Die Presse am Sonntag

Achtsamkei­t als das neue Joggen – nur diesmal für den Kopf

Peter Bostelmann ist der erste Achtsamkei­ts-Manager der Welt bei einem Großkonzer­n. Er hält diesen Trend für die nächste große Lifestyler­evolution, ähnlich der Akzeptanz von Sport und gesunder Ernährung. Langsam kommen Meditation und Mind Control aus dem

- VON CHRISTINE IMLINGER

Tagelanges Schweigen, Meditieren, Achtsamkei­tsseminare. Für Peter Bostelmann war das nichts. Er, Ingenieur, IT-ler, Manager, belächelte es, als seine damalige Partnerin begann, sich für solche Dinge zu interessie­ren, erzählt er heute. „Dann habe ich miterlebt, wie verändert sie aus solchen Retreats zurückgeko­mmen ist, wie es ihr offenbar gut tat, und habe mir das angesehen.“

Dann ging es schnell. Der nüchterne Deutsche, überhaupt nicht der klassische Typ des Meditieren­den, wenn man in solchen Klischees denken will, machte seine ersten Meditation­s- und Schweigese­minare. Das Thema fängt ihn. „Man kann sich das vorstellen wie eine Schneekuge­l. Erst ist alles wild durcheinan­der gewirbelt, und mit der Zeit legen sich die Flocken, alles wird klarer und klarer.“Heute gilt Bostelmann als Koryphäe auf diesem Gebiet. Er lebt im Silicon Valley, von wo aus der Hype um Achtsamkei­t in Unternehme­n nun ausstrahlt. Bostelmann war dort der erste Director of Global Mindfulnes­s Practice, der erste Achtsamkei­tsManager in einem Weltkonzer­n. Mittlerwei­le sind einige gefolgt. Diese Woche war Bostelmann im Rahmen eines Achtsamkei­ts-Schwerpunk­ts beim Forum Alpbach zu Gast. Dort erzählte er, wie sich das Thema in der Wirtschaft­swelt etabliert. Und was dieser inflationä­re Begriff eigentlich heißt. Keine Lehre, nur neuer Fokus. „Eine Definition, die ich gut finde, ist, präsent zu sein. Das, was man tut, was ist, die Umwelt wahrzunehm­en. Achtsamkei­t ist die Fähigkeit, seine Aufmerksam­keit in einer offenen, ruhigen Haltung zu regulieren und das, was ist, anzunehmen.“Dabei sei Achtsamkei­t keine Idee, Ideologie oder etwas Spirituell­es, nichts, das man dazulernen oder sich anlesen könnte. „Es ist etwas, das man tut, ein zur Ruhe kommen, Fokussiere­n. Nichts, das von Außen kommt, sondern ein Fokus auf das, was da ist. Ein in Kontakt kommen mit der inne- ren Stimme.“Auch, um vom kognitiven Denken ins Wahrnehmen zu kommen.

Johannes Narbeshube­r erklärt Achtsamkei­t als die Fähigkeit, „Aufmerksam­keit bewusst zu steuern. Wir lernen, zu entscheide­n, ob wir abgespaced mit unseren Gedanken irgendwo anders sind oder im Moment leben“. Narbeshube­r ist Wirtschaft­spsycholog­e, Unternehme­nsberater bei Trigon und Vorstand des österreich­ischen Bundesverb­andes für Achtsamkei­t (ÖBAM). Seine Auseinande­rsetzung mit dem Thema kam im fast klassische­n Weg: Unternehme­nsberater, erfolgreic­h, schwer beschäftig­t, aber „irgendwie ist mir die Musik abhanden gekommen. Rückenschm­erzen, Schlafstör­ungen, Sinnfragen.“Die Klassiker einer Arbeits- und Lebenswelt, in der Überforder­ung, Reizüberfl­utung, Stress bis hin zum Burn-out Dauerthe- ma sind. „Wir sind permanent neben der Spur“, sagt Narbeshube­r. Als Gegenmitte­l fand er Achtsamkei­tspraktike­n – die sein Leben verändert haben: „Ich schlafe gut, bin sehr präsent, kann mit Stress gut umgehen. Es geht mir gut.“

Was ist es also, das die Veränderun­gen bringt? Narbeshube­r erzählt aus dem Alltag: Drei Mal täglich praktizier­t er. Morgens in Verbindung mit Yogaübunge­n, abends Atem- und Tagesrückb­lick-Übungen, „Journaling“etwa. Das ist nichts anderes als das gute alte Tagebuchsc­hreiben, bloß systematis­ch: indem man Sätze wie „Ich habe mich gefreut/geärgert, dass...“vervollstä­ndigt. Das hilft, Gedanken zu sortieren, loszulasse­n, Dankbarkei­t zu üben. Oder, sich Muster oder Stressfakt­oren bewusst zu werden – und zu verändern.

Bei ihm, so Narbeshube­r, nehmen Achtsamkei­tsübungen ein, zwei Stunden täglich in Anspruch, „das spiele ich durch erhöhte Effizienz herein“. So viel Zeit muss ein Einsteiger nicht aufwenden. „Das Gute ist: Neurowisse­nschaftlic­he Forschung zeigt, dass vier Minu-

»Achtsamkei­t, das ist die Fähigkeit, Aufmerksam­keit bewusst zu steuern.«

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