RYDER CARROLL
bringen könnte. Da fiel mir nur eines ein: zeigen, wie ich mein Notizbuch verwende. Und so kam es, dass ich dem ganzen System einen Namen gab, die digitale Plattform Bullet Journal kreierte und sie im August 2013 launchte. Jeder konnte dort nachlesen, was ich mit meinem Heft mache. Bald ging ich dazu über, das Ganze in einem Video zu erklären, weil die Leute nicht gern viel Text lesen wollen. Ich achtete darauf, dass es nicht einmal vier Minuten dauert, denn ich hatte auf Google gelesen, dass die Aufmerksamkeitsspanne der Onliner bei etwa drei Minuten liegt. Und was passierte dann? Auf einmal explodierte das Ganze. Es bildete sich binnen eines Jahres eine große Bullet-Journal-Community. Und es entstanden auch Subcommunitys: Eltern, alleinerziehende Mütter, Studenten, Kriegsveteranen, Soldaten, Menschen mit Zwangsstörungen oder ADHS, sie alle verwendeten BuJo, um sen nur nicht. „Zeit ist in der Ära der Digitalisierung ein ganz kritischer Wettbewerbsvorteil. Denn sie hat eine deutliche Beschleunigung der Innovationszyklen mit sich gebracht – Stichwort: Go-to-Market-Strategie.
„Alles zielt darauf ab, ein innovatives Produkt möglichst schnell auf den Markt zu bringen“, sagt Lukas Haider, Managing Director von Boston Consulting (BCG). Vor allem für digitale Geschäftsmodelle, die davon leben, dass eine große Anzahl von Nutzern und Anbietern auf sie zugreift, sei der Faktor Zeit entscheidend. „Je eher es einem Anbieter gelingt, sein Produkt zu positionieren, desto früher kann er Netzwerkeffekte in Bewegung setzen. Um den Wettbewerbsvorteil in der frühen Markteinführung zu schaffen, muss man schnell, also der ,First Mover‘, sein“, sagt Haider. Perfektion ist nicht das Wichtigste. Das zeigen viele Beispiele, bestätigt auch Christian Havranek, Partner bei Deloitte Consulting Österreich. Eines davon ist „George“, das Internetbanking der Erste Bank, das sich sehr früh auf dem Markt etabliert hat: „Ohne die Erste Bank wäre George nicht, was es ist. Umgekehrt gilt dasselbe.“
Um den Zeitvorteil zu nutzen, haben Unternehmen längst ihre ganze Arbeitsweise verändert. „Agilität“, und ihre Zeit besser zu planen, und viele von ihnen merkten, dass sich damit in ihrem Leben eine Menge veränderte. Viele von ihnen teilten ihre Erfahrungen auf der Plattform mit anderen, es war ganz erstaunlich. Vom Kriegsveteranen bis zur alleinerziehenden Mutter – das ist ein großer Bogen. Für mich war entscheidend, dass mein Konzept die höchst mögliche Flexibilität hat. Ich konnte mich nie mit rigiden Systemen anfreunden. Ich sehe das Bullet Journal wie ein leeres Haus mit einem sehr gesunden Fundament. Wie die Zimmer angeordnet werden, wie es eingerichtet wird, entscheidet jeder selbst. Wenn jemand es als Tagebuch verwendet, super! Wenn jemand ein Skizzenbuch braucht oder einfach Todo-Listen schreiben will, ist das genauso okay. Ich stelle nur die Technik zur Verfügung, wie man all das organisieren kann. Aber die Flexibilität ist es, weshalb es für so viele Menschen funk- zwar in jeder Hinsicht, ist angesagt: „Unternehmen gehen mit Produkten und Lösungen auf den Markt, selbst wenn sie noch nicht zu 99,9 Prozent perfekt sind. Ein ,minimal überlebensfähiges Produkt‘ reicht dafür schon aus“, sagt Haider von BCG. Es mag zwar noch nicht alles perfekt funktionieren, aber das macht nichts, denn Updates und Zusatzfeatures werden flugs nachgeschossen. Als Berater nimmt Christian Havranek von Deloitte aber auch eine Gegenbewegung wahr. „Wir sind dabei auszuloten, wo die Grenzen der Beschleunigung sind. Ein Unternehmen, das sich laufend verändert, braucht ein professionelles Changemanagement.“
Denn um einen Markt zu erobern, müsse man einerseits die richtigen Maßnahmen setzen, andererseits brauche man auch die Menschen, die mitziehen und sie umsetzen. „Dafür muss ein Unternehmen genügend Zeit einplanen. Nicht jeder Mitarbeiter kann und will jedes Tempo mithalten. Einem Baum kann man auch nicht einfach befehlen, schneller zu wachsen.“ Erfinder des „Bullet Journal“ tioniert. Nach einem Jahr beschloss ich, mich mehr auf diese Community zu konzentrieren, und habe einen Kickstarter lanciert. (Kickstarter ist eine US-amerikanische Crowdfunding-Plattform; Anm.) Warum? Ich wollte damit 10.000 Dollar einsammeln, um die Homepage völlig neu zu gestalten. Jeder, der 25 Dollar investiert, sollte auch ein maßgeschneidertes Notizbuch bekommen. Ich wandte mich an den deutschen Leuchtturm-Verlag, und sie stellten mir sofort 999 Notizbücher zur Verfügung, die ich designte. Kurz gesagt: Innerhalb von acht Stunden, sammelte ich 10.000 Dollar mit Kickstarter ein. Die Notizbücher waren in vier Tagen ausverkauft, und dann wurden die Leute wirklich grantig. Sie wollten nämlich alle die BuJo-Notizbücher haben. Der Verlag und ich entschieden uns deshalb dazu, sie in Massenproduktion herzustellen. So begann Bullet Journal ein Geschäftsmodell zu werden. Meinen Job als Digital Designer habe ich damals dennoch nicht aufgegeben, denn ich arbeitete für eine internationale Designagentur und fühlte mich dort sehr wohl. Erst 2017 beschloss ich, mich ganz dem Bullet Journal zu widmen. Wieso? Damals trat ein großer Verlag an mich Ende Oktober 2018 kommt Buch
Ryder Carrolls „Die BulletJournal-Methode. Verstehe deine Vergangenheit, ordne deine Gegenwart, gestalte deine Zukunft“,
erschienen im Verlag Rowohlt, in die Buchhandlungen. Es wird in insgesamt 23 Sprachen übersetzt. heran. Er wollte, dass ich ein Buch über meine Methode schreibe. Damit war ich nun über ein Jahr lang beschäftigt. Warum ist ein Konzept rund um ein leeres Notizbuch so ein Erfolg? Wissen Sie das?
Ein »minimal überlebensfähiges Produkt« reicht für den Markteintritt aus.