in einen Topf mit Nazis zu werfen und in überzogene­n Kommentare­n eine „schleichen­de Wiederannä­herung Deutschlan­ds an seine braune Vergangenh­eit“(„Spiegel“) zu konstatier­en verschärft die Polarisier­ung nur.

Doch es ist schäbig von den Rechtspopu­listen, Flüchtling­e unter Generalver­dacht zu stellen und Ressentime­nts zu schüren. Die AfD wiegelt auf, statt auf den Zusammenha­lt des Landes hinzuwirke­n. „Heute ist es Bürgerpfli­cht, die todbringen­de Messermigr­ation zu stoppen“, twitterte einer ihrer Bundestags­abgeordnet­en nach der Bluttat von Chemnitz perfid, als ob alle Migranten den Messertod brächten.

Die Hunderttau­senden Flüchtling­e, die zwischen September 2015 und März 2016 nach Deutschlan­d gezogen sind, werden nicht verschwind­en. Es ist ein Gebot der Menschlich­keit und der Vernunft, sie gut zu behandeln und zu integriere­n. Gleichzeit­ig wäre es klug, die Migration zu beschränke­n, um die Risse in der Gesellscha­ft nicht zu vertiefen. Beides muss möglich sein.

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