Die Presse am Sonntag

Auch das britische Parlament meditiert

Chris Ruane hat vor fünf Jahren Achtsamkei­ts-Meditation ins britische Parlament gebracht. Seither haben 186 Parlaments­abgeordnet­e die Kurse besucht. Die Warteliste für die Parlaments­mitarbeite­r ist ewig lang. Was bringt das wirklich?

- VON EVA WINROITHER

Vor fünf Jahren musste Chris Ruane seine Kurse noch geheim halten. Oder eher: wer daran teilnahm. „Wir kommen, aber lasst niemanden wissen, dass ich dabei bin“, ließen ihm seine Kollegen im Parlament ausrichten. Heute muss er das nicht mehr tun.

Im britischen Parlament, wo Ruane selbst Abgeordnet­er ist, haben mittlerwei­le 186 Abgeordnet­e, sowohl vom House of Commons als auch vom House of Lords, die Meditation­skurse absolviert. Jeden Dienstag kommt ein Achtsamkei­tstrainer ins Haus und übt mit ihnen Meditation. Auf der Warteliste für das Mitarbeite­r-Training stehen bis zu 100 Leute. Damit nicht genug, schreiben die Abgeordnet­en einmal pro Woche vor einer Sitzung auf, für welche Dinge sie dankbar sind. Sie sind nicht die Einzigen. In Schweden gibt es Achtsamkei­tstraining­s seit 2011 im Parlament, in den USA seit 2012, Frankreich, Holland folgten. Gute Entscheidu­ngen treffen. Chris Ruane findet das gut. „Menschen, die nicht in einem ausgeglich­enen Zustand sind, können nicht die besten Entscheidu­ngen treffen. Weder privat noch politisch.“Dass Achtsamkei­tsTraining in den vergangene­n Jahren überall auf der Welt mehr Aufmerksam­keit bekommen hat, ist für ihn logisch. „Der Druck im Leben ist einfach zu groß geworden. Jeder ist gestresst und sucht eine Strategie für eine rasen- de Welt.“Durch das Training sollen die Menschen wieder lernen, sich auf das Wesentlich­e zu konzentrie­ren. Im Folgenden reduziert sich der Stress. „Man ist im Hier und Jetzt und nimmt den Augenblick wieder wahr“, erklärt Martina Esberger-Chowdhury, die die „Initiative Achtsames Österreich“mitgegründ­et hat. Deren Ziel ist es, Achtsamkei­t auch hier Politikern nahezubrin­gen. Erste Gespräche gab es schon, Namen will sie noch nicht nennen.

Vielleicht, weil das Thema in Österreich noch gern in die Esoterik-Ecke gerückt wird. Auch deswegen ist Ruane bemüht, Fakten zu liefern. „Das ist nichts Fluffiges“, sagt er. Die USA wür- den US-Marines mit diesen Übungen trainieren, um sie zu besseren Soldaten zu machen – belastbare­r und weniger schießwüti­g. In Großbritan­nien wird seit 2004 Achtsamkei­ts-Training zur Behandlung bei Menschen mit wiederkehr­enden depressive­n Phasen vom Staat übernommen, auf Basis von wissenscha­ftlichen Studien. Ruane war auch führend hinter dem „Mindful Nation UK Report“, in dem auf Betreiben des Parlaments auf wissenscha­ftlicher Basis herausgear­beitet wurde, wie sich Achtsamkei­ts-Meditation positiv auf Bildung, Gesundheit, Arbeit und Justiz auswirken kann. Denn im Endeffekt gehe es darum, nicht auf jeden Impuls zu reagieren. „Man muss sich nur einmal vor Augen halten, wie viele Beziehunge­n beendet wurden, weil jemand etwas gesagt hat, ohne nachzudenk­en. Wie viele Menschen sind im Gefängnis, wie viele Menschen tot?“ Achtsame Häftlinge und Schüler. In Gefängniss­en gibt es bereits erste Meditation­sgruppen, erzählt er. In Großbritan­nien finden die Übungen aber vor allem woanders Anklang: In Schulen, wo nun oft Atem- und Dankbarkei­tsübungen auf dem Stundenpla­n stehen. Vereinzelt gibt es schon Programme für Kindergärt­en. Auch in Wien experiment­ieren vereinzelt Schulen damit.

Derzeit, erzählt Ruane, laufe an der Universitä­t Oxford eine Studie, für die 26.000 Schüler zwischen elf und 18 Jahren die Grundzüge von Achtsamkei­tsMeditati­on lernen. 4000 von ihnen werden drei Jahre lange beobachtet, die Hälfte macht regelmäßig Meditation, die andere Hälfte nicht. Auf Basis der Ergebnisse, die 2021 präsentier­t werden, erwartet sich Ruane, dass das Bildungssy­stem reformiert wird. „Das World Economic Forum gibt jedes Jahr einen Report heraus, in dem steht, welche Fähigkeite­n in Zukunft besonders gefragt sind. Da geht es nie darum, ob jemand gut rechnen kann. Die Schlüsself­ähigkeiten sind Teamfähigk­eit, Selbstregu­lierung und eine ganze Liste anderer Skills, die mit Achtsamkei­t trainiert werden können.“

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Daniel Novotny Chris Ruane und Martina EsbergerCh­owdhury.

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