Heranwachsen im Zwielicht
25 Jahre nach dem »Englischen Patienten« muss in »Kriegslicht« wieder eine Vergangenheit rekonstruiert werden: Der neue Roman von Michael Ondaatje.
Das Auswählen der richtigen Lektüre gehöre im Sommer zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, ließ Barack Obama unlängst wissen – und veröffentlichte auf Facebook gleich auch die Liste jener fünf Bücher, die er in diesem Sommer für würdig befunden hat. Darunter ein Klassiker von Naipaul, die Biografie einer jungen Amerikanerin aus einer Mormonenfamilie – und Michael Ondaatjes neuer Roman.
Genau 25 Jahre ist es her, dass „Der englische Patient“erschienen ist. In 38 Sprachen wurde der Roman damals übersetzt, seine Verfilmung mit Ralph Fiennes und Juliette Binoche gewann neun Oscars, gerade hat ihn eine internationale Leserschaft zum besten aller in 50 Jahren mit dem Booker-Preis bedachten Romane gekürt. Angesiedelt in einer einsamen, verminten Villa in der Toskana im Jahr 1944 hatte der schlimm verbrannte „englische Patient“darin mithilfe einer jungen Krankenschwester seine verschütteten Erinnerungen freigelegt, versucht, seine Vergangenheit als Sahara-Forscher und Spion neu zusammenzusetzen.
Mit „Kriegslicht“kehrt Ondaatje nun in jene Zeit zurück. Es ist 1945, der Krieg ist offiziell vorbei, noch sind in London die Trümmer nicht weggeräumt, als der 14-jährige Nathaniel und seine etwas ältere Schwester von ihren Eltern verlassen werden. Eines Tages nach dem Frühstück verkünden sie, für ein Jahr nach Singapur zu gehen, „natürlich werde man in ihrer Abwesenheit gut für uns sorgen“. Zwielichtige Gestalten. Diese Aufgabe übernehmen zwei Männer, die einem fortan nur noch unter ihren Spitznamen begegnen. Der stille „Falter“, der offenbar einer Arbeit in einem Hotel nachgeht, und der „Boxer“, der die Kinder vor dem „Schweren“im Leben warnt. Nach und nach bevölkern immer mehr zwielichtige Gestalten das Haus der Kinder, die bald auch kriminelle Aktivitäten vermuten, sich sonst in der neuen Gesellschaft aber durchaus wohlzufühlen scheinen.
Ondaatje, der kanadische Schriftsteller holländisch-tamilisch-singhalesischer Abstammung, der in Sri Lanka geboren wurde und einige Jahre in England aufgewachsen ist, beschreibt Michael Ondaatje „Kriegslicht“ Übersetzt von Anna Leube Hanser 320 Seiten 24,70 Euro