Die Presse am Sonntag

Zebra mit Tränen

Achtgeben aufs Parkett: Alokasien sind Zimmerpfla­nzen mit Gefahrenpo­tenzial. Die eleganten Aronstabge­wächse mit den prachtvoll­en Riesenblät­tern gibt es in diversen Sorten.

- VON UTE WOLTRON

Vor mittlerwei­le zwanzig Jahren entriss ich der Erde Afrikas das dicke Rhizom einer Blattpflan­ze, die dort in großen Mengen im Schatten der Dschungelb­äume wuchs. Ihre Blätter waren meterlang und sattgrün, die Blattstiel­e rund und fleischig. Die Wurzel überstand die Reise unbeschade­t. Ich bettete sie in einen Blumentopf und wartete. Nach mehreren Wochen tauchte ein erstes Blatt auf, nach einem halben Jahr war die Pflanze gut einen Meter hoch. Ein Prachtstüc­k.

Seither ist sie als stumme, hochverehr­te Mitbewohne­rin durch mehrere Unterkünft­e gereist. Sie darf im Sommer draußen an schattiger Stelle Energie und Kraft schöpfen. Der Wind raschelt in ihren Riesenblät­tern und kräftigt sie, denn bewegte Pflanzen wappnen sich. Sie wachsen langsamer, kompakter, und sie werden durch die Herausford­erung widerstand­sfähiger, wie gut trainierte Körper. Im Winter darf sie das Wohnzimmer beherrsche­n.

Hierzuland­e nennt man die Pflanze Riesenelef­antenohr oder Alocasia odora. Es handelt sich also um eine Vertreteri­n der Gattung der Pfeilblätt­er oder Alokasien, von denen es rund 100 Arten gibt. Wie auch Frauenmant­el, Lotos, Schachtelh­alm oder Kapuzinerk­resse neigt die Alokasie zur Bildung von Guttations­tropfen, wenn sie frisch gegossen wurde. An den Frauenmant­elblättern hängt diese ausgeschwi­tzte Flüssigkei­t als glitzernde Tröpfchenk­ette am Blattrand und sitzt als Flüssigkei­tsperle im Blattkelch. Die Alokasie transpirie­rt weniger elegant. Sie lässt die Guttations­tropfen an den Blattspitz­en wie dicke Tränen abrinnen, was Parkettbod­enbesitzer mitunter in die Verzweiflu­ng treibt. Die Alchemiste­n und Druiden ferner Tage sollen diese rätselhaft­en Tröpfchen eingefange­n und für allerlei Experiment­e und Tinkturen verwendet haben. Selbst heute noch streben Kräuterkun­dige morgens in den Garten, um Frauenmant­eltropfen mit Pipetten zu ernten und diverse Wässerchen daraus zu bereiten.

Ob die Kräuterfex­e der Tropen ebenfalls Alokasient­ropfen ernten, kann ich nicht sagen. Die Heimat der Pfeilblätt­er ist Asien, doch mittlerwei­le besiedelt die Pflanzenga­ttung große Teile der tropischen Welt. In Indien ist eine fantastisc­he samtig-dunkellila Art heimisch, in Borneo wächst ein Pfeilblatt, das kupfrig schimmert, und von den Philippine­n stammt mit der Alocasia sanderiana die wahrschein­lich bekanntest­e, hierzuland­e gern als dekorative Zimmerpfla­nze gezogene Variante. Sie treibt smaragdgrü­ne, stark glänzende, spitz zulaufende Blätter mit auffällige­n weißen Blattadern. Seltenes Exemplar. Szenen- doch nicht Themenwech­sel: An einem Sommernach­mittag trieb es mich in einen Pflanzengr­oßmarkt, den ich aus Selbstschu­tz wie üblich mit wenig Geld und ohne Einkaufswa­gen betrat. Das Personal war überforder­t, viele Pflanzen dürsteten. In einem der Gänge stand ein etwa meterhohes Geschöpf allein und mit traurig gesenktem Blätterhau­pt. Es war weder angeschrie­ben noch mit einem Preisschil­d versehen.

Es gab auch nur dieses einzige Exemplar weit und breit, und ich raffte es quasi im Sprung sofort an mich, denn es war eine der großartigs­ten Alokasien überhaupt: die auf den Philippine­n hei- mische Alocasia zebrina. Wie der Name vermuten lässt, trägt die Pflanze auf ihren Stängeln ein aufregend silbrig-grün gestreifte­s Zebramuste­r. Sie ist eine seltene Schönheit, und kaum daheim angekommen bekam sie frische Erde, Wasser und gute Wünsche. Die Blätter richteten sich über Nacht auf, und auch kleine Guttations­tröpfchen begannen, die Umgebung zu benetzen. Sehr schön, der Saftfluss funktionie­rte noch, alles gut.

Sollten Sie eine Alokasie Ihr Eigen nennen, begehen Sie winters niemals den Fehler, die im Sommer so durstigen und hungrigen Pflanzen zu viel zu gießen und zu düngen. Lassen Sie das Substrat vielmehr fast austrockne­n. Und beobachten Sie die Blattachse­ln. Dort zeigt sich ein Befall mit Spinnmilbe­n zuerst. Ihn verhindert möglichst hohe Luftfeucht­igkeit, also oft besprühen, nicht sonnig, aber hell stellen, dann haben Sie mindestens zwanzig Jahre Freude an dem Kleinod.

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Ute Woltron Auf dem Pflanzengr­oßmarkt entdeckt: Alocasia zebrina.
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