»Wir haben Millionen aufgeweckt«
Der »Club of Rome« wird heuer 50: Präsident Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch über zu viele Kinder und zu viel Wachstum.
Es gibt eine Webseite namens Klimaschwindel, da wird aufgezählt, wie viel Geld uns die Umsetzung des Kyoto-Protokolls angeblich kostet. Kann man solche Leute noch erreichen? Ernst Ulrich von Weizsäcker: Die, die so etwas schreiben, kann man nicht erreichen. Sie wollen Lügen. Aber man kann sie überstimmen. Wenn sie zum Beispiel mit einer politischen Partei wie der AfD eine Liaison eingehen, dann muss man diese Partei nicht wählen. Die AfD hat, gelinde gesagt, eine ambivalente Beziehung zum Klimawandel. Sie ist gegen den Klimaschutz. Aber wenn heute die AfD in MecklenburgVorpommern sagt, wir dürfen keinen Klimaschutz machen, dann werden sie ausgelacht. Das war vor einem Jahr nicht so. Was ist also passiert? Nach dem sehr heißen, trockenen Sommer dieses Jahr hat eine Anti-Klima-Politik keine politische Mehrheit. Die Landwirtschaft in Nord- und Ostdeutschland hat durch Hitze und Trockenheit zum Teil die Hälfte ihrer Erträge verloren. Entsprechend werden die Brot- und Kartoffelpreise steigen. Tragischerweise werden die Rindfleischpreise erst einmal sinken, weil man mehr Rinder schlachten muss. Man kann sie nicht mehr füttern. US-Präsident Trump hat den Austritt aus dem Pariser Klimavertrag angekündigt. Sehen Sie das als einen kurzen Backlash, oder wird das den globalen Zusammenhalt in Zukunft schwer belasten? Die USA sind das mächtigste Land der Erde, daher ist das nicht harmlos. Trump hat Freunde, deren Reichtum auf Schürfrechte für fossile Brennstoffe zurückzuführen ist. Die sind natürlich gegen den Klimaschutz. Gleichzeitig hat er die Gelder für das sogenannte Geo-Engineering ( menschlicher Eingriff in Kreisläufe der Erde, um kurzfristig u. a. Klimaerwärmung zu stoppen, Anm.) um das Fünffache vermehrt. Seine Berater wissen sehr wohl, dass globale Erwärmung ein Fakt ist. Aber das soll man doch nicht damit bekämpfen, indem man Sulfatwolken in die Stratosphäre schießt! In Sachen Klimaschutz reden wir hauptsächlich über die Probleme und Herausforderungen. Welches Land oder welche Region macht viel richtig und ist ein Vorbild? Bhutan hat eine Art von Genügsamkeitsphilosophie entwickelt, aber nachdem die Regierung das umsetzen wollte, wurde sie abgewählt. Das heißt, das Volk will es nicht, selbst in einem so edlen und kultivierten Land wie Bhutan. Europa ist in Sachen Klima viel besser als andere Kontinente, aber wir haben hier auch schwarze Schafe. Brandenburg und andere Teile Deutschlands leben von Braunkohle. Österreich hat zu viele Maisplantagen und Strom aus Temelin. Vorarlberg hat aber sehr viel ökologischen Idealismus in Sachen Energieeffizienz und erneuerbare Energie. Der „Club of Rome“, gemeinnützige Organisation für eine nachhaltige Zukunft, wird heuer 50. Wenn Sie zurückblicken: Wie fällt Ihr Resümee über Wirkung und Einfluss aus? Wir haben Millionen aufgeweckt. Ohne den Alarmruf des Buches „Die Grenzen des Wachstums“wäre die Welt ökologisch heute viel schlimmer dran. Aber gleichzeitig hat die Wachstumsdynamik nicht abgenommen. Die Weltbevölkerung hat sich seit 1972
Ernst Ulrich von Weizsäcker
wurde 1939 geboren. Der Naturwissenschaftler und Klimaforscher war für die SPD Mitglied des deutschen Bundestages. Weizsäcker ist Präsident der gegründeten Organisation „Club of Rome“, die heuer ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Sie tritt für eine nachhaltige Zukunft und die Begrenzung von Wachstum ein.
