Ein guter Grund für Gründerinnen
Die hippe Start-up-Szene hat ein Problem: Der Frauenanteil ist erstaunlich gering. In Deutschland liegt er bei knappen 15 Prozent. Gründe dafür gibt es viele. Shaghayegh Karioon will das nun mit einer Businessidee ändern.
Shaghayegh Karioon sitzt in ihrem Berliner Büro, als es ihr plötzlich auffällt. Sie blickt durch den Raum, in dem sie schon seit einer Weile arbeitet. Alles wie immer, nichts Außergewöhnliches: Menschen am Schreibtisch, Menschen am Telefon. Eine gemeinschaftliche Arbeitsfläche eben, die an einzelne Selbstständige vermietet wird.
Aber Moment – es sind fast ausschließlich Männer. Und die Frauen? Wenn sie nicht hier arbeiten, müssen sie woanders sein, denkt sich Karioon. Vielleicht in einem Coworking Space, der eigens für Gründerinnen geschaffen wurde. Also einem offen Raum mit der nötigen Infrastruktur, in dem sie zusammenarbeiten und sich gegenseitig unterstützen können. Nach einer Internetrecherche stellt Karioon fest: Das stimmt nicht. So etwas gibt es gar nicht. Nicht hier in Berlin, nicht in Deutschland. Nur in den USA scheint sich diese Marktnische durchgesetzt zu haben.
Heute, fünf Jahre später, steht Karioon selbst in dem Coworking Space „Wonder“für Frauen. In Berlin. Vor Kurzem wurde er eröffnet – von ihr. Wenn es den Raum für Gründerinnen nicht gibt, dachte sich Karioon, muss sie ihn eben selbst schaffen. Nun hängt ihr eigener wirtschaftlicher Erfolg von der Frage ab: Braucht es einen solchen Arbeitsraum überhaupt, gibt es genügend Nachfrage? Der Anteil an Frauen, die ein eigenes, kleines Unternehmen starten, ist immerhin gering. Erste Mieterinnen hat Karioon aber schon. Weniger „Notgründer“. Allgemein geht die Anzahl der Gründungen in Deutschland derzeit zurück, zeigt eine Studie der staatlichen Förderbank KfW. Das sind nicht zwangsläufig schlechte Nachrichten. Laut Bericht könnten die florierende Wirtschaft und die vergleichsweise guten Arbeitsmarktbedingungen eine Erklärung sein: Wer einen sicheren Job hat, muss ihn sich nicht selbst schaffen.
Die Zahl der sogenannten Notgründungen (von Menschen, die keine Aussicht auf eine bessere Erwerbsarbeit haben) sank in Deutschland daher auf 129.000, im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Minus von 22 Prozent. Dafür wechselten mehr Personen bewusst in die Selbstständigkeit, um eine bestimmte Geschäftsidee umzusetzen. 2017 waren dies 330.000 Menschen – ein Anstieg von acht Prozent.
Kommen wir aber zu jener Frage zurück, die sich Karioon gestellt hat: Und die Frauen? Ihre Erwerbsquote steigt nach und nach, und mit ihr auch der Anteil an Gründerinnen. Von 2013 bis 2015 machte er rund 43 Prozent aus. Zuletzt sank der Wert allerdings wieder auf 37 Prozent. Auch bei Frauen spielen laut KfW-Studie die guten Bedingungen am Arbeitsmarkt eine Rolle. Männliche Start-up-Szene. Blickt man auf die junge, innovative Start-up-Szene, sieht man ein ganz anderes Bild. Ein großteils männliches nämlich: Nur knapp 15 Prozent der Gründer sind laut Start-up Monitor 2017 weiblich. Es gibt zwar einen Aufwärtstrend, er bewegt sich aber nur sehr langsam in diese Richtung. In Österreich sieht die Lage übrigens ähnlich aus: Im Jahr 2016 ergab eine Befragung der Wirtschaftsuniversität Wien, dass nicht einmal zehn Prozent der Start-ups von Frauen gegründet wurden. Deutschland 2002–2017, Anteil in Prozent 43 29
Einige Gründe kennt Karioon selbst, und zwar aus eigener Erfahrung: „Ich habe schon vor drei Jahren einen Businessplan für einen Coworking Space für Frauen erstellt.“Dann habe sie gezweifelt, war unsicher, ob sie es riskieren soll. In der Selbstständigkeit habe sie sich nicht sicher genug gefühlt, um Zeit und Geld für ein neues Konzept aufs Spiel zu setzen. Also wählte sie eine Zwischenlösung: Sie eröffnete einen gemeinschaftlichen Arbeitsbereich, aber für beide Geschlechter. „Heute fühle ich mich wohler.“Also habe sie ihre Pläne umgesetzt. „Viele Männer“, glaubt sie, „gehen hingegen von Anfang an mit einer gewissen Leichtigkeit ans Gründen heran.“ Tech-Bereich ist stark vertreten. Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie der Freien Universität Berlin: Zwischen den Geschlechtern gebe es demnach oft Unterschiede bei der Selbsteinschätzung. Das habe auch Auswirkungen auf das Gründungsverhalten. Während Frauen vielfach zögern und möglicherweise damit Chancen verstreichen lassen, überschätzen Männer sich eher. Sie riskieren es, ein Unternehmen zu gründen.
Eine andere Erklärung ist die unterschiedliche Berufswahl, die gesellschaftlichen Geschlechterrollen folgt: Berufe, in denen großteils Frauen arbeiten, bieten weniger Möglichkeiten, sich selbstständig zu machen. Das zeigt sich auch bei Start-ups: Im vergangenen Jahr entstanden rund 40 Prozent der neuen Unternehmen in den Bereichen IT, Softwareentwicklung und industrielle Technologien. Die Technische Universität München brachte die meisten Gründer hervor. Gleichzeitig werden in der bayrischen Landeshauptstadt die wenigsten Startups von Frauen ins Leben gerufen.
Ein Coworking Space für Frauen – das gab es in Deutschland noch nicht. Vier von zehn Gründerinnen in Deutschland haben minderjährige Kinder.
Um das zu ändern, sollte man den klassischen Rollenbildern entgegentreten, auch bei der Berufswahl, raten die Forscher der FU Berlin. Das beginne damit, Mädchen schon im Schulalter an Fächer wie Informatik, Naturwissenschaft und Technik heranzuführen. An der Universität bräuchte es dann Vorbilder und ein gutes Netzwerk, um das Selbstbewusstsein zu stärken und Zweifel auszuräumen. Stillen im Start-up. Bleibt noch die Frage, die Frauen weiterhin mehr beschäftigt als Männer: Was, wenn ich eine Familie gründen möchte? „Eine Fixanstellung gebe eine gewisse Sicherheit, die man als Selbstständige nicht hätte“, meint Karioon. Ob man in Mutterschutz gehen könne bzw. Mutterschutzgeld erhält, hängt beispielsweise von der Krankenkasse ab.
2016 hatten immerhin vier von zehn Gründerinnen minderjährige Kinder. Die Kinderbetreuung hat bei ihnen eine viel größere Rolle gespielt als bei Vätern, ergab der KfW-Bericht in diesem Jahr. „Mompreneurs“, wie Mütter der Gründerszene auf Neudeutsch genannt werden, setzen sich öfter Grenzen bei der Arbeitszeit in ihrem Unternehmen und gründen häufiger mit personeller Verstärkung.
In dem Coworking Space von Karioon gibt es neben den Büros und Konferenzräumen daher auch eine Stillecke und ein Kinderzimmer. Das ist nicht nur für Karioons Kundinnen praktisch. Ihr Sohn schläft gerade selbst darin.