1968
etwa verdreifacht, der Konsum ungefähr verzehnfacht. Der „Club of Rome“hat es nicht geschafft, die Welt an die Grenzen des Wachstums zu bringen. Wir bilden uns ein, Wachstum ist das Beste, was wir kriegen können. Also sofortiger Wachstumsstopp? Nein, wir sagen: Das Thema Wachstumskritik muss zugelassen werden. Ein riesiges Problem für die Erde ist die Überbevölkerung. Wie soll man hier den von Ihnen erwähnten Wachstum stoppen? Ist das überhaupt möglich? Da gibt es zwei Strategien. Reiche Länder haben ein sehr brauchbares Rentensystem, Frauen bekommen weniger Kinder. Im reichen Japan zum Beispiel nimmt die Bevölkerung ab. In Deutschland tendenziell auch, wenn wir keine Zuwanderung hätten. Wohlstandswachstum kann also zu weniger Bevölkerung führen. Die andere Strategie hat China angewendet, mit der EinKind-Politik. Sie haben es verboten, bis eine Stabilisierung eingesetzt hat. Ein Verbot kann nicht ein Ideal sein, oder? Ich sage nicht, dass das empfehlenswert oder durchsetzbar ist. Vor Jahrzehnten lautete die Strategie: Wir brauchen Bevölkerungswachstum, damit wir stark werden. Aber die Länder, die ihre Bevölkerung stabilisiert haben, sind die ökonomischen Gewinner. Subsahara-Afrika, wo es keinerlei Erfolg in der Stabilisierung gibt, ist der große Verlierer. Eine überhöhte Kinderzahl ist ein Schaden für den Wohlstand. Wie transportieren Sie diese These nach Subsahara-Afrika? Die europäische Entwicklungshilfe könnte umformuliert und in diesen Ländern ein vernünftiges Alterssicherungssystem aufgebaut werden. Denn wenn heute eine junge Familie viele Kinder hat, dann ist das ihre Alterssicherung. Gibt es solche Bestrebungen in der Entwicklungshilfe? Nicht wirklich. Es gibt einige Programme, die mit Bevölkerungsbegrenzung verbunden sind, aber die Regierung Trump hat die Programme gekappt. Weil nach fundamentalistisch-christlichem Glauben dieser Ansatz eine Lebenstötung ist. Ihre Doktrin stammt aus der „leeren Welt“. Das ist eine der Thesen der Veröffentlichungen des „Club of Rome“: Die Ideologien unserer Welt stammen aus der „leeren Welt“, als es keine Bevölkerungsexplosion gab. Und heute leben wir in einer „vollen Welt“... Die Religionen, die menschlichen Instinkte, die Literatur, Sprachen, allesamt stammen sie aus der leeren Welt. Etwa im Jahr 1950 trat die exponentielle Dynamik ein, entsprechend waren zum Beispiel die CO2-Emissionen, und entsprechend lautet die Antwort der Natur. Die „volle Welt“ist ein ganz neues Phänomen. Wie antworten wir also darauf? Wir brauchen eine neue, philosophische Aufklärung, ein fundamentales Umdenken in Richtung wirklicher Nachhaltigkeit. Das ist nicht nur mit Recycling-Toilettenpapier zu lösen. Wir müssen den Verbrauch von Natur von Jahr zu Jahr teurer machen. Würden Sie mit diesem Slogan einen Wahlkampf führen? Als ich Bundestagsabgeordneter war, haben wir in Deutschland eine ökologische Steuerreform eingeführt: Erhöhung des Benzinpreises um sechs Pfennig pro Jahr und analoge Steigerungen von Strom und Gas. Es ist keinerlei Verarmung eingetreten, stattdessen die Vermehrung und Sicherung von Arbeitsplätzen in der Größenordnung von 300.000. Die ökologische Umorientierung erzeugt keine Armut. Das ist widerlegt, Deutschland ist reicher geworden.